Schlagwort: Geschichte

  • Gelesen: Journalismus in Sepia?

    Gelesen: Journalismus in Sepia?

    Ich war eigentlich nie „Fan-Boy“ von irgendetwas oder irgendwem. Aber ich muss zugeben, dass ich die Reportagen von Alexander Osang in der Berliner Zeitung immer äußerst lesenswert fand. Sie waren auch ein Grund dafür, warum ich während meines Publizistik-Studiums in Berlin die „Berliner Zeitung“ abonniert hatte, anstatt den „Tagesspiegel“, den Publizistik- und Politik-Studierende eigentlich eher lasen.

    Tatsächlich kaufte ich mir auch einen der ersten Sammelbände mit den „Nachwende“-Reportagen aus der Berliner Zeitung. „Das Jahr Eins. Berichte aus der neuen Welt der Deutschen“ (erschienen 1992 im Verlag Volk & Welt) war tatsächlich bereits das zweite Buch – bis heute im Jahr 2024 sind 19 weitere erschienen. Das jüngste Buch erschien 2022, heißt „Das letzte Einhorn“ und versammelt 19 ausgewählte Spiegel-Reportagen aus zwölf Jahren.

    Wenn man diese Reportagen geballt an einem Stück liest, ist das ein wenig so, wie ein Movie-Marathon mit Till-Schweiger-Filmen aus den 2000er Jahren: Bei Schweiger ist alles sepia-farbend, bei Osang alles latent deprimierend. Die Hauptfiguren in den Reportagen wirken immer irgendwie verloren, deplatziert, orientierungslos. Ihre Jackets sind eine Nummer zu groß, sie wissen nicht, wohin mit den Händen, gehen durch die falsche Tür ab. Man hat das Gefühl, der Lack sei ab und der Kaiser eigentlich nackt.

    Wenn man von einem Menschen alles abklopft, was das Leben auf ihn drauf geworfen hat, sind wir alle nackt und klein, Maden, die sich winden, weil sie ungeschützt sind. Vielleicht lernt man das so in der Journalistenschule oder das ist sein Ding: Geh der Sache auf den Grund, zerlege alles in seine atomaren Bestandteile und stell dann fest, dass alle Bausteine eigentlich gleich aussehen.

    Es sind größtenteils Geschichten von Menschen mit ostdeutschen Biographien oder Geschichten von Menschen, die mit ostdeutschen Biographien konfrontiert werden. Da war es wieder: Das Stichwort „Ostbewusstsein“, mit dem ich mich ⏩ hier jüngst auch schon auseinander gesetzt habe. Als ich vor über 30 Jahren den ersten Sammelband mit Begeisterung gelesen habe, habe ich diese gedankliche Brücke noch nicht schlagen können. Inzwischen habe ich das Gefühl, dass unter anderem genau auch diese Art der Reportagen Gehwegplatten auf dem Weg der Wahrnehmung waren, der zu diesem kollektiven Lebensgefühl geführt hat.

    Reportagen und Reportagen-Klassiker

    Auf jeden Fall hat mich die Lektüre des Sammelbandes „Das letzte Einhorn“ zurück zu meinem Bücherregal geführt, dem ich eine alte DDR-Ausgabe des „Rasenden Reporters“ von Egon-Erwin Kisch in der Bearbeitung von Bodo Uhse von 1950 entnahm, um diese endlich mal ganz durchzulesen. Alexander Osang ist regelmäßig für den renommierten Journalismus-Preis nominiert, der nach dem stilprägenden Reportage-Journalisten der 1920er und 1930er benannt wurde. Erhalten hat Osang den gleichnamigen Preis 1993, 1999 und 2001 „und wurde so regelmäßig für diesen nominiert, dass Journalistenkollegen schon vom ‚Osang-Preis‘ spotteten“, wie bei ⏩ Wikipedia nachgelesen werden kann. Ich lese jetzt erstmal das Original.

  • history repeating: Büro-Automation und KI

    history repeating: Büro-Automation und KI

    Geschichte und Geschichten wiederholen sich – heißt es. Das gilt scheinbar auch für Diskussionen über Veränderungsprozesse. Ich weiß leider nicht mehr ganz genau, wie ich auf das kleine Büchlein „Die Programmierer – Eliten der Automation“ von Karl Bednarik von 1965 (in der Fischer Taschenbuch-Ausgabe von 1967) gestoßen bin. „Karl Josef Franz Bednarik war ein Wiener Maler und Schriftsteller mit sozialkritischem Engagement“, kann uns ⏩ Wikipedia berichten. Er lebte von 1915 bis 2001, war gelernter Buchdrucker und Elektroschweißer, der sich autodidaktisch zum Künstler weiterbildete. Nebenbei verfasste er gesellschaftskritische Schriften wie unter anderem einen utopischen Roman mit dem viel versprechenden Titel „Omega Fleischwolf“, den ich sicher auch noch mal lesen werde, wenn ich ihn in die Finger bekommen sollte.

