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  • Begegnungen mit Beuys – Teil 2

    Begegnungen mit Beuys – Teil 2


    Jetzt muss ich mich aber sputen, um noch vor Ablauf des „Beuys-Jahres 2021“ den zweiten Teil meiner Begegnungen mit Beuys zu liefern. Ging es im ⏩ ersten Teil eher um reale Begegnungen – mit dem Meister selbst 1992 auf der „documenta 7“ oder mit Tomasz Piwarski und Jenny Trautwein, die Sprößlinge aus den 7000 Beuys Eichen als ⏩ „Beuys Babys“ herangezogen haben – so geht es im zweiten Teil eher um einen neuen Blick eines Kunstlaien auf das Werk des Ausnahmekünstlers.

    Was würde sich für einen solchen zweiten Blick besser anbieten als Ausstellung, die anlässlich des Jubiläums zusammengestellt wurde? Die ⏩ Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen bot in der ersten Jahreshälfte im Düsseldorfer K20 ⏩ „Kosmopolitische Übungen mit Joseph Beuys“ an. In der Einleitung des korrespondierenden ⏩ Webseite heißt es dazu: „Sein 100. Geburtstag im Jahr 2021 bietet Anlass sein komplexes Wirken und seine internationale Ausstrahlung neu zu entdecken und kritisch zu befragen.“

    Also: Auf geht’s zum Neuentdecken und Hinterfragen! Mein erster Eindruck: Ich kam mir verdammt alt vor! Alles, was ich in meiner Jugend rund um Kunst als hipp und revolutionär abgespeichert hatte, wirkte piefig, oll und hatte Staub angesetzt. Videokunst, die auf VHS Kassetten aufgenommen wurde, leidet mit der Zeit. Unsere HD und Ultra-HD gewohnten Augen, wundern sich über über Graustufen, zuckelnde Bildraten und Streifen bei der geringen Auflösung. Allein die Technik lässt Vieles heute amateurhaft wirken was einst die Avantgarde war.

    Szenen einer Ausstellung – im Sommer 2021 im K20 in Düsseldorf

    Erschwerend kommt hinzu, dass Aktionskunst in erster Linie Kunst während der Aktion ist – also an einem Punkt der Zeitleiste, der schon lange zurückliegt. Dokumentarische Aufnahmen von Aktionskunst haben etwas von einer Fotokopie der Mona Lisa. Und sie sind mitunter lang: Wenn Joseph Beuys irgendwo vier Stunden auf einem Bein stand, wer von uns setzt sich heute vier Stunden vor einen Monitor und schaut sich die Performance in 600 x 400 Bildpunkten an? So war ich schneller mit der Ausstellung fertig als erwartet.

    Das ist keine Kritik an den Ausstellungsmachern. Eigentlich hatten sie die tolle Idee, den Arbeiten von damals aktuellere Beiträge zuzuordnen, die ähnliche Aspekte aufgreifen, weiterführen oder in ein neues Licht stellen. Das meiste davon waren dann noch mehr Videos.

    Weil ich nun Zeit gewonnen hatte, ging ich gleich auch noch in die zweite Ausstellung im Haus: ⏩ „Christoph Schlingensief. Kaprow City„. Wieder wurden Erinnerungen wach: Studentenzeit in Berlin mit einer gewissen Begeisterung für die gezielt gesetzten Provokationen, die von der Volksbühne kamen. Der Raum war dunkel und muffig. Darin ein „begehbares Bühnenbild“, dass aus Holzresten und Sperrmüll 2006 für die Volksbühne zusammengetackert wurde und danach in ein Schweizer Museum wanderte. Provokantes empfand ich nicht beim Betrachten. Für mich war das Angebot aus der Zeit gefallen. Ich fand davon nichts cool, sondern nur schmuddelig und ranzig. Nun, ich bin ja auch kein Kunstexperte.

    Meine persönlichen Bewertungen aus heutiger Sicht schmälern nicht die Leistungen der künstlerischen Arbeiten: Ich glaube, dass die Impulse, die Beuys auf jeden Fall (und Schlingensief vielleicht) gesetzt haben, für die Entwicklung der Kunst in der damaligen Zeit revolutionär waren und auf jeden Fall unsere Anerkennung verdienen. Unsicher bin ich mir jedoch bei der Frage, wie man diese Leistungen konserviert, wie man vergangene Zeitgeschichte einfängt und wieder zugänglich macht. Vielleicht sollten Erinnerungen der gute Nährboden sein, auf dem Neues wachsen kann.

