Monat: August 2019

  • Twitter war mal ein freundlicher Ort

    Twitter war mal ein freundlicher Ort

    Twitter war immer „mein“ Kanal unter den ’sozialen Netzwerken‘ – nun muss ich feststellen, dass es dort leider immer asozialer zugeht. Warum das so ist, weiß ich nicht. Vielleicht ist mit der wachsenden Anzahl von Nutzern auch ein größerer Anteil des Bodensatzes unserer Gesellschaft mit hineingespült wurden: Damit meine ich Menschen ohne Erziehung, Anstand und Benehmen – keine Merkmale wie Einkommen, Ethnie, Geschlecht oder politische Gesinnung.

    In einem Dialog-Kanal sollte man mit einander reden können – auch, wenn man anderer Meinung ist. Miteinander reden beinhaltet auch Zuhören und Aushalten, dass andere über Dinge anderes denken. Meinungen sollten mit Argumenten untermauerbar sein und diese können in einer Diskussion gerne angebracht werden. Das machen Menschen so, wenn sie miteinander reden.

    Bei Twitter fällt mir zunehmender Starrsinn gepaart mit Intoleranz auf: „Wenn Du dass nicht so wie ich siehst, dann bist Du kacke und verstehst gar nichts…“ – in der digitalen Welt gibt es immer weniger Grau, sondern scheinbar nur noch Schwarz oder Weiß.

    Wer sich keine blutige Nase holen will, der bleibt am besten in seiner Ecke und zieht sich seine Filterblase über den Kopf, denn dort habe ich immer recht und alle denken das selbe wie ich und ich muss mich mit der Welt nicht mehr auseinandersetzen.

    Ich finde das eher traurig. Jegliche Gruppe, die tatsächlich oder nur selbstempfunden zufällig oder auch systematisch benachteiligt ist, ist auf Krawall gebürstet und blökt jeden an, der es wagt, etwas zu ihrem Thema zu sagen, zu fragen oder anzumerken: Alleinerziehende Mütter, Fahrradfahrer, Umweltaktivisten, Landbewohner und viele andere – wer es wagt, zu etwas den Mund auf zu machen, der weiß ja nicht, wie es ist und soll gefälligst die Klappe halten und sich verpissen.

    Noelle-Neumanns „Schweigespirale 2.0“ lässt grüßen: Bei der vermeintlich herrschenden (ver-)öffentlichten Meinung, traue ich mich nicht mehr, meinen Senf dazuzugeben. Twitter mutiert zur Linkschleuder der Eitelkeiten, das Vögelchen hat sich den Schnabel gebrochen und ist dabei abzustürzen.

    Früher war Twitter ein freundlicher Ort. Man hat sich unterhalten und den anderen sein lassen, was er wollte, so lange er freundlich und höflich war.

  • Die Sache mit den Erinnerungen, der Katze und dem Äffchen

    Die Sache mit den Erinnerungen, der Katze und dem Äffchen

    Meine Freundin erinnert mich gerne daran, dass Erinnerungen sich verselbständigen können. Sie werden mit Erzählungen, Berichten und der eigenen Phantasie gerne ergänzt und überschrieben. Nichts sei trüglicher als die eigene Erinnerung – und das nehme mit dem Alter zu. Da ich nun jenseits der 50 bin, ist das Verfallsdatum vieler Erinnerungen bereits abgelaufen.

    Das habe ich auch auf einer Kurzreise mit Zwischenstopp in Bremen wieder einmal erleben müssen. Meine Eltern haben mich in meiner Kindheit bevorzugt durch Deutschland kutschiert – und ich erinnere mich gerne an diese Entdeckungsreisen durch mein Heimatland. So waren wir auch in Bremen und ich war vielleicht acht, neun oder zehn Jahre alt.

    Nachhaltig beeindruckt hatte mich der Bleikeller unter dem Bremer Dom. Als es nun mit gut 40 Jahren Zeitabstand wieder in die Hansestadt ging, konnte ich meiner Freundin lebhaft alles aus der schaurigen Gruft unter dem Dom schildern: Die unbekannte Gräfin, der vom Dach gestürzte Dachdecker und natürlich die Katze und das Äffchen, dass man in der bleihaltigen Luft aufgehängt habe, um den mumifizierenden Effekt des Kellerraumes zu testen beziehungsweise unter Beweis zu stellen.

    Es fing schon damit an, dass der „Bleikeller“ gar nicht unter dem Dom ist, sondern sich in einem Nebengebäude und dort nicht einmal so richtig im Keller befindet. Der „Dachdecker“ hatte eine Kugel im Rücken, was dafür spricht, dass er vermutlich auf der Flucht erschossen wurde, anstatt vom Dach gefallen zu sein. Gegen die unbekannte „Gräfin“ sprach, dass niemand zu der Zeit im Adel vermisst wurde. Der mumifizierende Effekt hat nichts mit Blei zu tun (der Keller hieß nur so, weil dort das Blei für die Dachschindeln gelagert wurde), sondern mit einer Sanddüne unter dem Dom, die alles vertrocknen lässt, was über ihr lagert. Wenigstens befand sich der Keller früher tatsächlich unter dem Dom – in soweit hatte meine Erinnerung mich nicht getäuscht.

    Was war aber nun mit der Katze und dem Äffchen, die mich als Kind nachhaltig beeindruckt hatten, wie sie dort verschrumpelt kopfüber von der Decke hingen? Wir fragten die Dame an der Einlasskontrolle: Sie werde immer wieder – besonders von den älteren Besuchern – nach der Katze und dem Äffchen gefragt, aber sie habe noch nie etwas davon gehört. Außerdem müsse sie den ganzen Tag über im Keller hocken, während draußen die Sonne scheine.

    Das war’s: Alles, was wir glauben zu wissen, ist Lug und Trug der eigenen Imagination. Ich fand’s eher deprimierend.

    Am nächsten Tag waren wir im Übersee-Museum – das ich natürlich auch ganz anders in Erinnerung hatte: Exotische Installationen waren einem unstrukturierten durcheinander gewichen und ich fragte mich, wo der ganze Plunder aus fernen Ländern geblieben war, den Generationen von Seefahrern mit zurück in die Hafenstadt brachten.

    Dafür gibt es das Schaumagazin: Ein fünfstöckiger, moderner, klimatisierter Anbau in dem alles archiviert wird, was nicht auf der Ausstellungsfläche gezeigt werden kann – bis zur Decke voll gestopft und vollgestapelt: ohne Ende Exponate.

    Eigentlich eher ermüdend als erhellend und so arbeiteten wir Etage für Etage mit zunehmend mangelhafter Konzentration ab. Ganz oben waren die Tiere: Ausgestopfte Vögel in allen Farben, Schubladen voller aufgespießter Insekten, Großkatzen, Fledermäuse, eingelegte Schlangen.

    Ganz oben, ganz hinten links stand noch ein Schrank mit Schubladen. Meine Freundin – die eigentlich mit dem Schaumagazin durch war – zog eine Schublade auf und rief mich gleich zu sich. Da waren sie: Katze und Äffchen aus dem Bleikeller unter dem Dom! Also hatte mich meine Erinnerung in diesem Punkt nicht getäuscht.

    Und was bleibt von der Reise nach Bremen? Erinnerungen können einen täuschen, starke Erinnerungen haben einen wahren Kern.