Kategorie: Digitales

  • Self fulfilling Verschwörungstheorie vom toten Internet

    Self fulfilling Verschwörungstheorie vom toten Internet

    Die „Dead Internet Theory“ ist eine Verschwörungstheorie. Da ist sich das Internet an vielen Stellen einig. Aber, wenn man sich die aktuellen Entwicklungen anschaut ist, ist sie nicht ganz so abwegig wie die Existenz Bielefelds.

    „Die Dead Internet Theory besteht aus zwei Behauptungen. Zum einen behauptet die Theorie, das Internet sei ab 2016 oder 2017 „tot“. Damit ist gemeint, dass hauptsächlich Bots interagieren würden und die menschliche Interaktion nur noch einen Bruchteil ausmache. Zum anderen geht damit meistens die Annahme einher, dass eine geheime Gruppe (oder eine künstliche Intelligenz selbst) das Internet nutze, um Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung via Desinformation und Fake News zu nehmen.“

    So weit die ⏩Wikipedia – total irre oder doch inzwischen nicht mehr so gänzlich durchgeknallt? Wenn der reichste Mensch der Welt mit seiner eigenen ⏩Privat-KI eine Online-Enzyklopädie erstellen lässt, die die Welt nach seinen Vorstellungen erklärt, dann sind Teile der „Verschwörung“ bereits Realität. Wenn der Reddit-Mitbegründer ⏩Alexis Ohanian in der Youtube Tech-Show TBPN davon spricht oder der News-Influencer Fabian Grischkat auf dem Kommunikationskongress 2025 in Berlin in einem Vortrag unter dem Titel „Das Geschäft mit Fake News“ von der Zunahme des von Bots generierten Datenverkehrs spricht, scheint das Ganze nicht vollständig an den Haaren herbeigezogen zu sein.

    Dass das Volumen des Bot generierten Datenverkehrs steigt, ist statistisch messbar:

    von ⏩https://de.statista.com/infografik/27498/anteil-des-durch-bots-verursachten-webtraffics/

    Zählen wir die schädlichen und unschädlichen Bot zusammen (denn die Verschwörungstheorie geht von Bot generierten Datenverkehr ohne Vorzeichen aus), so betrug der Anteil in 2019 37,2 Prozent und in 2023 bereits 49,6 Prozent. Also fast die Hälfte – wenn auch nicht die Mehrheit, also ganz knapp noch nicht die Mehrheit. Aber vielleicht steckt ja auch schon bereits Verschwörung dahinter, dass die Zahlen nicht weiter erhoben wurden, kurz bevor der Anteil kippte.

    Ich musste an das Buch „Das Digitale Debakel“ von Andrew Keen aus 2015 denken, dass ich erst neulich geschafft habe zu lesen. Da stand bereits vor zehn Jahren auf dem Buchdeckel: „Warum das Internet gescheitert ist – und wie wir es retten können“. Vermutlich nicht prophetisch, sondern das Ergebnis guter Beobachtung und vorausschauender Bewertung. Im Kern geht es um die kapitalistische Vermachtung von virtuellen Räumen. Algorithmen sorgen dafür, dass zum Beispiel nur ein Prozent der Content-Creator Sichtbarkeit und ggf. auch mikroskopische Gewinnanteile: „Die Spielregeln der New Economy sind daher dieselben wie in der Old Economy – nur mit Aufputschmitteln. (S. 62) Es verschwindet die Mitte, die durchschnittlichen Nutzerinnen und Nutzer, die sich in der Unsichtbarkeit der digitalen Weiten auflösen.

    Das sind nicht direkt Todesvisionen, aber durchaus sich abschwächende Vitalzeichen. Tatsächlich sucht der Mensch weiterhin den anderen Menschen – biologistisch bleiben wir Herdentiere. Uns missfällt daher die Vorstellung, dass wir im Netz nur noch Bots kommunizieren. Je weniger Menschen digital aktiv sind, desto massiver muss der Bot-Einsatz werden, um die letzten Überlebenden aufzuspüren und zum Handeln zu bewegen. Denn es ist eher unwahrscheinlich, dass künftig Bot bei anderen Bot einkaufen gehen werden – und wenn der Geldstrom stillsteht, ist auch das Internet tot.

  • Lieber Käsekuchen als künstlich

    Lieber Käsekuchen als künstlich

    KI macht uns dümmer … – vielleicht wiederholt sich (Internet-) Geschichte nicht zwangsläufig, aber gewisse Parallelen mit der Frühzeit im WorldWideWeb gibt es schon: Es war immer schon immer schwierig den Menschen zu vermitteln, dass Google nicht besten Anwalt der Stadt findet, sondern nur den besten, der auch eine Website hat. Und Vergleichsportale verlinken nicht den günstigsten Stromanbieter oder die preiswerteste Versicherung, sondern nur den günstigsten Stromanbieter und die preiswerteste Versicherung, die bereit sind, Provision an den Vergleichsportalbetreiber abdrücken.