    Womit wir wieder bei Tomasz‘ und Jennys kleinen Eichen wären. Ich hatte 2021 noch eine weitere virtuelle Begegnung mit ihrer Idee – und diese ereignete sich bei der Lektüre eines Buches, das bereits lange ungelesen in meinem Regal stand und versprach so gar nicht nichts mit dem Thema zu tun zu haben: ⏩ „Japanische Bergleute im Ruhrgebiet„. Aber ich staunte nicht schlecht, als ich auf Seite 234 auf die Geschichte von ⏩ Naoto Tajimas Eiche gestoßen bin. Der Goldmedaillengewinner im Dreisprung bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin war zeitweise der Verbindungsmann des deutsch-japanischen Bergbau-Programms. Die Gewinner erhielten neben den Medaillen und dem Lorbeerkranz noch einen Eichensetzling. Tajima pflanzte seinen am Rande des Leichtathletikfeldes der Landwirtschaftsfakultät der Kaiserlichen Universität Kyoto. Symbolisch genug starb der Baum nach dem Tod des Sportlers und seiner Frau ab. Es wurden Setzlinge aus den Zweigen gewonnen, von denen einer Kobe und ein anderer in Iwakuni weiterwächst.

    Auszug zu Naoto Tajimas Eichen-Bäumchen aus Atsushi Kataoka, Regine Mathias, Pia Tomoko Meid, Werner Pascha, Shingo Shimada (Hrsg.): „Glückauf“ auf Japanisch. Bergleute aus Japan im Ruhrgebiet (S. 234/235)

    Wer sich daran stört, dass diese an sich schöne Geschichte ihren Ursprung in den Olympischen Spielen der Nationalsozialisten hat, kann eine vergleichbare Spur bei den ⏩ „Lutherbäumen“ finden: „Insbesondere an runden Jubiläen von Ereignissen aus Luthers Leben oder der Reformationsgeschichte wurden vielerorts Lutherbäume gepflanzt.“ Etliche davon waren Setzlinge anderer Lutherbäume andererorts. So wie auch die riesige Lutherbuche vor dem Lübecker Dom, die 1873 als ein Ableger der Lutherbuche aus Bad Liebenstein in Thüringen zur 700 Jahrfeier des Domes in die Hansestadt kam, die wir ebenfalls im Sommer 2021 besuchten.

    Luther-Buche vor dem Dom in Lübeck

    Aber zurück zu Beuys: Im Herbst diesen Jahres bin ich doch noch mal auf die Suche nach dem Künstler gegangen. Und zwar in seine Geburtsstadt Krefeld – „umme Ecke“ von hier. Obwohl Beuys selber Kleve als seinen künstlerischen Geburtsort gewählt hat. Es passt zum Künstler, dass seine Geburt am 12. Mai 1921 eine Art Mysterium ist: In der offiziellen (Krefelder) Geburtsurkunde wird der „Dampfmühlenweg“ ohne Hausnummer angegeben – ⏩ man mutmaßt, dass er auf dem Gehweg, in einem Hauseingang oder einer Droschke geboren wurde. Seine Mutter soll behauptet haben ihren später berühmten Sohn beim Umzug von Kleve nach Krefeld im Straßengraben entbunden zu haben. Die damalige Meldeadresse: Alexanderplatz 5 in Krefeld. Dort hat der Joseph Beuys seine ersten drei Lebensmonate verbracht – und dort hängt auch eine Gedenktafel, die genau das besagt.

    Gedenktafel für Joseph Beuys in Krefeld

    Dies Verwirrspiel um seine Geburt macht mir Beuys als Freak irgendwie wieder sympathisch. Er bricht auch hier die klassischen Erwartungsmuster und schreibt Regeln neu, in dem er sich seinen Geburtsort selber wählt. So wie er 1980 in der TV-Sendung „Lebensläufe“ gesagt haben soll: „Also habe ich das Leben zum Kunstwerk erklärt.“ Das, finde ich, kann man so stehen lassen.