    Abgesehen davon, dass ich es unterhaltsam finde, ältere Bücher zu lesen, in denen Prognosen über (teilweise inzwischen bereits vergangene) Zukünfte erstellt werden, stieß ich bei Bednariks Programmierer-Buch, auf eine Diskussion, die wir heute führen und deren Argumenten wir teilweise direkt übernehmen könnte, wenn wir das Wort „Computer“ durch die Worte „künstliche Intelligenz“ ersetzen. Der Autor beobachtet, beschreibt und bewertet den Wandel der Verwaltungsberufe durch die Einführung elektronischer Datenverarbeitung vor gut 50 Jahren: „Nachdem die Maschine dem Menschen sehr viel Handarbeit abgenommen hat, ist sie nun auch dabei, ihm die Kopfarbeit zu enteignen, zumindest große Teile dessen, was bisher als Kopf- und Geistesarbeit angesehen wurde.“ (S. 9)

    Parallelen zur Diskussion um KI liegen auf der Hand

    Bednarik sieht nicht in erster Linie die Technik als Bedrohung der Bürovorsteher (mit Verweis auf Zemanek nennt er Großrechner ‚gigantische Vollidioten‘, die nur mit den Fingern rechnen könnten, davon aber Millionen hätten – vgl. S. 68), sondern deren Bediener: „Das sind die Programmierer, jene Spezialisten, die Arbeitsabläufe vordenken und festlegen, die mit Hilfe technischer Anlagen Planung, Ablauf und Vertrieb ganzer Industrieproduktionen bestimmen.“ (o. S. – Klappentext vor dem Schmutztitel). Ohne technische oder kaufmännische Kenntnisse analysieren und zerlegen sie alle Arbeitsabläufe und legen sie als Programmabfolge für die Datenverarbeitung fest. Damit steuern sie de facto den ganzen Betrieb ohne zum Management zu gehören, orientieren sich dabei an einer Idealform und entwerfen so „eine neue Organisationsform als abstraktes Modell“ (S. 73).

    Die Grenzen der Automatisierung liegen darin, dass sich die Computer nicht selber erzeugen oder programmieren können und dass maschinelle Entscheidungen durch die Programmierung vorbestimmt seien (vgl. S. 20). Das kommt uns bei KI anders vor, obwohl auch hier im Kern nur Nullen und Einsen Abläufe bestimmen, aber die ‚gigantischen Vollidioten‘ inzwischen Milliarden Finger haben und die Programme eine Komplexität erreicht haben, die die Vorstellungskraft der meisten Menschen übersteigt. Letztendlich laufen auch hier nur Routinen nach vorgegebenen Schemata ab – auch oder gerade in der Logik der Kombinatorik mit anderen Datenbeständen. So programmiert sich eine KI selber nach vorgegebenen Programmabläufen.

    Während Bednarik seine Erkenntnisse auf der Grundlage von Beobachtungen auf Basis der Einführung erster Großrechner mit Lochstreifen und Magnetbändern gewinnt, wissen wir nun – 50 Jahre später – wie Computer in alle Bereiche unseres Lebens vorgedrungen sind. In weiteren 50 Jahren werden wir auch wissen, in weit weit künstliche Intelligenz Alltag und Beruf verändert haben wird. Eine Prognose von damals wird dabei auch in der aktuellen Diskussion häufig gehört: „Wenn eine Verringerung des Büropersonals erfolgt, dann nur bei eintönigen und langweiligen Routinearbeiten.“ (S. 123 – rezit. Levin) Kommt einem irgendwie bekannt vor, oder?

  • Ost und West: Wir müssen reden!

    Ost und West: Wir müssen reden!

    Ich habe lange gezögert, ob ich überhaupt etwas zu diesem Thema schreiben sollte. Wenn jemand aus der alten Bundesrepublik etwas über die Einstellung der Menschen, die in dem Teil Deutschlands leben, der die ehemalige DDR war, ist das ein bisschen so, als würde ein Mann etwas zum Thema Menstruation beitragen wollen: Wer ist nicht selber erlebt hat, der möge gefälligst die Klappe halten!

    Aber es nützt nichts: Wir müssen reden und wir müssen zuhören. Und wir müssen verstehen, warum es dem anderen vielleicht schwerfällt, die Dinge, über die wir reden, zu verstehen. Dann müssen wir noch mehr reden und noch mehr zuhören. Das hilft grundsätzlich bei jeder Form von Beziehung: Bei einem Paar, dass nach vielen Jahren Ehe das Gefühl hat, nur noch nebeneinanderher zu leben, aber auch bei Menschen, die von der westdeutschen Geschichte oder der ostdeutschen Geschichte geprägt wurden. Es ist nicht einmal notwendig, in der ehemaligen DDR geboren zu sein, auch Generationen von sogenannten „Nachwendekindern“ empfinden sich weiterhin beziehungsweise nun erst recht als „Ossis“. Und es waren die „Wessis“, die den Ostdeutschen zum „Ossi“ gemacht haben. Wenn ich es richtig gelesen habe, dann ist die Geschichte der deutschen Wiedervereinigung auch eine Geschichte der Missverständnisse sowie der Stigmatisierungen.

    Die Mauer ist weg, aber eine deutsche Einheit, die diesen Namen verdient hätte, hat es nie gegeben. Rechts und links des ehemaligen eisernen Vorhangs bleibt man zu verschieden. Und weil das lange Zeit nicht so gesehen wurde, nun erst recht!

    „Die ostdeutsche Identität der Nachwendekinder sind insgesamt eine Reaktion auf drei Dinge“, schreibt ⏩ Valerie Schönian in ihren Buch ⏩ „Ostbewsusstsein“ auf Seite 94 und zitiert dann den Sozialwissenschaftler Daniel Kubiak: „Die Sozialisationserfahrung mit ostdeutschen Eltern, der pauschalisierende Schulunterricht und das Gefühl der Fremdzuschreibung als Ostdeutsche.“ Man wird nicht als „Ossi“ geboren, sondern zum „Ossi“ gemacht: Durch die Eltern, die ostdeutsche Sozialisation und die Medien.

