Monat: März 2024

  • history repeating: Büro-Automation und KI

    history repeating: Büro-Automation und KI

    Geschichte und Geschichten wiederholen sich – heißt es. Das gilt scheinbar auch für Diskussionen über Veränderungsprozesse. Ich weiß leider nicht mehr ganz genau, wie ich auf das kleine Büchlein „Die Programmierer – Eliten der Automation“ von Karl Bednarik von 1965 (in der Fischer Taschenbuch-Ausgabe von 1967) gestoßen bin. „Karl Josef Franz Bednarik war ein Wiener Maler und Schriftsteller mit sozialkritischem Engagement“, kann uns ⏩ Wikipedia berichten. Er lebte von 1915 bis 2001, war gelernter Buchdrucker und Elektroschweißer, der sich autodidaktisch zum Künstler weiterbildete. Nebenbei verfasste er gesellschaftskritische Schriften wie unter anderem einen utopischen Roman mit dem viel versprechenden Titel „Omega Fleischwolf“, den ich sicher auch noch mal lesen werde, wenn ich ihn in die Finger bekommen sollte.

    Abgesehen davon, dass ich es unterhaltsam finde, ältere Bücher zu lesen, in denen Prognosen über (teilweise inzwischen bereits vergangene) Zukünfte erstellt werden, stieß ich bei Bednariks Programmierer-Buch, auf eine Diskussion, die wir heute führen und deren Argumenten wir teilweise direkt übernehmen könnte, wenn wir das Wort „Computer“ durch die Worte „künstliche Intelligenz“ ersetzen. Der Autor beobachtet, beschreibt und bewertet den Wandel der Verwaltungsberufe durch die Einführung elektronischer Datenverarbeitung vor gut 50 Jahren: „Nachdem die Maschine dem Menschen sehr viel Handarbeit abgenommen hat, ist sie nun auch dabei, ihm die Kopfarbeit zu enteignen, zumindest große Teile dessen, was bisher als Kopf- und Geistesarbeit angesehen wurde.“ (S. 9)

    Parallelen zur Diskussion um KI liegen auf der Hand

    Bednarik sieht nicht in erster Linie die Technik als Bedrohung der Bürovorsteher (mit Verweis auf Zemanek nennt er Großrechner ‚gigantische Vollidioten‘, die nur mit den Fingern rechnen könnten, davon aber Millionen hätten – vgl. S. 68), sondern deren Bediener: „Das sind die Programmierer, jene Spezialisten, die Arbeitsabläufe vordenken und festlegen, die mit Hilfe technischer Anlagen Planung, Ablauf und Vertrieb ganzer Industrieproduktionen bestimmen.“ (o. S. – Klappentext vor dem Schmutztitel). Ohne technische oder kaufmännische Kenntnisse analysieren und zerlegen sie alle Arbeitsabläufe und legen sie als Programmabfolge für die Datenverarbeitung fest. Damit steuern sie de facto den ganzen Betrieb ohne zum Management zu gehören, orientieren sich dabei an einer Idealform und entwerfen so „eine neue Organisationsform als abstraktes Modell“ (S. 73).

    Die Grenzen der Automatisierung liegen darin, dass sich die Computer nicht selber erzeugen oder programmieren können und dass maschinelle Entscheidungen durch die Programmierung vorbestimmt seien (vgl. S. 20). Das kommt uns bei KI anders vor, obwohl auch hier im Kern nur Nullen und Einsen Abläufe bestimmen, aber die ‚gigantischen Vollidioten‘ inzwischen Milliarden Finger haben und die Programme eine Komplexität erreicht haben, die die Vorstellungskraft der meisten Menschen übersteigt. Letztendlich laufen auch hier nur Routinen nach vorgegebenen Schemata ab – auch oder gerade in der Logik der Kombinatorik mit anderen Datenbeständen. So programmiert sich eine KI selber nach vorgegebenen Programmabläufen.

    Während Bednarik seine Erkenntnisse auf der Grundlage von Beobachtungen auf Basis der Einführung erster Großrechner mit Lochstreifen und Magnetbändern gewinnt, wissen wir nun – 50 Jahre später – wie Computer in alle Bereiche unseres Lebens vorgedrungen sind. In weiteren 50 Jahren werden wir auch wissen, in weit weit künstliche Intelligenz Alltag und Beruf verändert haben wird. Eine Prognose von damals wird dabei auch in der aktuellen Diskussion häufig gehört: „Wenn eine Verringerung des Büropersonals erfolgt, dann nur bei eintönigen und langweiligen Routinearbeiten.“ (S. 123 – rezit. Levin) Kommt einem irgendwie bekannt vor, oder?