    Den besten Käsekuchen meiner Stadt gibt es in einer kleinen Bäckerei ohne Website. Wenn ich eine Suchmaschine nach den besten Käsekuchen in der der Stadt frage, lande ich nur bei McCafé oder Starbucks.

    Ähnliche Tendenzen zeichnen sich bei der intensiven Nutzung von KI-gestützten Suchen ab: Die KI hat im Internet mit hochwertigen Inhalten trainiert und gibt die Infos (meist) ohne Quellennennung weiter. Der Traffic auf den redaktionellen Seite lässt nach, so dass deren Pflege und Betrieb (um Nutzerinnen und Nutzer dort hinzuziehen und die Reichweite für Werbung zu verkaufen) kein Geschäftsmodell mehr ist. ⏩ Das passiert gerade bei verschiedenen redaktionellen Angeboten im Web.

    Also wird man die KI nicht mehr damit trainieren lassen, was bedeuten wird, dass ihre Ergebnisse auf immer dünneren und wackligeren Beinen stehen wird. Was die meisten Nutzerinnen und Nutzer nicht mitbekommen werden – oder es ihnen auch egal ist.

    Sei schlauer: Finde den besten Käsekuchen der Stadt auch ohne Internet und KI und halte es mit dem ollen Kant: „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“

    Und lass „KI“ demnächst für „Käsekuchen Intelligenz“ stehen 🙂

  • Menschen auf X: Völlig losgelöst …

    Menschen auf X: Völlig losgelöst …

    Der neuerliche Anschlag in Mannheim am Rosenmontag ist ein schweres Thema, das die meisten von uns bedrückt. Das digitale Gaffertum auf Social Media war unerträglich – und Scham- und Anstandsgrenzen verschieben sich bei einigen scheinbar recht schnell.

    Dazu gehört für mich auch die sofortige politische Instrumentalisierung: Es war Vielen direkt klar, dass es wieder einer dieser islamistischen Terrorakte war. Als gegen 16 Uhr durchsickerte, der mutmaßliche Straftäter sei Deutscher, kamen sofort Zweifel auf: Es sei wenn überhaupt nur ein „Passdeutscher“ – also eine eingebürgerte Person – und kein „Biodeutscher“. Eine Trennung, die unser Rechtssystem nicht kennt.

    Auf X liest man ja häufiger, dass Bürgerinnen und Bürger von den Medien belogen werden. Und ich war neugierig, wie man das in diesem Fall bewerten würde. Ich habe auf X gegen 17 Uhr mit dem Hashtag #Mannheim eine kleine Umfrage gestartet, ob man der Meinung sei, dass die Medien in diesem Fall lügen. Diese ließ ich bis 23 Uhr online, weil zu diesem Zeitpunkt die Mehrheit der Posts auf die Angaben der Polizei und Staatsanwaltschaft verwiesen.

    Gut 1000 Nutzerinnen und Nutzer hatten den Post mit der Frage bis dahin gesehen, jede zehnte Person eine beiden Antwortoptionen gewählt. Der Trend reicht mir und steht stellvertretend dafür, wie sich die X-Blase von der Medien-Realität entkoppelt hat. Knapp zwei Drittel der Antwortenden sagt, dass die Medien hier bzgl. der Nationalität des Attentäters lügen. Dem verbleibenden Drittel ist es egal.

    Methodisch ist das weder repräsentativ noch sauber befragt – aber zum Erkennen der Tendenz sollte es reichen.

    Mir ist schleierhaft, wie man Menschen, die sich aus der gesellschaftlichen Realität ausgeklinkt haben, wieder „erden“ könnte. Ich weiß, dass viele sagen: „Das ist X. Da muss man raus …“ – aber damit lassen wir es in dieser Güllegrube nur unkontrolliert gären und können uns dann nur wundern, wenn uns bei der nächsten Explosion die Sch… um die Ohren fliegt …

    Ich lass das Ergebnis hier mal so stehen für euch:

  • history repeating: Büro-Automation und KI

    history repeating: Büro-Automation und KI

    Geschichte und Geschichten wiederholen sich – heißt es. Das gilt scheinbar auch für Diskussionen über Veränderungsprozesse. Ich weiß leider nicht mehr ganz genau, wie ich auf das kleine Büchlein „Die Programmierer – Eliten der Automation“ von Karl Bednarik von 1965 (in der Fischer Taschenbuch-Ausgabe von 1967) gestoßen bin. „Karl Josef Franz Bednarik war ein Wiener Maler und Schriftsteller mit sozialkritischem Engagement“, kann uns ⏩ Wikipedia berichten. Er lebte von 1915 bis 2001, war gelernter Buchdrucker und Elektroschweißer, der sich autodidaktisch zum Künstler weiterbildete. Nebenbei verfasste er gesellschaftskritische Schriften wie unter anderem einen utopischen Roman mit dem viel versprechenden Titel „Omega Fleischwolf“, den ich sicher auch noch mal lesen werde, wenn ich ihn in die Finger bekommen sollte.

