Das Thema der schweigenden Mehrheit taucht immer häufiger auch im Zusammenhang mit Social Media auf. Medien sind grundsätzlich keine basisdemokratische Veranstaltung, in der alles stets ausgewogen sein muss, aber es lässt sich nicht von der Hand weisen, dass einige besonders umtriebige „Stimmungsmacher“ die Bühnen von Twitter, Facebook & Co. okkupieren und dort lauter trommeln als andere.

Das könnte tatsächlich die von Elisabeth Noelle-Neumann in den 1970er Jahren als eine Theorie der öffentlichen Meinungsbildung formulierte ⏩ „Schweigespirale“ auslösen: Im Kern besagt diese, dass jeder Mensch das herrschende Meinungsklima antizipiert und „widerspricht die eigene Meinung der als vorherrschend betrachteten Meinung, so gibt es Hemmungen, sie zu äußern, und zwar umso stärker, je ausgeprägter der Gegensatz wird. Daher der Begriff der Spirale.“ – so weit Wikipedia.

Die Studien bezogen sich auf den Bundestagswahlkampf und die vermeintlich einseitige Berichterstattung der Medien, die das tatsächlich in der Gesellschaft vorherrschende Meinungsbild verzerrt hätten: Der Durchschnittsbürger verwechsele die veröffentlichte (Minder-)Meinung mit der herrschenden Mehrheitsmeinung und halte daher lieber die Klappe in politischen Diskussionen.

Die Theorie hat einige Lücken und eine teilweise wackelige empirische Basis, fasziniert aber nach wie vor – sicher auch wegen ihrer bestechenden Einfachheit komplexe Sachverhalte zu erklären.

Das Schweigen der Vernunft und die Dominanz extremer Meinungen wird nun auch in sozialen Netzwerken auffällig: „Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand seine Meinung veröffentlicht, obwohl sein Online-Freundeskreis eine andere vertritt, hielten die Forscher für halb so hoch als bei denjenigen, die sich in einem Konsens-Umfeld wähnen,“ schreibt Julia Bähr in der ⏩ FAZ mit einem Verweis auf eine Studie des ⏩ PEW Instituts.

Diese stellte unter anderem auch fest, dass drei Faktoren Einfluss darauf haben, ob jemand seine Meinung in Social Media teilt: Die Selbsteinschätzung ein Experte für das Thema zu sein, die Intensität der eigenen Meinung sowie der Grad des persönlichen Interesses. Anders formuliert es die ebenfalls die FAZ: „Wer im richtigen Leben schweigt, der schweigt auch online.“

Je stärker ein Thema polarisiert, desto eher äußert man sich öffentlich nicht dazu. Ich glaube aber, dass die Mechanismen beziehungsweise Ursachen online ein bisschen anders als bei den Annahmen der klassischen Schweigespirale liegen: Man schweigt nicht, weil man vermutet der Mindermeinung anzugehören, sondern man hat einfach keine Lust sich online anpöbeln zu lassen.

Twitter war früher mal ein freundliche Ort, an dem man sich konstruktiv und tolerant ausgetauscht hat. Inzwischen wird man angepöbelt, wenn man etwas anders sieht als andere – völlig egal, ob die anderen die Mehrheit, Minderheit oder auch nur Einzelfälle sind.

Jedes Thema kann zum Meinungs-Minenfeld werden: Wer nicht für mich ist, ist gegen mich. Es ist erschreckend mit welcher Vehemenz manche bereit sind verbal auf einander einzuschlagen.

Wer sich über einzelne Fahrradfahrer aufregt, wird mit Sicherheit von engagierten Radlern angegriffen, weil Radfahrer grundsätzlich das schwächste Glied in der Opferkette des Straßenverkehrs sind. Männer dürfen sich nicht zu Frauenthemen äußern und Frauen nicht zu Fußball und für den Klimaschutz ist jedes Mittel vielleicht nicht legal, aber legitim. Wer anderer Meinung ist, liegt nach Meinung Einzelner völlig falsch damit, hat nichts verstanden und weiß gar wie das ist…

Inzwischen schweigt man lieber auf Social Media als sich in Weltanschauungs-Diskussionen verwickeln zu lassen. Ich habe da mal auf Twitter nachgefragt – aber bei der bescheidenen Anzahl von Rückmeldungen kann man nicht einmal von einem Trend sprechen:

Aber die Forschung sollte das gerne mal aufnehmen und vertiefend beleuchten, denn ich glaube ja die Schweigespirale ist online eher eine Shitstorm-Spirale und da duckt man sich lieber, bevor man getroffen wird.

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