    Das ist alles an sich logisch und nachvollziehbar: Wenn sich ein politisches Gesellschaftssystem auflöst, bleiben die Menschen, die darin aufgewachsen geprägt von den Werten, die das bisherige System vermittelt hat. Davon werden sie einiges – vermutlich größtenteils unbewusst und als Sub- oder Kontext – auch an nachfolgende Generationen weitergeben. Das gelte auch für jegliche Traumata: „Unsere Untersuchungen und die anderer haben ergeben, dass durch die Fähigkeit des Menschen zur Resonanz traumatische und andere belastende Erfahrungen von Eltern an die nächste und übernächste Generation weitergegeben werden können.“ Das schreibt ⏩ Udo Baer in seinem Buch ⏩ „DDR-Erbe in der Seele“ auf Seite 178. Diese Weitergabe erfolgt nicht verbal, sondern auf der emotionalen Ebene. Natürlich muss man hier vorsichtig sein, denn Baer ist als Kind mit seinen Eltern aus der DDR geflohen und gilt eigentlich so als „Westdeutscher“. Die nonverbale Weitergabe von Traumata gab es natürlich auch schon vor der DDR: Wer im Dritten Reich sozialisiert wurde, konnte nach dem Krieg nicht aus seiner Haut – aber solche Zusammenhänge wurden eher totgeschwiegen, denn die junge Republik hatte andere Sorgen.

    Das Schweigen der Eltern- und Großelterngeneration ist grundsätzlich problematisch, denn es verhindert an ihren Erfahrungen lernen und durch Verständnis die eigene Situation reflektieren zu können. Insoweit ist es zu begrüßen, dass eine jüngerer Generation in Ostdeutschland Geborener diesen Dialog sucht und einfordert – so wie es ⏩ Johannes Nichelmann tut und seine eigenen Erfahrungen eindrucksvoll und ausführlich in seinem Buch ⏩ „Nachwendekinder. Die DDR, unsere Eltern und das große Schweigen“ festhält.

    Ganz mein Reden: Wir müssen reden!

    Was bei Schönian (vgl. u.a. S. 91) und Nichelmann (vgl. u.a. S. 56ff) grundsätzlich mitschwingt: Erst die Konfrontation mit Westdeutschen habe aus den Ostdeutschen „Ossis“ gemacht. Ursprünglich hätten sich viele nur als „Deutsche“ gesehen, aber das westdeutsche Empfinden der Osten sei etwas Fremdartiges, habe eigentlich erst zur Ausprägung einer Ostidentität geführt. Ob Reisewarnungen in den Westen geholfen hätten? Man weiß es nicht. Aber wenn man das so liest, könnte man meinen, dass die Ostdeutschen die Opfer sind. Bewerten möchte ich das an dieser Stelle nicht (auch an keiner anderen).

    Diese Abgrenzung zeige sich auch in der Wahrnehmung, dass ein Problem in Ostdeutschland ein ostdeutsche Problem sei, wohin gegen ein Problem in Westdeutschland ein gesamtdeutsches sei: „Eine Reaktion auf dieses Phänomen ist eine Identitätsbildung der separierten Gruppe.“ (Nichelmann, S. 59) Die Ausgrenzung der einen stiftet die Identität der anderen.

    „Ostdeutschland muss als Sozialisationsraum etabliert werden“, fordert eine Gesprächspartnerinnen von Valerie Schönian (S. 59) und die Autorin ergänzt später, dass vorherige Generationen „ihr Ostdeutsch-Sein am liebsten ablegen. Ich will es mir erobern.“ (S. 74) Das mag auch einfacher möglicher sein: „Wo noch nicht alles da ist, kann mehr Neues entstehen. Wo Platz ist, lässt sich besser atmen.“ (S. 84) Das ist natürlich alles legitim und machbar. Deutschland ist ein bunter Flickenteppich regionaler Identitäten und jeder findet noch jemanden, von dem er sich abgrenzen kann: Die Kölner von den Düsseldorfern, die Duderstädter von den Eichsfeldern, die Franken von den Bayern.

    Ich habe nichts dagegen, dass jemand seine „Ost-Identität“ auslebt, so wie manche Bayern, die gerne ihre „Mia san mia“-Mentalität in Lederhosen und Seppelhut ausleben – finde ich zwar lächerlich (also Lederhosen und Seppelhut), aber ich bin auch tolerant, so lange jeder seinen eigenen Stiefel durchzieht und niemanden dafür schlecht macht (so wie ich gerade ein bisschen). Interessant ist, dass es aber im Gebiet der ehemaligen DDR weniger um Spreewald versus Erzgebirge geht, sondern um ostdeutsch gegen westdeutsch.

    Dahinter steckt das Meme vom Migrant im eigenen Land

    Es taucht immer wieder das Motiv auf, dass den Ostdeutschen durch die Auflösung der DDR der Zugang zu ihrer Vergangenheit fehle: „Ich fühle mich wie ein Einwandererkind, wie der Sohn von jemanden der aus der Türkei hergekommen ist. Der kann, wenn er will, sich das Land seines Vaters anschauen. Ich kann es nicht.“ So zitiert Nichelmann eines der Nachwendekinder, mit denen er spricht (S. 87). Auch Maximilian geht es so: Er „fühlt sich wie das Kind von Einwanderern, das die Heimat seiner Eltern nicht mehr besuchen kann, denn sie ist schlichtweg nicht mehr existent“. (S. 126)

    Es mag fadenscheinig klingen, aber den wenigsten von uns sind Zeitreisen möglich.