  • Begegnungen mit Beuys – Teil 1

    Begegnungen mit Beuys – Teil 1

    Wir haben das Beuys-Jahr: 2021 wäre der Ausnahmekünstler mit dem Hut 100 Jahre alt geworden. Und zwar am 12. Mai. Das ist jetzt schon ein bisschen vorbei – aber das Jahr ist ja noch nicht ganz zu Ende. Ich hatte gar nicht vor, mich mit Beuys gedanklich auseinanderzusetzen, aber es gab in diesem Jahr ein paar Begegnungen mit Beuys, die mich darüber nachdenken ließen, was seine Art für uns bedeuten könnte.

    Als Kind, das im südlichsten Zipfel Niedersachsens aufwuchs (also eigentlich fast schon an der Stadtgrenze zu Kassel), war ich schon früh (und seit dem regelmäßig) Besucher der ⏩ documenta. Diese ist ja nur alle fünf Jahre und da fällt es schwer, sie zu verpassen. Die „d7“ 1982 war meine Premiere: Das war die documenta, auf der Joseph Beuys seine 7000 Eichen (inkl. Basaltstein) aufstellen wollte.

    Fotos aus der Beuys-Ausstellung im Düsseldorfer K20 im Jahr 2021.

    Zugegebner Weise hatte ich mit 14 noch keinen Zugang zu (moderner) Kunst. Es war viel los in der Provinz und das an sich war schon spannend. An richtig viel kann ich mich nicht erinnern, aber daran, dass ich mit Joseph Beuys einen Kaffee trinken war. Und das kam so: Ich war auf einer Radtour mit der Jugendgruppe aus Großvaters Kirchengemeinde unterwegs und Beuys war in Kassel um den mit rosa Farbe übergossenen Haufen Basaltsteine zu begutachten. Scheinbar gab es viele Leute, die ein ähnliches Kunstverständnis wie ich damals hatten und fanden die Aktion blöd. Beuys guckte seine Steine an und wir guckten Beuys an. Er trank dabei Kaffee aus einem Plastikbecher, den er zerdrückte und wegwarf (das machte man in den 1980er Jahren noch). Mein Großvater sagte: „Heb den auf, da war der Künstler dran: Das ist jetzt Kunst!“ – Wir lachten, ich ließ den Becher liegen, der mir heute vielleicht ein Häuschen bezahlt hätte. Da der Kaffee wohl nicht so lecker war, machte Joseph Beuys einen großzügigen Kreis mit seinem Arm und sagte: „Kommt, wir gehen alle in der Café da drüben und trinken erstmal Kaffee!“ Mein Großvater war sich ganz sicher, dass wir von dieser Armbewegung mit eingeschlossenen waren und so gingen wir mit uns ließen uns vom Künstler einen Kaffee bezahlen. Zugegeben: Ein richtiges Kaffeetrinken mit Künstler stellt man sich anders vor, aber letztendlich trank ich einen Kaffee, den Beuys (oder jemand aus seiner Entourage) bezahlt hatte – wobei ich mit 14 Kaffee nicht mal mochte.

    Spuren der Vergangenheit: Es ist schon interessant, was man 14-jährig auf einer documenta so fotografiert. Wir stehen vermutlich auf den Basaltsteinen, aber sind scheinbar nicht auf die Idee gekommen, die Steine selber zu fotografieren. Daneben die Eintrittskarte zur d7.

    Im selben Jahr brachte der Mann mit Hut eine Platte heraus ⏩ („Sonne statt Reagen„), die fälschlicher Weise unter „Neue Deutsche Welle“ einsortiert wurde. Ich kaufte sie trotzdem brav als Maxi-Single – wir waren jung, friedensbewegt und gegen Atomkraft. Passte alles. Außerdem wusste man wieder nicht, ob der Künstler das alles so richtig ernst meinte und das gefiel mir. Insgesamt gefielen mir diese Provokationen und die Neudefinition des Kunstbegriffs – auch, wenn ich vermutlich nicht alles richtig verstanden habe. Moderne Kunst hatte was von Rock’n’Roll: Die ältere Generation fand keinen Zugang und alles war nur Müll und Schmiererei. Das fand ich gut – bei Elvis war das genauso.