    Abgesehen davon, dass ich es unterhaltsam finde, ältere Bücher zu lesen, in denen Prognosen über (teilweise inzwischen bereits vergangene) Zukünfte erstellt werden, stieß ich bei Bednariks Programmierer-Buch, auf eine Diskussion, die wir heute führen und deren Argumenten wir teilweise direkt übernehmen könnte, wenn wir das Wort „Computer“ durch die Worte „künstliche Intelligenz“ ersetzen. Der Autor beobachtet, beschreibt und bewertet den Wandel der Verwaltungsberufe durch die Einführung elektronischer Datenverarbeitung vor gut 50 Jahren: „Nachdem die Maschine dem Menschen sehr viel Handarbeit abgenommen hat, ist sie nun auch dabei, ihm die Kopfarbeit zu enteignen, zumindest große Teile dessen, was bisher als Kopf- und Geistesarbeit angesehen wurde.“ (S. 9)

    Parallelen zur Diskussion um KI liegen auf der Hand

    Bednarik sieht nicht in erster Linie die Technik als Bedrohung der Bürovorsteher (mit Verweis auf Zemanek nennt er Großrechner ‚gigantische Vollidioten‘, die nur mit den Fingern rechnen könnten, davon aber Millionen hätten – vgl. S. 68), sondern deren Bediener: „Das sind die Programmierer, jene Spezialisten, die Arbeitsabläufe vordenken und festlegen, die mit Hilfe technischer Anlagen Planung, Ablauf und Vertrieb ganzer Industrieproduktionen bestimmen.“ (o. S. – Klappentext vor dem Schmutztitel). Ohne technische oder kaufmännische Kenntnisse analysieren und zerlegen sie alle Arbeitsabläufe und legen sie als Programmabfolge für die Datenverarbeitung fest. Damit steuern sie de facto den ganzen Betrieb ohne zum Management zu gehören, orientieren sich dabei an einer Idealform und entwerfen so „eine neue Organisationsform als abstraktes Modell“ (S. 73).

    Die Grenzen der Automatisierung liegen darin, dass sich die Computer nicht selber erzeugen oder programmieren können und dass maschinelle Entscheidungen durch die Programmierung vorbestimmt seien (vgl. S. 20). Das kommt uns bei KI anders vor, obwohl auch hier im Kern nur Nullen und Einsen Abläufe bestimmen, aber die ‚gigantischen Vollidioten‘ inzwischen Milliarden Finger haben und die Programme eine Komplexität erreicht haben, die die Vorstellungskraft der meisten Menschen übersteigt. Letztendlich laufen auch hier nur Routinen nach vorgegebenen Schemata ab – auch oder gerade in der Logik der Kombinatorik mit anderen Datenbeständen. So programmiert sich eine KI selber nach vorgegebenen Programmabläufen.

    Während Bednarik seine Erkenntnisse auf der Grundlage von Beobachtungen auf Basis der Einführung erster Großrechner mit Lochstreifen und Magnetbändern gewinnt, wissen wir nun – 50 Jahre später – wie Computer in alle Bereiche unseres Lebens vorgedrungen sind. In weiteren 50 Jahren werden wir auch wissen, in weit weit künstliche Intelligenz Alltag und Beruf verändert haben wird. Eine Prognose von damals wird dabei auch in der aktuellen Diskussion häufig gehört: „Wenn eine Verringerung des Büropersonals erfolgt, dann nur bei eintönigen und langweiligen Routinearbeiten.“ (S. 123 – rezit. Levin) Kommt einem irgendwie bekannt vor, oder?

  • Es geht APP im Dorf

    Es geht APP im Dorf

    (K)Ein Dorf wie jedes andere: Mit dem Audioguide durchs südniedersächsische Hinterland

    Bühren im Schedetal – zwischen Hann. Münden und Göttingen gelegen, wenn man von der Straße nach Dransfeld abbiegt und durch die Landschaft gurkt – unterscheidet sich nicht sonderlich von vielen kleinen Dörfern in Südniedersachen. Es gibt eine Kirche, einen Friedhof, viel Fachwerk und etwas Landwirtschaft. Insgesamt wohnen dort gut 500 Menschen. Es sieht aus wie alle Dörfer in dieser Gegend. Und dennoch gibt es einen guten Grund, gezielt nach Bühren zu fahren: Einen interaktiv gestalteten Kulturpfad mit Audioguide und eigener App. Das hat nicht jedes Dorf!

    Dazu muss man wissen, dass es den Kulturpfad als Rundwanderweg bereits seit Anfang der 2000er Jahre gibt – die App kam erst später dazu. Die knapp drei Kilometer lange Tour ist auch in allen üblichen Wander- und Outdoor-Apps verfügbar, über verschiedene Tourismusseiten der Region verlinkt, aber den ⏩ Download-Link für die App (nur für Android) gibt nur es auf der Homepage des Dorfes.