    Ich weiß, dass ich gleich ausgebuht werden, aber mit der DDR ist eigentlich auch die alte BRD verschwunden. Das mag sich vielleicht für viele nicht so angefühlt haben, aber auch das Deutschland, in dem ich aufgewachsen bin, ist verschwunden. Ich bin im Zonenrandgebiet aufgewachsen, was es in dieser Form nur geben konnte, weil es die DDR gab – inklusive „kleinem Grenzverkehr“ und „Zonenrandförderung“. Mit dem Untergang der DDR veränderte auch die Kleinstadt im ehemaligen Zonenrandgebiet ihr Gesicht: Mit der wegfallenden Förderung zogen auch etliche Industriebetriebe weg und die Bundeswehr-Einheiten wurden weiter östlich verlegt. Damit gingen Arbeitsplätze und somit auch Einwohner verloren – zwischenzeitlich fast 30 Prozent. Inzwischen positioniert sich das Städtchen als Seniorenparadies.

    Meine Kinder können es nicht mehr sehen, wie es vorher war – dieses Fehl wird bei ihnen nun folgerichtig zur Ausbildung einer starken Südniedersachsen-Identität führen. Oder vielleicht auch nicht. Ist vielleicht auch besser so. Mein Vater ist 1956 aus Ungarn geflohen: Das Land gibt es noch und ich kann da noch hinfahren. Aber auch das heutige Ungarn hat so gut wie gar nichts mehr mit dem Ungarn zu tun, aus dem mein Vater geflohen ist. Genauso wenig, wie die heutige Türkei, dem Land ähnelt, aus dem die „Gastarbeiter“ in den 1970er Jahren nach Deutschland kamen. Ich glaube, da machen sich einige nur etwas vor und romantisieren etwas, das so verloren ist wie der heilige Gral.

    Aber: Als Westdeutscher kann ich diesen Verlust natürlich nicht bewerten. Das steht mir nicht zu, denn im Westen hatten wir auch immer die bessere ökonomische Ausgangsposition, da – wie Valerie Schönian auf S. 86 schreibt – „wir ostdeutschen Nachwendekinder weniger Zahnarztpraxen erben werden als manch westdeutsche Altersgenossen“. Das stimmt: Ich habe sieben Zahnarztpraxen geerbt – und ihr so? Mal ganz ehrlich: Ich kenne nicht mal jemanden, der eine Zahnarztpraxis geerbt habt. Das macht mich nicht direkt zum „Ossi“, sondern wohl leider nur zu einem schlechten „Wessi“.

  • Vage Erinnerungen: Das Sopron-Project (Teil 1)

    Vage Erinnerungen: Das Sopron-Project (Teil 1)

    Erinnerungen sind mitunter trügerisch: Das, woran man glaubt, sich erinnern zu können, wird überlagert durch Gefühle, Empfindungen, Bewertungen und das, was andere darüber berichten – eingefärbt mit ihren Gefühlen, Empfindungen und Bewertungen. Kann man sich wirklich daran erinnern, wie der Polyacryl-Pulli immer so kratzte? War die Mauer hinter Omas Haus wirklich so hoch? Hatte man damals wirklich alle Schlümpfe im Setzkasten? Und waren es die beiden Nachbarskinder, die einem das Pausenbrot abnahmen und Katzen gegen den Strich streichelten?

    Ein guter Freund hat mir für den Abschluss des Studiums den guten Rat gegeben, meine Magister-Arbeit über ein Thema zu schreiben, das man schon immer möglichst allumfassend beleuchten wollte: Das ist das einzige, was einem in Anbetracht von sechs Monaten voller Recherchen, Analysen und Auswertungen bei der Stange halten kann. Und: Man wird sich nie wieder im Leben soviel Zeit nehmen, ein Thema so ausführlich behandeln zu können.

    Weise gesprochen – und so wahr. Zumindest für die meisten Lebensabschnitte. Wenn man älter wird, findet man manchmal Zeit, den ein oder anderen losen Faden noch mal aufzuheben – diesmal mit der Perspektive, das Thema abschließen zu können, so lange man dazu noch in der Lage ist.

    So ein Thema bei mir: Die Gedenktafeln von Sopron. Klingt komisch? Ist es auch irgendwie. Dahinter steckt eine vage Erinnerung. Ich weiß, dass ich als Kind – vielleicht mit 13 oder 14 Jahren (also vor gut 40 Jahren) – bei einer unserer Ungarn-Reisen, von dem Studienort meines Vaters in Westungarn sehr beeindruckt war. In meiner Erinnerung gingen wir durch die sozialistisch heruntergewirtschaftete Altstadt und mein Vater versuchte sich an Orte zu erinnern, die er zuletzt als Student besucht hatte. Bei der Rückbesinnung sehe ich die Häuser übersäht mit Gedenktafeln und als ich meinen Vater fragte, wer denn all diese berühmten Menschen seien, die man hier ehre, sagte er mir, dass man davon niemanden kenne. Das fand ich noch beeindruckender, denn ich fand bereits die hohe Dichte dieser Tafeln beeindruckend, aber dass diese für Menschen waren, die nicht einmal berühmt waren, beeindruckte mich noch viel mehr.