    In einem gut ordneten Haushalt geht nichts verloren: Diese Schallplatte befindet sich in meiner Vinyl-Sammlung im Keller.

    In Berlin (während meines Studiums) in den 1990er Jahren war Beuys irgendwie nicht so präsent: Die Nationalgalerie zeigte Anselm Kiefer, in einem abrissreichen Mauerhaus trug eine Frau schreiend Gedichte für ihre Gebärmutter vor, während in SO36 irgendwie Aktionskünstler Wassermelonen penetrierten. Beuys verschwand aus meiner Wahrnehmungshorizont. Das war nicht weiter schlimm und hätte meinetwegen auch so bleiben können.

    Mit dem Umzug nach Düsseldorf änderte sich ein bisschen: Am Niederrhein und besonders in Düsseldorf ist Beuys noch anders präsent: Man hat ja auch nicht so viel anderes. Hier gab es die Kunstakademie, an der Beuys erst gelehrt hatte und dann nicht mehr, das ⏩ Ofenrohr an der Fassade des Kunsthalle am Grabbeplatz in der Altstadt und in ⏩ Schloss Moyland wurde mit den Beständen der ehemaligen Privatsammlung der Brüder van der Grinten ein Forschungszentrum errichtet. Wer noch mehr sehen will, dem hat das Tourismus-Büro Düsseldorf die Click-Bait-Tour ⏩ „10 Beuys-Orte in und um Düsseldorf, die man kennen muss“ zusammengestellt.

    Meine kleine Serie neuerlicher Begegnungen mit Beuys setzt kurz vor dessen 100. Geburtstag ein. Ich betreue die Social Media Kanäle des Bau- und Liegenschaftsbetriebs Nordrhein-Westfalens. Weil wir für viele Nutzerinnen und Nutzer nicht immer gleich die erste Wahl und Anlaufadresse sind, suche ich Anküpfungspunkte zu Themen die „trenden“ könnten. Ich dachte mir: „Wir haben doch bestimmt irgendetwas in unserem Grundstücks- und Gebäudeportfolio, was mit Beuys zu tun hat.“ – Hat der BLB NRW auch: Zum Beispiel das Gebäude der Kunstakademie in Düsseldorf als öffentliche Hochschule.

    Dann stieß ich bei Online-Recherchen auf eine der 7000 Eichen aus Kassel – die einzige, die ihren Weg in den damaligen Wohnwort des Künstlers geschafft hat. Nicht nur das: ⏩ Beuys hat den Basaltstein selber mitgebracht und war bei der Pflanzung am 23. November 1983 anwesend. Baum und Stein waren gedacht als Geschenk zum 50. Geburtstag des damaligen Wirtschaftsministers Reimut Jochimsen vom Vorstandsvorsitzenden der WestLB, Friedel Neuber.

    Bei der Idee, war die Eiche Beiwerk zum Basaltstein – jetzt wirkt es umgekehrt. Im Hintergrund: Die Staatskanzlei an der Rheinuferpromenade.

    Hier schon mal ein kleiner Spoiler: Die kleine Rasenfläche am Rande des Horion-Platzes an der Haroldstraße 4 ist im städtischen Eigentum, aber es liegt direkt vor dem Gebäude des Wirtschaftsministeriums, was wiederum zum Portfolio des BLB NRW gehört – sagen wir mal so: Das Kunstwerk steht vor einem der Gebäude, die wir verwalten.

    An 09. Mai 2021 machte ich mittags bei herrlichsten Sonnenschein auf dem Weg zu Baum und Stein. Als erstes begegnet ich dort einem Obdachlosen, der an den Baum gelehnt schlief (was die Perspektivenwahl beim Fotografieren etwas einschränkte). Dann traf ich noch zwei Personen, die ebenfalls zum Bildermachen vor Ort waren und weil ich die selbe Motivation vermutete habe ich sie angesprochen.