    Dorf-Tour in der Wander-App und Dorf-App mit Audio-Guide

    Es gibt auch eine ⏩ kleine Broschüre, die man dort ebenfalls digital herunterladen oder aus dem kleinen Holzkasten an der zentralen Bushaltestelle in der Dorfmitte auch gedruckt mitnehmen kann.

    Die ersten drei Stationen haben wir erstmal prompt überlaufen – vermutlich waren wir nur etwas zu enthusiastisch losgestiefelt. Die Kartenansicht in der App hat nicht funktioniert bei uns – aber wir haben uns von einer Wanderapp mit einer absolut gelangweilten, monotonen Frauenstimme durch die Ortschaft navigieren lassen. Der Weg ist eigentlich ausreichend gut mit einem „K“ gekennzeichnet und an jeder Station steht eine Info-Tafel mit Text und Bild.

    Vom Versammlungsplatz in der Dorfmitte (dem „Tie“) geht es am ältesten Haus vorbei, runter ins Bachtal, wo mal eine handvoll Mühlen am Wasserlauf standen. Maschinenbaumeister Manfred Fischer hat in zirka 1300 Arbeitsstunden eine Wasserradanlage aus Eigeninitiative und mit eigenen Mitteln neben seinem Haus erbaut, die Mühlentradition – es gab wohl derer Fünfe – im Dorf veranschaulichen soll.

    Stationen der Runde

    Hinter dem Dorf hat es tatsächlich noch eine Besonderheit – in diesem Falle eine Geologische: Am Dorfrand erhebt sich eine 10 Meter hohe Basaltwand. Der Rohstoff wurde bis Ende der 1960er Jahre auch im großen Maßstab dort abgebaut, rund 1.200 Tonnen täglich, die von zirka 40 LKWs pro Tag abtransportiert wurden. Hier wurde mir auch zum ersten Mal deutlich, was mich ein bisschen an den Audio-Beiträgen störte: Ganz ohne (Hintergrund-) Geräusche wirken die Aufnahmen sehr „steril“. Gerade der Steinbruch mit seiner Lärmkulisse hätte die Hörszenerie lebendiger wirken lassen.

    Bührener Basaltwand

    Den Abschluss der Runde bildet ein kleiner, künstlich aufgeschütteter Hügel, auf dem zehn Mord- oder Sühnesteine stehen. Diese Sammlung resultiert nicht aus der besonderen Mordlust der Dorfbewohnerinnen und -Bewohner, sondern sie versammelt alle Gedenksteine, auf dem ⏩ Harster Heerweg – einer alten Nord-Süd-Handelsroute – zu Tode gekommenen Personen. In dieser Art auch einmalig in Niedersachsen.

    Südniedersachsen ist nicht der aufregendste Ort der Welt – und ich als gebürtiger Südniedersachse darf das sagen – und dort sieht es in Varlosen, Dankelshausen und Ellershausen nicht viel anders als in Bühren aus, aber die App lockt einem beim Besuch der Region dann doch nach Bühren und eben nicht nach Varlosen, Dankels- oder Ellershausen. So gesehen haben sich die Bührener ein Alleinstellungsmerkmal programmiert.

    Sammlung der Sühnesteine

    Hier kann man die Beiträge auch ohne App reinhören:

    in Hochdeutsch

    in Platt

  • Der Herr des Ringes

    Der Herr des Ringes

    Ich habe es offensichtlich nicht so mit der digitalen Selbstvermessung: Entweder fehlt mir der Optimierungsdrang oder das richtige Device. ⏩ Ich hatte mal eine Smartwatch, die schon einiges aus meinem bewegten Leben mitschrieb – zumindest Schrittzahl, Entfernung und Puls waren dabei. Unsere Beziehung scheiterte daran, dass der Akku der Uhr meistens leer war, wenn ich los wollte. Inzwischen habe ich eine Solar betriebene Armbanduhr, die gar nichts kann, außer die Uhrzeit anzuzeigen und einfach immer weiter läuft.

    So hätte es immer weiter gehen können, wenn mit zunehmenden Alter nicht doch das Thema „Messen“ relevanter geworden wäre: Mein Blutdruck bleibt wohl nicht so lange im moderaten Bereich und ist zu schnell und zu oft zu hoch. Das stellte der Hausarzt mit wiederholten 24-Stunden-Blutdruck-Messungen fest. Dann bekommt man Tabletten verschrieben und wird gebeten, den Blutdruck auch weiterhin zu kontrollieren.

    Convenient Messen?

    Ich messe nun schon eine ganze Weile beim Frühstück und Abendessen zuhause mit einer Handgelenksmanschette meinen Blutdruck. Das macht nur bedingt Spaß, ist mal zu niedrig (eher morgens) und mal zu hoch (eher abends), aber vielleicht im Sinne der Stichprobenverteilung nicht so ideal wie die Messung vom Hausarzt, bei der sich alle 15 Minuten Dein Oberarm aufpumpt.