    So weit meine Erinnerung. Die Frage nur: Erinnere ich mich korrekt? Ist ja kein Problem: Google weiß schließlich alles! Mit der Wortkombination „Sopron“ und „Gedenktafel“ sprudelten die Treffer nicht so üppig wie erwartet – eine handvoll Verweise und am Fuß der ersten Trefferseite bereits der Link zu der ⏩ Sopron-Gedenktafel am Bundestag in Berlin. Das Ergebnis hatte mir eindeutiger vorgestellt. Nächster Anlauf: Nun wollte ich mir mit Bildersuche möglichst viele Bilder der Altstadt anzeigen lassen – wenn es da so viele Gedenktafeln gebe, wie ich meinte mich zu erinnern, dann müssten diese doch auf den Bildern zu sehen sein …

    Hm! Das war leider auch nicht so eindeutig, wie erhofft: Das hier auf diesem einen Bild, könnte eine Gedenktafel sein – wird leider nur unscharf, wenn man es vergrößert … Und hier auch … Aber das könnte auch ein Straßenschild sein oder auf eine Anwaltskanzlei oder Arztpraxis verweisen. So richtig befriedigend war diese Online-Recherche nicht.

    Letztendlich half da nur eines: Hinfahren und nachgucken! Der Plan stand und ich war gespannt, was mich in Sopron erwarten würde. Gewisse Risiken gab es: In 40 Jahren könnten die Häuser alle renoviert wurden sein und die Tafeln der Unbekannten dabei entfernt wurden sein. Mit dem Ende des Sozialismus hätte auch eine „Bereinigung“ des öffentlichen Gedenkens erfolgen können, so wie man aller Orten im ehemaligen Ostblock Marx- und Lenin-Denkmäler „entsorgt“ hat. In Ungarn hat man diesen Denkmäler der Vergangenheit eine Art Altersruhesitz in einem extra dafür angelegten ⏩ Skulpturen-Park gegönnt. Oder ich hatte mich einfach nur falsch erinnert.

    Anderseits waren die Risiken gering zu bewerten: Die Aussicht kurz nach der Lese den ⏩ Ponzichtern und ihren traditionellen Wein-Schenken einen Besuch abzustatten und bei schwacher Nationalwährung heftig und deftig pannonisch Schlemmen zu können, war nicht die Schlechteste. Gut 70 km südlich von Wien war auch in Ungarn mit guten Deutschkenntnissen zu rechnen. Vor allem, wenn man bedenkt, dass Sopron einst als Ödenburg die Hauptstand des Burgenlandes werden sollte. Die Recherche-Reise würde sich also so oder so lohnen und ich war gespannt.

    Im Oktober 2021 sollte ich mehr wissen und schlauer sein.

    Soviel sei als Spoiler hier schon mal verraten: Ja, es gab eine Menge Gedenktafeln in Sopron und es war deutlich anders, als ich es in Erinnerung hatte.

  • Begegnungen mit Beuys – Teil 2

    Begegnungen mit Beuys – Teil 2


    Jetzt muss ich mich aber sputen, um noch vor Ablauf des „Beuys-Jahres 2021“ den zweiten Teil meiner Begegnungen mit Beuys zu liefern. Ging es im ⏩ ersten Teil eher um reale Begegnungen – mit dem Meister selbst 1992 auf der „documenta 7“ oder mit Tomasz Piwarski und Jenny Trautwein, die Sprößlinge aus den 7000 Beuys Eichen als ⏩ „Beuys Babys“ herangezogen haben – so geht es im zweiten Teil eher um einen neuen Blick eines Kunstlaien auf das Werk des Ausnahmekünstlers.

    Was würde sich für einen solchen zweiten Blick besser anbieten als Ausstellung, die anlässlich des Jubiläums zusammengestellt wurde? Die ⏩ Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen bot in der ersten Jahreshälfte im Düsseldorfer K20 ⏩ „Kosmopolitische Übungen mit Joseph Beuys“ an. In der Einleitung des korrespondierenden ⏩ Webseite heißt es dazu: „Sein 100. Geburtstag im Jahr 2021 bietet Anlass sein komplexes Wirken und seine internationale Ausstrahlung neu zu entdecken und kritisch zu befragen.“

    Also: Auf geht’s zum Neuentdecken und Hinterfragen! Mein erster Eindruck: Ich kam mir verdammt alt vor! Alles, was ich in meiner Jugend rund um Kunst als hipp und revolutionär abgespeichert hatte, wirkte piefig, oll und hatte Staub angesetzt. Videokunst, die auf VHS Kassetten aufgenommen wurde, leidet mit der Zeit. Unsere HD und Ultra-HD gewohnten Augen, wundern sich über über Graustufen, zuckelnde Bildraten und Streifen bei der geringen Auflösung. Allein die Technik lässt Vieles heute amateurhaft wirken was einst die Avantgarde war.

    Szenen einer Ausstellung – im Sommer 2021 im K20 in Düsseldorf

    Erschwerend kommt hinzu, dass Aktionskunst in erster Linie Kunst während der Aktion ist – also an einem Punkt der Zeitleiste, der schon lange zurückliegt. Dokumentarische Aufnahmen von Aktionskunst haben etwas von einer Fotokopie der Mona Lisa. Und sie sind mitunter lang: Wenn Joseph Beuys irgendwo vier Stunden auf einem Bein stand, wer von uns setzt sich heute vier Stunden vor einen Monitor und schaut sich die Performance in 600 x 400 Bildpunkten an? So war ich schneller mit der Ausstellung fertig als erwartet.