    Einer von ihnen von war Tomasz Piwarski, bildender Künstler und Meisterschüler der Düsseldorfer Kunstakademie. Er hat gemeinsam mit Jenny Trautwein Sprößlinge der 7000 Beuys Eichen aus deren Früchten gezogen, für die die beiden nun im Jubiläumsjahr als „Beuys Babys“ Paten für erneute Auspflanzung suchen. Auf der ⏩ Projekt-Website schreiben die beiden dazu: „Wir haben die Eichensamen der „Beuys Eichen“ 2020 liebevoll gesammelt, in unsere Obhut genommen und auf unserem Düsseldorfer Stadtbalkon in selbstgenähten „Häusern“ gehegt und gepflegt. Sie wachsen gemeinsam auf, sind Geschwister und tragen die Vision der „7000 Eichen“ von Joseph Beuys in sich und in die Welt. Wir wollen die Eichen virtuell in einer Foto Galerie wieder vereinen und dadurch eine Gemeinschaft der Baumpaten erschaffen. Wir freuen uns auf Ihre Mitgestaltung.“

    Am 05. Juni 2021 wurden die „Beuys-Babys“ in der Galerie „D-Mitte“ in der Ausstellung „Eichenaura Teil 1“ vorgestellt.

    Ich fand die Idee direkt super sympathisch. Tomasz erzählte mir dabei auch von seiner persönlichen Begegnung mit Joseph Beuys. Er habe an die Düsseldorfer Kunstakademie gewollt, war aber unsicher mit welchen Arbeiten er sich dort bewerben sollte. Er hat es irgendwie geschafft, zum Künstler, der nach seiner Entlassung durch Minister Rau nicht mehr an der Akademie lehren, aber nach arbeitsrechtlichen Prozessen in seinem Atelier „Raum 3“ als Geschäftsstelle der „Free International University“ (FIU) weitermachen durfte, vorzudringen, der daraufhin die Mappe kritisch durchging. Piwarski hat sich an die Tipps und Ratschläge gehalten, hat in der Nacht durchgearbeitet und wurde mit der Mappe, die er am nächsten Tag abgab, angenommen.

    Eine deutlich andere Begegnung als eine unbeabsichtigte Kaffee-Runde in Kassel.

    Von weiteren Begegungen mit Beuys in 2021 erzähle ich im zweiten Teil.

  • Wanderungen zu Wüstungen

    Wanderungen zu Wüstungen

    Auch im zweiten Corona-Frühjahr 2021 kann man in seiner Freizeit nicht viel mehr machen, als durch die Gegend zu latschen. Den Nachwuchs (mit 10 und 13) dafür zu begeistern, fällt nicht immer leicht. Für die erste Woche der Osterferien habe ich also angekündigt, dass wir zu „verlassenen Dörfern“ wandern werden – das klang geheimnisvoll und ein bisschen nach Abenteuer. Die Verpackung ist eben immer so wertvoll wie das Geschenk.

    Die erste Tour führte uns zur Wüstung Kahlenberg im Bergischen Land. Ich wusste von Vorrecherchen aus dem Internet, dass es dort nicht viel zu sehen geben würde, aber man muss ja nicht alles im Vorfeld teilen und kann so für eine Überraschung sorgen. Der Weiler bestand nur aus drei Wohnhäusern mit angeschlossenen Wirtschaftsgebäuden und wurde vor fast 100 Jahren (1928) aufgegeben. Die Häuser zerfielen und wurden in den 1950er Jahren geschliffen. Wo früher die Siedlung war steht heute nur noch ein Kreuz (1995 zum Andenken errichtet), vor dem die Schwelle eines der Wohnhäuser gesetzt wurde. Die Linde hinter dem Kreuz ist ein Naturdenkmal, davor steht noch eine kleine Info-Tafel. Das war’s mit der Wüstung.

    Viel geblieben ist nicht von Kahlenberg – eher nur Erinnerungen

    Unter dem Rasen liegen noch Fundamente und Grundmauern. Dort buddeln sollte man aber nicht, denn die Wüstung Kahlenberg liegt in mitten eines Golfplatzes. Was für eine „Wanderung“, die mit knapp über 3 km viel mehr ein Rundweg über das ‚Green‘ ist, schon etwas ungewöhnlich ist – dafür ist das Gelände aber tipptopp in Schuss und landschaftsgärtnerisch sehr schön gestaltet. Im Gegenzug darf man den Weg nicht verlassen und soll sich vor querfliegenden Golfbällen in Acht nehmen.