    Ring: Günstig – aber wertig

    Es gibt nun (einige wenige) Fitness-Tracker, die versprechen, dass sie auch den Blutdruck messen können. Schnell verrät das Internet einem, dass diese Messungen aber nicht allzu verlässlich wären. Bei diesen Angeboten finden sich neben bekannten Armbändern auch Ringe als Fitness- und Gesundheitstracker. Auch dazu findet sich der Hinweis im Netz, dass die Blutdruck-Messungen dieser Gesundheitsringe genauso unzuverlässig seien, wie die der Armbänder. Immerhin: Beide Lösungen scheinen gleich schlecht zu sein, wozu also viel investieren, wenn man zu Testzwecken auch einen günstigen Gesundheitsring kaufen kann?

    Auf dem Amazon Marketplace stieß ich auf das Angebot eines Gesundheitsringes, der den Blutdruck messen könne, aber auch den Puls, die Anzahl der Schritte, Distanz und Kalorienverbrauch, die Blutsauerstoffsättigung, die Hauttemperatur, das Schlafprofil sowie das Stress-Level. Preis knapp unter 50 Euro, Lieferzeit knapp sechs Wochen, denn der Ring kommt aus China. Bestellbar war er in drei Farben und fünf Größen, für die man den Umfang seines linken Zeigefinger messen sollte, denn dort sollte man den Ring am besten tragen.

    Ringlein, Ringlein, Du musst wandern

    Mein linker Zeigefinger hat am unteren Fingerglied einen Umfang von 7,1 cm – die größte Größe sei für einen Umfang von 6,9 cm geeignet. Was machen denn die armen Menschen mit Wurstfingern, habe ich mich gefragt. Aber dann kam einiges anders: Der Ring war bereits nach zwei Wochen aus Fernost da und für den Zeigefinger der linken Hand viel zu groß.

    Die Verpackungsgestaltung war wertig und der Ring wirkte nicht wie aus dem Kaugummi-Automaten. Ein weiterer Vorteil: Die Daten werden auf dem Handy in einer App erfasst, die man kostenfrei herunterladen und nutzen kann. Es gibt gerade im Segment der Premium-Anbieter von Gesundheitsringen auch das Geschäftsmodell, dass die dazugehörige App auch noch im Monatsabo bezahlt werden muss.

    Die App ist einfach, aber auch übersichtlich und aktuell nicht im Android App-Shop verfügbar. In der Gebrauchsanweisung ist ein QR-Code zu einem Download-Link, mit dem man sich die App direkt vom Server ziehen und sie freihändig installieren kann. Funktioniert reibungslos.

    App: Einfach – aber übersichtlich

    Der Ring funkt seine Daten via Bluethooth an das Handy. Das hat bei mir nicht immer reibungslos geklappt. Das Handy liegt in der Küche, man selber geht zur Toilette und – schwuppdiwupp – ist die Verbindung verloren. Insbesondere wenn der Mini-Akku im Ring schwächelt, scheint es Konnektivitätsprobleme zu geben. Diese können natürlich auch an meinem Handy liegen oder an dem Datenaustausch zwischen beiden. Für mich war dies am Ende einer der „Joy-Killer“: Wann immer ich eine Blutdruckmessung starten wollte, war der Ring nicht verbunden. Und leider auch trotz mehrmaliger Verbindungsversuche nicht wieder auffindbar für das Handy. Einmal hatte ich sogar den Fall, dass beide Devices laut Bluetooth-Liste gekoppelt waren, aber die App wacker weitersuchte. Solche Usability-Fails können einem dem Spaß bei der Anwendung regelrecht verleiden.

    Mangelhafte Konnektivität als „Joy-Killer“

    Aber zentral bleibt die Frage: Hat der Ring denn auch das gemessen, was er sollte? Also: Für mich ohnehin zu viel, denn Hauttemperatur, Blutsauerstoffsättigung, Stress-Level und Schlafanalyse interessieren mich eigentlich weniger. Schritte kann man auch anders zählen und Puls hat man, weil man noch lebt. Ein paar Mal habe ich mit der Manschette und den Ring parallel gemessen – nur selten waren die Ergebnisse annährend vergleichbar. Wobei man fairerweise sagen muss, dass ich auch nicht weiß, wie verlässlich die Handgelenksmanschette misst. Die Werte des Ringes waren meistens patientenfreundlicher, weil deutlich geringer und stets im „grünen Bereich“. Die gemittelte Abweichung über alle Parallelmessungen liegt bei respektablen 15 Prozent.

    Messwert-Tabelle: A = abends / M = morgens – alle Differenzen sind als prozentuale Abweichung zur Referenz angegeben

    Dennoch geben die Messungen eine gewisse Auskunft: Unterstellt man, dass der Ring äquidistant misst – vielleicht auf falschem Niveau, aber mit korrekten Intervallen – dann lässt sich die realistische Höhe einfach überschlagen und Ausschläge ebenfalls verlässlich erkennen.