    Das ist keine Kritik an den Ausstellungsmachern. Eigentlich hatten sie die tolle Idee, den Arbeiten von damals aktuellere Beiträge zuzuordnen, die ähnliche Aspekte aufgreifen, weiterführen oder in ein neues Licht stellen. Das meiste davon waren dann noch mehr Videos.

    Weil ich nun Zeit gewonnen hatte, ging ich gleich auch noch in die zweite Ausstellung im Haus: ⏩ „Christoph Schlingensief. Kaprow City„. Wieder wurden Erinnerungen wach: Studentenzeit in Berlin mit einer gewissen Begeisterung für die gezielt gesetzten Provokationen, die von der Volksbühne kamen. Der Raum war dunkel und muffig. Darin ein „begehbares Bühnenbild“, dass aus Holzresten und Sperrmüll 2006 für die Volksbühne zusammengetackert wurde und danach in ein Schweizer Museum wanderte. Provokantes empfand ich nicht beim Betrachten. Für mich war das Angebot aus der Zeit gefallen. Ich fand davon nichts cool, sondern nur schmuddelig und ranzig. Nun, ich bin ja auch kein Kunstexperte.

    Meine persönlichen Bewertungen aus heutiger Sicht schmälern nicht die Leistungen der künstlerischen Arbeiten: Ich glaube, dass die Impulse, die Beuys auf jeden Fall (und Schlingensief vielleicht) gesetzt haben, für die Entwicklung der Kunst in der damaligen Zeit revolutionär waren und auf jeden Fall unsere Anerkennung verdienen. Unsicher bin ich mir jedoch bei der Frage, wie man diese Leistungen konserviert, wie man vergangene Zeitgeschichte einfängt und wieder zugänglich macht. Vielleicht sollten Erinnerungen der gute Nährboden sein, auf dem Neues wachsen kann.

    Womit wir wieder bei Tomasz‘ und Jennys kleinen Eichen wären. Ich hatte 2021 noch eine weitere virtuelle Begegnung mit ihrer Idee – und diese ereignete sich bei der Lektüre eines Buches, das bereits lange ungelesen in meinem Regal stand und versprach so gar nicht nichts mit dem Thema zu tun zu haben: ⏩ „Japanische Bergleute im Ruhrgebiet„. Aber ich staunte nicht schlecht, als ich auf Seite 234 auf die Geschichte von ⏩ Naoto Tajimas Eiche gestoßen bin. Der Goldmedaillengewinner im Dreisprung bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin war zeitweise der Verbindungsmann des deutsch-japanischen Bergbau-Programms. Die Gewinner erhielten neben den Medaillen und dem Lorbeerkranz noch einen Eichensetzling. Tajima pflanzte seinen am Rande des Leichtathletikfeldes der Landwirtschaftsfakultät der Kaiserlichen Universität Kyoto. Symbolisch genug starb der Baum nach dem Tod des Sportlers und seiner Frau ab. Es wurden Setzlinge aus den Zweigen gewonnen, von denen einer Kobe und ein anderer in Iwakuni weiterwächst.

    Auszug zu Naoto Tajimas Eichen-Bäumchen aus Atsushi Kataoka, Regine Mathias, Pia Tomoko Meid, Werner Pascha, Shingo Shimada (Hrsg.): „Glückauf“ auf Japanisch. Bergleute aus Japan im Ruhrgebiet (S. 234/235)

    Wer sich daran stört, dass diese an sich schöne Geschichte ihren Ursprung in den Olympischen Spielen der Nationalsozialisten hat, kann eine vergleichbare Spur bei den ⏩ „Lutherbäumen“ finden: „Insbesondere an runden Jubiläen von Ereignissen aus Luthers Leben oder der Reformationsgeschichte wurden vielerorts Lutherbäume gepflanzt.“ Etliche davon waren Setzlinge anderer Lutherbäume andererorts. So wie auch die riesige Lutherbuche vor dem Lübecker Dom, die 1873 als ein Ableger der Lutherbuche aus Bad Liebenstein in Thüringen zur 700 Jahrfeier des Domes in die Hansestadt kam, die wir ebenfalls im Sommer 2021 besuchten.

    Luther-Buche vor dem Dom in Lübeck

    Aber zurück zu Beuys: Im Herbst diesen Jahres bin ich doch noch mal auf die Suche nach dem Künstler gegangen. Und zwar in seine Geburtsstadt Krefeld – „umme Ecke“ von hier. Obwohl Beuys selber Kleve als seinen künstlerischen Geburtsort gewählt hat. Es passt zum Künstler, dass seine Geburt am 12. Mai 1921 eine Art Mysterium ist: In der offiziellen (Krefelder) Geburtsurkunde wird der „Dampfmühlenweg“ ohne Hausnummer angegeben – ⏩ man mutmaßt, dass er auf dem Gehweg, in einem Hauseingang oder einer Droschke geboren wurde. Seine Mutter soll behauptet haben ihren später berühmten Sohn beim Umzug von Kleve nach Krefeld im Straßengraben entbunden zu haben. Die damalige Meldeadresse: Alexanderplatz 5 in Krefeld. Dort hat der Joseph Beuys seine ersten drei Lebensmonate verbracht – und dort hängt auch eine Gedenktafel, die genau das besagt.

