Ich frage mich schon seit längerem, was aus dem Internet und insbesondere Social Media geworden ist. Dünnhäutige „Allerwelts“-Expert:innen keifen sich aufgepeitscht an, jede:r stellt alles in Frage und zeigt mit dem Finger auf die anderen, die die Dummen sind. Etliche empfinden die Medien als ‚gleichgeschaltet‘ und es wird nach ‚alternativen Medien‘ Ausschau gehalten. Was ist hier passiert? Früher sind wir doch auch nicht alle direkt aneinander geraten, wenn außergewöhnliche Ereignisse unsere kleine, alltägliche Lebenswelt erschüttert haben.

„Der Postillion“ bringt es mit seinen satirischen Beitrag über ⏩ „Tschernobyl-Leugner“ auf den Punkt:

Was wusste man damals? Nur, das was über die Medien, die Regierung und die Verwaltung mitgeteilt wurde. Man guckte maximal, ob Regenwolken aus dem Osten kamen und verzichtete auf das Pilzesammeln im Wald. Was konnte man selber recherchieren? Was konnte man machen? Was konnte man zur öffentlichen Diskussion beitragen? Nichts.

War das gut? Nicht unbedingt. Hat es uns geschadet? Nicht unbedingt.

25 Jahre später hatten wir die nächste Nuklear-Katastrophe – diesmal in Japan, diesmal mit dem Internet. Diesmal lassen wir uns nichts mehr vormachen – besonders in Deutschland nicht. Fukushima ist zu Fuß von Deutschland etwas über 12.000 km entfernt, nach Tschernobyl sind es keine 1.500 km. Aber diesmal konnten wir was tun: Wir hatten ja nun das Internet und auf einmal ist Japan näher als die Ukraine. Social Media brummt, ⏩ Geigerzähler sind deutschlandweit ausverkauft und japanische Produkte bleiben in Supermärkten liegen. Behauptungen lösten Beweise ab, Mutmaßungen und Meinungen machten die Runde.

Für mich war es ein Stück weit der Punkt, an dem die sozialen Medien ihre Unschuld verloren haben: Hass, Häme und Halbwissen wurden nun Alltag. Schließlich kann sich jeder seine eigene Meinung bilden und es gab keinen Berg mehr, hinter dem man diese halten müsste. Jeder sucht und findet im Netz die Zahlen, Aussagen und Zitate, die zu seiner jeweiligen Weltsicht passen. Wer das nicht so sieht, der will es nicht sehen. Alles ist für die Kritik offen, denn Lösungen muss ich nicht präsentieren.

Es ist inzwischen nur noch ein Glaubenskrieg: Entweder man glaubt etwas oder nicht und dann kämpft man dafür oder dagegen – mit allen Mitteln, die einem zur Verfügung stehen. Wer nicht ‚mitglaubt‘, ist ein Verräter, muss niedergeschriehen und als Idiot abgestempelt werden. Denn die Wahrheit ist doch so klar und offensichtlich und doch nur einen Mausklick entfernt. Wir schauen alle durch trübes Milchglas auf die Welt und glauben doch, den einzig richtigen Weg sehen zu können.

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