    Muss jeder selber wissen: Tragekomfort

    Auf Grund der unterschiedlichen Messangaben habe ich den Ring am rechten Zeigefinger getragen, weil er dort am besten passte. Das war für mich eher ungewohnt: Der Ring klackerte beim Bedienen der Computer-Maus, quetsche den Finger beim Schrauben und Drehen und beim Händeschütteln hatte man das Gefühl, das Gegenüber zieht einem den Ring vom Finger. Am Ende wäre es vermutlich auch eine Gewohnheitssache und jeder sieht das das anders. Eine mögliche Alternative für den Zeigefinger der rechten Hand wäre vermutlich der linke Daumen gewesen.

    Fazit: Eine interessante Alternative

    Sicherlich eine interessante Alternative für das Gesundheitstracking, wenn man ohnehin an der Fülle der Daten interessiert ist. Aus meiner Sicht zur reinen Beobachtung des Blutdrucks weniger geeignet: Die Messwerte weichen stark ab, die Messungen müssen manuell angestoßen werden. In Verbindung mit der teilweise grottigen Konnektivität und dem von mir als eingeschränkt empfundenen Tragekomfort – für mich keine Alternative – aber Zettel und Stift sind auch mehr zeitgemäß.

    Ich weiß, dass ein Armband-System zur Messung des Blutdrucks gerade viel positiven Spruch erhält – das kostet jedoch das Vierfache des Ringleins, das ich mir zu Testzwecken besorgt habe. Das muss man dann schon wollen und sich nicht nur zum Testen besorgen.

  • Instagram, wer bin ich?

    Instagram, wer bin ich?

    Eigentlich kamen wir bei Mastodon eher zufällig auf den Aspekt der „Konstruktion von Wirklichkeit“ in digitalen Plattformen. Die Datenkrake ⏩ Meta dockt mit der Twitter-Alternative Threads am Fediverse an, was zu der Diskussion führte, in welchen Maße nun die Kommerzialisierung ihren Einzug finden wird.

    Meta wird Threads mit Optionen einer möglichen Refinanzierung verbinden – also wird es um Werbung gehen und damit auch um Reichweitenmessung. Damit kommen die Bewohnerinnen und Bewohner des Fediverse vermutlich nur in Berührung, wenn sie mit Beiträgen oder Personen aus der Thread-Instanz interagieren. Also werden sicher nur Anteile unserer Aktivitäten, gemessen, gewogen und gezählt.

    Damit waren wir schnell bei der Grundsatz-Diskussion: Die meisten Fediverse-Nutzerinnen und -Nutzer bevorzugen, dass ihre Daten nicht vermarktet werden. Und ich persönlich finde es auch gut, dass es noch selbstbestimmte digitale Orte gibt.

    Für mich persönlich ist aber auch klar, dass meine Selbstdarstellung in Social Media immer nur meine Konstruktion meiner subjektiven Wirklichkeit ist, also nicht unbedingt die Realität (falls es eines solche überhaupt geben sollte). Ich zeige dort nicht mein Leben, sondern inszeniere ein digitales Leben (nicht nach Drehbuch, sondern nach Gusto).

    Mir ist das klar, aber Menschen, die mit meinem digitalen Alter Ego interagieren, rekonstruieren sich daraus eine andere Wirklichkeit von meiner Person. Und damit werden diese Re-Konstruktionen für sie real: Dann weiß nur noch ich für mich alleine, was ich wann wo wie und warum von mir zu teilen bereit war, die Mehrheit aller anderen Personen wird ein ganz anderes Bild von mir haben. Damit wird mein digitaler Klon realer, als ich es werden könnte. Mir ist klar geworden, dass die konstruierte Person meiner Selbst, von der ich glaube, sie vermarkten zu können, weil sie nicht wirklich ich ist, für alle anderen zu mir wird.

    Was wäre eine Alternative? Sich vollends ungefiltert digital zu repräsentieren, um über Authentizität die Kernperson wahren zu können? Ich weiß nicht: Dann schaue ich doch lieber bei Instagram nach, wer ich gerade eigentlich bin …

    Ergänzung:
    Als technisch nicht sonderlich affiner Mensch, habe ich die Thematik arg verkürzt. Selbstverständlich entstehen im Digitalen immer zähl- und messbare Daten – auch im Fediverse (bei einigen dortigen Plattformen mehr als bei anderen). Es geht letztendlich um die Ablehnung einer systematischen Auswertung zu Zwecken der Kommerzialisierung.

  • LinkedIn – Schlaraffenland der Berufstätigen

    LinkedIn – Schlaraffenland der Berufstätigen

    „Da hört ich Fische miteinander Lärm anfangen, daß es in den Himmel hinaufscholl, und ein süßer Honig floß wie Wasser voll einem tiefen Tal auf einen hohen Berg; das waren seltsame Geschichten.“ – so die ⏩ Gebrüder Grimm in ihrer Version des „Schlaraffenland“. Bereits die ⏩ Bibel spricht an 26 Stellen des Alten Testaments von einem „Land, darin Milch und Honig fließt“ (womit aber Israel gemeint ist).