    Ohnehin war es für mich die größte Herausforderung, den Startpunkt zu finden, der keine Adresse hat, was Navigationsgeräte in der Regel nicht so lieben. Dreimal standen wir auf einem Parkplatz, auf dem ich verkündete, dass es dort losginge – ging es aber nicht. Letztendlich muss man einen kleinen Parkplatz in „Sürth“ hinter der Bushaltestelle auf der Landstraße finden. Von da an geht es erst bergauf, aber nach der Wüstung am Wendepunkt wieder sanft geschwungen durch ein Bachtal nach unten.

    Spaziergang über den Golfplatz

    Die zweite Tour mit knapp 13 km Länge war dagegen schone richtige Wanderung und erforderte den Kids gegenüber mehr Moderation und Motivation: Im ⏩ Nationalpark-Eifel ging es zur Wüstung Wollseifen. Die hat eine ganz andere Geschichte als das eher traurige Kahlenberg und es gibt noch mehr zu sehen. Auch der Weg ist recht reizvoll. Das erste Highlight, bereits wenige Meter hinter dem Parkplatz am Dorfrand von Dreiborn, ist die ⏩ Rothirsch-Aussichtsempore: eine Art überdachtes Freilichtkino zur Beobachtung der Brunft und Besteigung.

    Gleich am Startpunkt befindet sich die Rothirsch-Beobachtungsempore

    Eine flache Hochebene war nicht das Erste, was mir bei Eifel in den Sinn gekommen wäre. Aber das Laufen auf dem federnden Boden eines ehemaligen Hochmoores ist sehr angenehm. Gleichzeitig reicht einem die Flora gefühlt nur bis zum Knie – das heißt: Es gibt keine Bewaldung und keinen Schatten. Früh morgens ist das beim Laufen angenehm, aber bereits vormittags brennt einem bei schönen Wetter die Sonne Löcher in den Pelz und grillt das Großhirn. Besonders bei sommerlichen Wetter empfiehlt es sich – besonders, wenn man mit Kindern unterwegs ist – ausreichend Flüssigkeit, Mützen und gegebenenfalls einen Sonnenschirm mitzunehmen.

    Die erste gerade Strecke über das Hochmoor kann auch sehr morastig werden. Besonders wenn es ein paar Tage zuvor geregnet hatte. Der Weg ist eben und macht auf Grund des urigen Bewuchses am Rande richtig Spaß: „O schaurig ist’s über’s Moor zu gehn …“ – das wusste schon Annette.

    Hat was von Abenteuer-Tour durch den Dschungel: Der Weg übers Hochmoor

    Nach dem Hochmoor-Pfad kommt nach einer S-Kurve im wahrsten Sinne des Wortes eine Durststrecke: Ohne einen einzigen Baum geht es zwischen Felder und Wiesen einen endlos wirkenden Weg lang. Wenn man ein gutes Auge hat, kann man aber schon in grader Linie vor einem den Kirchturm der Wüstung Wollseifen zwischen den Bäumen am Horizont erkennen. Noch vor dem Überqueren der Bundesstraße findet man die ersten Spuren des ehemaligen Truppenübungsplatzes und ist damit schon in der Geschichte des verlassenen Dorfes angekommen.

    Die fast 1000-jährige Siedlung wurde 1946 vom britischen Militär geräumt und die damals 550 Bewohnerinnen und Bewohner mussten ihr Dorf für einen Truppenübungsplatz aufgeben. Später haben belgische Truppen den Platz übernommen, um im verlassenen Dorf den Häuserkampf zu trainieren. Dafür entstand noch ein Straßenzug mit einfach errichteten Rohbauten entlang der ehemaligen Dorfstraße.

    Schon vor der Bundesstraße finden sich Betonsperren, Erdbunker, Panzerstraßen. Zumindest kann man sich überlegen, was das mal war und wofür es gedient haben mag. Tückisch wird es, wenn man die Bundesstraße überquert und an den Parkplatz zum Rundweg durch die Wüstung kommt. Hier fragen die durchgeschwitzten, verdursteten Großstadtkinder, warum man nicht einfach hätte dort parken können, wie alle anderen, die ins verlassene Dorf wollten. „Weil wir lieber wandern wollten“, kommt dann als Antwort nur eingeschränkt gut an.