    Gedenktafel für Joseph Beuys in Krefeld

    Dies Verwirrspiel um seine Geburt macht mir Beuys als Freak irgendwie wieder sympathisch. Er bricht auch hier die klassischen Erwartungsmuster und schreibt Regeln neu, in dem er sich seinen Geburtsort selber wählt. So wie er 1980 in der TV-Sendung „Lebensläufe“ gesagt haben soll: „Also habe ich das Leben zum Kunstwerk erklärt.“ Das, finde ich, kann man so stehen lassen.

  • Begegnungen mit Beuys – Teil 1

    Begegnungen mit Beuys – Teil 1

    Wir haben das Beuys-Jahr: 2021 wäre der Ausnahmekünstler mit dem Hut 100 Jahre alt geworden. Und zwar am 12. Mai. Das ist jetzt schon ein bisschen vorbei – aber das Jahr ist ja noch nicht ganz zu Ende. Ich hatte gar nicht vor, mich mit Beuys gedanklich auseinanderzusetzen, aber es gab in diesem Jahr ein paar Begegnungen mit Beuys, die mich darüber nachdenken ließen, was seine Art für uns bedeuten könnte.

    Als Kind, das im südlichsten Zipfel Niedersachsens aufwuchs (also eigentlich fast schon an der Stadtgrenze zu Kassel), war ich schon früh (und seit dem regelmäßig) Besucher der ⏩ documenta. Diese ist ja nur alle fünf Jahre und da fällt es schwer, sie zu verpassen. Die „d7“ 1982 war meine Premiere: Das war die documenta, auf der Joseph Beuys seine 7000 Eichen (inkl. Basaltstein) aufstellen wollte.

    Fotos aus der Beuys-Ausstellung im Düsseldorfer K20 im Jahr 2021.

    Zugegebner Weise hatte ich mit 14 noch keinen Zugang zu (moderner) Kunst. Es war viel los in der Provinz und das an sich war schon spannend. An richtig viel kann ich mich nicht erinnern, aber daran, dass ich mit Joseph Beuys einen Kaffee trinken war. Und das kam so: Ich war auf einer Radtour mit der Jugendgruppe aus Großvaters Kirchengemeinde unterwegs und Beuys war in Kassel um den mit rosa Farbe übergossenen Haufen Basaltsteine zu begutachten. Scheinbar gab es viele Leute, die ein ähnliches Kunstverständnis wie ich damals hatten und fanden die Aktion blöd. Beuys guckte seine Steine an und wir guckten Beuys an. Er trank dabei Kaffee aus einem Plastikbecher, den er zerdrückte und wegwarf (das machte man in den 1980er Jahren noch). Mein Großvater sagte: „Heb den auf, da war der Künstler dran: Das ist jetzt Kunst!“ – Wir lachten, ich ließ den Becher liegen, der mir heute vielleicht ein Häuschen bezahlt hätte. Da der Kaffee wohl nicht so lecker war, machte Joseph Beuys einen großzügigen Kreis mit seinem Arm und sagte: „Kommt, wir gehen alle in der Café da drüben und trinken erstmal Kaffee!“ Mein Großvater war sich ganz sicher, dass wir von dieser Armbewegung mit eingeschlossenen waren und so gingen wir mit uns ließen uns vom Künstler einen Kaffee bezahlen. Zugegeben: Ein richtiges Kaffeetrinken mit Künstler stellt man sich anders vor, aber letztendlich trank ich einen Kaffee, den Beuys (oder jemand aus seiner Entourage) bezahlt hatte – wobei ich mit 14 Kaffee nicht mal mochte.

    Spuren der Vergangenheit: Es ist schon interessant, was man 14-jährig auf einer documenta so fotografiert. Wir stehen vermutlich auf den Basaltsteinen, aber sind scheinbar nicht auf die Idee gekommen, die Steine selber zu fotografieren. Daneben die Eintrittskarte zur d7.

    Im selben Jahr brachte der Mann mit Hut eine Platte heraus ⏩ („Sonne statt Reagen„), die fälschlicher Weise unter „Neue Deutsche Welle“ einsortiert wurde. Ich kaufte sie trotzdem brav als Maxi-Single – wir waren jung, friedensbewegt und gegen Atomkraft. Passte alles. Außerdem wusste man wieder nicht, ob der Künstler das alles so richtig ernst meinte und das gefiel mir. Insgesamt gefielen mir diese Provokationen und die Neudefinition des Kunstbegriffs – auch, wenn ich vermutlich nicht alles richtig verstanden habe. Moderne Kunst hatte was von Rock’n’Roll: Die ältere Generation fand keinen Zugang und alles war nur Müll und Schmiererei. Das fand ich gut – bei Elvis war das genauso.

    In einem gut ordneten Haushalt geht nichts verloren: Diese Schallplatte befindet sich in meiner Vinyl-Sammlung im Keller.

    In Berlin (während meines Studiums) in den 1990er Jahren war Beuys irgendwie nicht so präsent: Die Nationalgalerie zeigte Anselm Kiefer, in einem abrissreichen Mauerhaus trug eine Frau schreiend Gedichte für ihre Gebärmutter vor, während in SO36 irgendwie Aktionskünstler Wassermelonen penetrierten. Beuys verschwand aus meiner Wahrnehmungshorizont. Das war nicht weiter schlimm und hätte meinetwegen auch so bleiben können.