    Auf jeden Fall plagt einem im Märchen oder im gelobten Land nicht eine Sorge, alles ist eitel Sonnenschein und das Leben ist schön – ganz so wie bei LinkedIn: Niemand findet seine Vorgesetzten noch sein Team kacke, Leistungen, Produkte und Dienstleistungen flutschen wie von selbst, die Arbeitsbedingungen übertreffen jegliche Vorstellungen und alle betriebliche Tätigkeit ist nachhaltig und im Einklang mit Natur, Mensch und Gesellschaft.

    Ich habe keine Ahnung, wo ihr arbeitet, aber ich würde gerne bei euch mitmachen! Zugegeben: Bei meinem Job ist natürlich auch nicht alles schlecht – aber manches könnte noch besser oder anders gemacht werden und wir arbeiten auch daran, mal schneller, mal langsamer, aber „stets bemüht“, während alle anderen scheinbar im Wellness-Bereich der Business-Welt sitzen und als Partypeople der Produktivität täglich die Welt verändern.

    Es gibt kein Burnout, keine inneren Kündigungen und kein Mobbing – schmutzige Wäsche wird hinter verschlossenen Türen gewaschen. Und mal ehrlich: Wer will schon lesen, was er oder sie täglich selbst erlebt? Ein bisschen Business-Eskapismus in die perfekte Illusion ist da schon angenehmer. Anderseits: Mich langweiligen das ewige Gruppenkuscheln von Teams, die sich bedingungslos lieben, die Lobgesänge der Führungskräfte auf die Belegschaft, bevor sie Filialen schließen und Produktionsstätten dicht machen und die selbstherrlichen Hinweise, man irgendetwas für sich gelernt, als man den Umgang indigener Bergvölker mit Bienen beobachtet oder sich mit der Konstruktion von Lehmhütten in Kenia befasst habe.

    LinkedIn in ist so ein bisschen das Schlagerfest der guten Laune bei Social Media. Ich versuche, meine Kindern zu erklären, dass Social Media nichts mit dem realen Leben zu tun hat – da machen Business-Netzwerke keine Ausnahme. Im Nachrichtengeschäft gilt „bad news is good news“, bei LinkedIn gilt „only better news is good news“. Darum sind andere immer bunter, erfolgreicher, schöner und reicher.

    Vielleicht bin ich auch in der falschen Bubble und in anderen Kreisen geht es ganz anders zu – bei Beobachtungen in Social Media sind die blinden Flecken der Beobachter ein grundsätzliches Problem. Ich habe auch keine Lösung, wie man es anders machen könnte: Ein Netzwerk des alltäglichen Scheiterns wird vermutlich auch schnell eintönig und langweilig. Und vielleicht feiert man sich auch gerne mal öffentlich, weil man sich an dieser Sichtbarkeit auch für eine gewisse Zeit festhalten kann.

    Ich nutze LinkedIn inzwischen wie Instagram: Ich scrolle schnell durch, verteile an alle Bekannten wahllos und ungelesen Herzchen, weil ich weiß, dass sie sich darüber genauso freuen wie ich und bin dann überrascht, wenn ich an einem „thumbstopper“ tatsächlich mal hängenbleiben, weil dort mal etwas anderes anders erzählt wird.

    Lasst uns einander überraschen – so bleibt LinkedIn lesenswert!

  • #Zukunftscheck: Prognosen aus „Die Datenfresser“

    #Zukunftscheck: Prognosen aus „Die Datenfresser“

    Wir alle lieben es, wenn Menschen einen Blick in die Zukunft werfen. Und noch spannender wird es, wenn wir die Gelegenheit haben, diesen Prognosen zu überprüfen. Erinnert ihr euch noch an den 21. Oktober 2015? Das ist der Tag in der Zukunft, an dem Marty McFly im zweiten Teil von „Zurück in die Zukunft“ reist, um seinen Sohn zu helfen. Als der Film 1989 in die Kinos kam, lag diese Zukunft 25 Jahre vor uns – inzwischen liegt sie mehr als fünf Jahre hinter uns. Auch die düstere Zukunft des ersten „Blade Runner“-Films, dessen Handlung am 20. November 2019 beginnt, blieb uns in dieser Form erspart. Die Ereignisse der Matrix-Trilogie ereilen uns erst in über 170 Jahren und wann die „Tribute von Panem“ spielen, scheint irgendwie nicht ganz klar zu sein.

    Aber es muss ja nicht immer das ganz große Kino sein und nicht immer direkt ganze Jahrhunderte zwischen dem Erstellen der Prognose und dem prognostizierten Zeitraum liegen. In dem Sachbuch ⏩ „Die Datenfresser“ von Constanze Kurz und Frank Rieger aus dem Jahr 2011 sind es gerade mal zehn Jahre – und den Beginn der kleinen Geschichte aus der Zukunft habe ich auch prompt verpasst. Sie beschreiben ab Seite 206 „Wohin die Reise geht: Drei Tage im Jahre 2021“ – beginnend am 21. April 2021.