  • Es geht APP im Dorf

    Es geht APP im Dorf

    (K)Ein Dorf wie jedes andere: Mit dem Audioguide durchs südniedersächsische Hinterland

    Bühren im Schedetal – zwischen Hann. Münden und Göttingen gelegen, wenn man von der Straße nach Dransfeld abbiegt und durch die Landschaft gurkt – unterscheidet sich nicht sonderlich von vielen kleinen Dörfern in Südniedersachen. Es gibt eine Kirche, einen Friedhof, viel Fachwerk und etwas Landwirtschaft. Insgesamt wohnen dort gut 500 Menschen. Es sieht aus wie alle Dörfer in dieser Gegend. Und dennoch gibt es einen guten Grund, gezielt nach Bühren zu fahren: Einen interaktiv gestalteten Kulturpfad mit Audioguide und eigener App. Das hat nicht jedes Dorf!

    Dazu muss man wissen, dass es den Kulturpfad als Rundwanderweg bereits seit Anfang der 2000er Jahre gibt – die App kam erst später dazu. Die knapp drei Kilometer lange Tour ist auch in allen üblichen Wander- und Outdoor-Apps verfügbar, über verschiedene Tourismusseiten der Region verlinkt, aber den ⏩ Download-Link für die App (nur für Android) gibt nur es auf der Homepage des Dorfes.

    Dorf-Tour in der Wander-App und Dorf-App mit Audio-Guide

    Es gibt auch eine ⏩ kleine Broschüre, die man dort ebenfalls digital herunterladen oder aus dem kleinen Holzkasten an der zentralen Bushaltestelle in der Dorfmitte auch gedruckt mitnehmen kann.

    Die ersten drei Stationen haben wir erstmal prompt überlaufen – vermutlich waren wir nur etwas zu enthusiastisch losgestiefelt. Die Kartenansicht in der App hat nicht funktioniert bei uns – aber wir haben uns von einer Wanderapp mit einer absolut gelangweilten, monotonen Frauenstimme durch die Ortschaft navigieren lassen. Der Weg ist eigentlich ausreichend gut mit einem „K“ gekennzeichnet und an jeder Station steht eine Info-Tafel mit Text und Bild.

    Vom Versammlungsplatz in der Dorfmitte (dem „Tie“) geht es am ältesten Haus vorbei, runter ins Bachtal, wo mal eine handvoll Mühlen am Wasserlauf standen. Maschinenbaumeister Manfred Fischer hat in zirka 1300 Arbeitsstunden eine Wasserradanlage aus Eigeninitiative und mit eigenen Mitteln neben seinem Haus erbaut, die Mühlentradition – es gab wohl derer Fünfe – im Dorf veranschaulichen soll.

    Stationen der Runde

    Hinter dem Dorf hat es tatsächlich noch eine Besonderheit – in diesem Falle eine Geologische: Am Dorfrand erhebt sich eine 10 Meter hohe Basaltwand. Der Rohstoff wurde bis Ende der 1960er Jahre auch im großen Maßstab dort abgebaut, rund 1.200 Tonnen täglich, die von zirka 40 LKWs pro Tag abtransportiert wurden. Hier wurde mir auch zum ersten Mal deutlich, was mich ein bisschen an den Audio-Beiträgen störte: Ganz ohne (Hintergrund-) Geräusche wirken die Aufnahmen sehr „steril“. Gerade der Steinbruch mit seiner Lärmkulisse hätte die Hörszenerie lebendiger wirken lassen.

    Bührener Basaltwand

    Den Abschluss der Runde bildet ein kleiner, künstlich aufgeschütteter Hügel, auf dem zehn Mord- oder Sühnesteine stehen. Diese Sammlung resultiert nicht aus der besonderen Mordlust der Dorfbewohnerinnen und -Bewohner, sondern sie versammelt alle Gedenksteine, auf dem ⏩ Harster Heerweg – einer alten Nord-Süd-Handelsroute – zu Tode gekommenen Personen. In dieser Art auch einmalig in Niedersachsen.

    Südniedersachsen ist nicht der aufregendste Ort der Welt – und ich als gebürtiger Südniedersachse darf das sagen – und dort sieht es in Varlosen, Dankelshausen und Ellershausen nicht viel anders als in Bühren aus, aber die App lockt einem beim Besuch der Region dann doch nach Bühren und eben nicht nach Varlosen, Dankels- oder Ellershausen. So gesehen haben sich die Bührener ein Alleinstellungsmerkmal programmiert.

    Sammlung der Sühnesteine

    Hier kann man die Beiträge auch ohne App reinhören:

    in Hochdeutsch

    in Platt