    Mit dem Umzug nach Düsseldorf änderte sich ein bisschen: Am Niederrhein und besonders in Düsseldorf ist Beuys noch anders präsent: Man hat ja auch nicht so viel anderes. Hier gab es die Kunstakademie, an der Beuys erst gelehrt hatte und dann nicht mehr, das ⏩ Ofenrohr an der Fassade des Kunsthalle am Grabbeplatz in der Altstadt und in ⏩ Schloss Moyland wurde mit den Beständen der ehemaligen Privatsammlung der Brüder van der Grinten ein Forschungszentrum errichtet. Wer noch mehr sehen will, dem hat das Tourismus-Büro Düsseldorf die Click-Bait-Tour ⏩ „10 Beuys-Orte in und um Düsseldorf, die man kennen muss“ zusammengestellt.

    Meine kleine Serie neuerlicher Begegnungen mit Beuys setzt kurz vor dessen 100. Geburtstag ein. Ich betreue die Social Media Kanäle des Bau- und Liegenschaftsbetriebs Nordrhein-Westfalens. Weil wir für viele Nutzerinnen und Nutzer nicht immer gleich die erste Wahl und Anlaufadresse sind, suche ich Anküpfungspunkte zu Themen die „trenden“ könnten. Ich dachte mir: „Wir haben doch bestimmt irgendetwas in unserem Grundstücks- und Gebäudeportfolio, was mit Beuys zu tun hat.“ – Hat der BLB NRW auch: Zum Beispiel das Gebäude der Kunstakademie in Düsseldorf als öffentliche Hochschule.

    Dann stieß ich bei Online-Recherchen auf eine der 7000 Eichen aus Kassel – die einzige, die ihren Weg in den damaligen Wohnwort des Künstlers geschafft hat. Nicht nur das: ⏩ Beuys hat den Basaltstein selber mitgebracht und war bei der Pflanzung am 23. November 1983 anwesend. Baum und Stein waren gedacht als Geschenk zum 50. Geburtstag des damaligen Wirtschaftsministers Reimut Jochimsen vom Vorstandsvorsitzenden der WestLB, Friedel Neuber.

    Bei der Idee, war die Eiche Beiwerk zum Basaltstein – jetzt wirkt es umgekehrt. Im Hintergrund: Die Staatskanzlei an der Rheinuferpromenade.

    Hier schon mal ein kleiner Spoiler: Die kleine Rasenfläche am Rande des Horion-Platzes an der Haroldstraße 4 ist im städtischen Eigentum, aber es liegt direkt vor dem Gebäude des Wirtschaftsministeriums, was wiederum zum Portfolio des BLB NRW gehört – sagen wir mal so: Das Kunstwerk steht vor einem der Gebäude, die wir verwalten.

    An 09. Mai 2021 machte ich mittags bei herrlichsten Sonnenschein auf dem Weg zu Baum und Stein. Als erstes begegnet ich dort einem Obdachlosen, der an den Baum gelehnt schlief (was die Perspektivenwahl beim Fotografieren etwas einschränkte). Dann traf ich noch zwei Personen, die ebenfalls zum Bildermachen vor Ort waren und weil ich die selbe Motivation vermutete habe ich sie angesprochen.

    Einer von ihnen von war Tomasz Piwarski, bildender Künstler und Meisterschüler der Düsseldorfer Kunstakademie. Er hat gemeinsam mit Jenny Trautwein Sprößlinge der 7000 Beuys Eichen aus deren Früchten gezogen, für die die beiden nun im Jubiläumsjahr als „Beuys Babys“ Paten für erneute Auspflanzung suchen. Auf der ⏩ Projekt-Website schreiben die beiden dazu: „Wir haben die Eichensamen der „Beuys Eichen“ 2020 liebevoll gesammelt, in unsere Obhut genommen und auf unserem Düsseldorfer Stadtbalkon in selbstgenähten „Häusern“ gehegt und gepflegt. Sie wachsen gemeinsam auf, sind Geschwister und tragen die Vision der „7000 Eichen“ von Joseph Beuys in sich und in die Welt. Wir wollen die Eichen virtuell in einer Foto Galerie wieder vereinen und dadurch eine Gemeinschaft der Baumpaten erschaffen. Wir freuen uns auf Ihre Mitgestaltung.“

    Am 05. Juni 2021 wurden die „Beuys-Babys“ in der Galerie „D-Mitte“ in der Ausstellung „Eichenaura Teil 1“ vorgestellt.

    Ich fand die Idee direkt super sympathisch. Tomasz erzählte mir dabei auch von seiner persönlichen Begegnung mit Joseph Beuys. Er habe an die Düsseldorfer Kunstakademie gewollt, war aber unsicher mit welchen Arbeiten er sich dort bewerben sollte. Er hat es irgendwie geschafft, zum Künstler, der nach seiner Entlassung durch Minister Rau nicht mehr an der Akademie lehren, aber nach arbeitsrechtlichen Prozessen in seinem Atelier „Raum 3“ als Geschäftsstelle der „Free International University“ (FIU) weitermachen durfte, vorzudringen, der daraufhin die Mappe kritisch durchging. Piwarski hat sich an die Tipps und Ratschläge gehalten, hat in der Nacht durchgearbeitet und wurde mit der Mappe, die er am nächsten Tag abgab, angenommen.

    Eine deutlich andere Begegnung als eine unbeabsichtigte Kaffee-Runde in Kassel.

    Von weiteren Begegungen mit Beuys in 2021 erzähle ich im zweiten Teil.