    Es geht gar nicht darum, sich lustig zu machen – ganz im Gegenteil: Es ist ausgesprochen mutig sich mit einer Prognose zitierbar zu machen – vor allem, wenn eine Überprüfung zu Lebzeiten noch sehr wahrscheinlich ist. Zehn Jahre sind kein wirklich langer Zeitraum für einen Blick in die Zukunft. Daher denke ich, sind die Vorstellungen der beiden Autoren in Bezug auf ihr Kerngebiet rund um Datenflüsse und Datenhaltung vermutlich recht treffend: Nachrichten sind personalisiert nach dem Klickverhalten, die Schlafqualität wird überwacht, flächendeckende Gesichtserkennung an allen öffentlichen Orten. Krankenkassen nutzen Fitnessdaten für die Festlegung ihrer Tarife. Grenzkontrollen erfolgen anhand biometrischer Daten. Da sind wir schon oder kurz davor – das passt also.

    Die Rahmenbedingungen sind nicht so – aber ein interessantes Alternativ-Szenario: Auf Grund von Mineralöl-Mangel ist Autofahren für die meisten Menschen in unserem verunmöglicht. Es gibt eine extrem hohe Innenstadt-Maut und ansonsten fährt elektrisch, wer sich das leisten kann. Die meisten Menschen benutzen öffentliche Verkehrsmittel oder das Fahrrad. Fahrräder sind bei Öko-Extremisten besonders beliebten, ganz besonders die alten Modelle ohne digitale Registriernummer.

    Kleinteile werden mit Flugrobotern zugestellt. Der Trend geht zu langlebigen Produkten, weil die Öl- und Metallreserven des Planeten zu knapp für schnelllebige Produktzyklen ist. Inhabergeführte Cafés gibt es nicht mehr und Island ist das letzte freie Land der Welt. An manchen Stellen ist diese Zukunft gar nicht so schlecht.

  • Pseudo-Transparenz polarisiert

    Pseudo-Transparenz polarisiert

    Ich frage mich schon seit längerem, was aus dem Internet und insbesondere Social Media geworden ist. Dünnhäutige „Allerwelts“-Expert:innen keifen sich aufgepeitscht an, jede:r stellt alles in Frage und zeigt mit dem Finger auf die anderen, die die Dummen sind. Etliche empfinden die Medien als ‚gleichgeschaltet‘ und es wird nach ‚alternativen Medien‘ Ausschau gehalten. Was ist hier passiert? Früher sind wir doch auch nicht alle direkt aneinander geraten, wenn außergewöhnliche Ereignisse unsere kleine, alltägliche Lebenswelt erschüttert haben.

    „Der Postillion“ bringt es mit seinen satirischen Beitrag über ⏩ „Tschernobyl-Leugner“ auf den Punkt:

    Was wusste man damals? Nur, das was über die Medien, die Regierung und die Verwaltung mitgeteilt wurde. Man guckte maximal, ob Regenwolken aus dem Osten kamen und verzichtete auf das Pilzesammeln im Wald. Was konnte man selber recherchieren? Was konnte man machen? Was konnte man zur öffentlichen Diskussion beitragen? Nichts.

    War das gut? Nicht unbedingt. Hat es uns geschadet? Nicht unbedingt.

    25 Jahre später hatten wir die nächste Nuklear-Katastrophe – diesmal in Japan, diesmal mit dem Internet. Diesmal lassen wir uns nichts mehr vormachen – besonders in Deutschland nicht. Fukushima ist zu Fuß von Deutschland etwas über 12.000 km entfernt, nach Tschernobyl sind es keine 1.500 km. Aber diesmal konnten wir was tun: Wir hatten ja nun das Internet und auf einmal ist Japan näher als die Ukraine. Social Media brummt, ⏩ Geigerzähler sind deutschlandweit ausverkauft und japanische Produkte bleiben in Supermärkten liegen. Behauptungen lösten Beweise ab, Mutmaßungen und Meinungen machten die Runde.

    Für mich war es ein Stück weit der Punkt, an dem die sozialen Medien ihre Unschuld verloren haben: Hass, Häme und Halbwissen wurden nun Alltag. Schließlich kann sich jeder seine eigene Meinung bilden und es gab keinen Berg mehr, hinter dem man diese halten müsste. Jeder sucht und findet im Netz die Zahlen, Aussagen und Zitate, die zu seiner jeweiligen Weltsicht passen. Wer das nicht so sieht, der will es nicht sehen. Alles ist für die Kritik offen, denn Lösungen muss ich nicht präsentieren.

    Es ist inzwischen nur noch ein Glaubenskrieg: Entweder man glaubt etwas oder nicht und dann kämpft man dafür oder dagegen – mit allen Mitteln, die einem zur Verfügung stehen. Wer nicht ‚mitglaubt‘, ist ein Verräter, muss niedergeschriehen und als Idiot abgestempelt werden. Denn die Wahrheit ist doch so klar und offensichtlich und doch nur einen Mausklick entfernt. Wir schauen alle durch trübes Milchglas auf die Welt und glauben doch, den einzig richtigen Weg sehen zu können.