    Hinter der Bundesstraße die lange Grade hoch, kommen dann bereits recht schnell die ersten Sehenswürdigkeiten und Neugier besiegt den Frust. Erst ein Schuppen, dann eine Kapelle, später die ehemalige Schule. Alles vom Verein der ehemaligen Bewohnerschaft gesichert und saniert. Am markantesten dürfte die Dorfkirche sein, davor eine Modell, dass die ehemalige Besiedlung zeigt. Entsprechend viele Info-Tafeln erklären alles.

    Die Rohbauten sind aus Sicherheitsgründen im Erdgeschoss zu gemauert. Rein kommt man nirgends. Die Atmosphäre wäre sicherlich noch bizarrer, wenn das Gelände nicht auch unter der Woche stets gut mit Besuchern gefüllt wäre.

    Hinter der Wüstung führt die zweite Hälfte des Rundwanderwegs durch bewaldetes Gebiet, was bei sonnigen Wetter sehr angenehm ist. Dafür geht es steil runter und wieder steil rauf. Hinter der Bundesstraße war im März 2021 die Brücke über den Sauerbach bei Heilstein gesperrt. Konditionstechnisch hätten wir keinen Umweg einbauen können und erwartungsgemäß war nur in einem Brett der Holzbrücke ein Loch, was sie offiziell nicht „verkehrssicher“, aber für Fußgänger völlig ungefährlich begehbar macht. Vom Bachtal aus geht es stetig bergauf zurück auf die Hochebene. Unterwegs haben wir noch wilde Tiere gesehen.

    Wilde Tiere in der Eifel

    Fazit: Tour 1 war ein schöner Spaziergang, wenn man sich mal ein Stündchen in angenehmer Umgebung gehen lassen möchte. Tour 2 eine tolle Tageswanderungen mit abwechselnden Landschaften, spannenden Wegen durchs Hochmoor und einer entsprechenden Attraktion ungefähr auf der Hälfte des Wege.

    Beide Wege waren in meiner Wander-App auf dem Handy entsprechend gut beschrieben und lassen sich vermutlich in allen vergleichbaren Apps finden.

  • Museum mit Durchblick

    Museum mit Durchblick

    In einer Zeit, in der alle zuhause bleiben sollen, sind Ausflugstipps besonders blöd – aber sagen wir mal so: Man kann sich darauf freuen, wenn man wieder raus darf… Viele hätten sich das Jahr 2020 sicher anders vorgestellt. So auch die Stadt Remscheid, die am 27. März 2020 den 175. Geburtstag von Wilhelm Conrad Röntgen, der in Lennep geboren wurde, angemessen feiern wollte, aber die Party fiel aus. Anfang März konnten wir uns jedoch noch im dortigen Museum umgesehen.

    Wir sind gerne in der näheren Umgebung unseres Wohnorts Düsseldorf unterwegs und entdecken dabei spannende Ausflugsziele. Das ⏩ Deutsche Röntgen Museum in Remscheid hatte ich schon länger auf meiner Liste, aber hatte auch Sorgen, dass so ein Thema wie Röntgen-Strahlen ganz schnell entweder zu komplex oder zu dröge werden könnte – besonders, wenn man mit Kindern unterwegs ist. Ich hatte Horror-Visionen, die dem Schulfernsehen der 1970er ähnelten – und vor allem in Schwarzweiß…

    Aber weit gefehlt: Das Museum präsentiert das Thema “in Farbe”, interaktiv aufbereitet und für Kinder ‘anfassbar’. Die Familieneintrittskarte hat neun Euro gekostet – für das Geld kommt ansonsten nur eine Person ins Kino.

    Es beginnt mit dem krönenden Würdigung von Röntgens Arbeit, mit dem Nobelpreis, der ihm 1901 verliehen wurde – es war der erste Nobelpreis, der für Physik vergeben wurde und man kann quasi live dabei sein.

    Ein Raum weiter wird der Mensch Wilhelm Conrad Röntgen vorgestellt – und bei mir ist hängengeblieben, dass er wohl ein störischer Eigenbrödler mit Dandy-Phasen im Studium war – also so eine Art ‘Alm-Öhi in weißen Schuhen’. Man kann hinter Klappen und in Schubladen sehen und sich fragen, in welche Schubladen man wohl selber 100 Jahre später einsortiert wird.

    Im Keller wartet das ‘Kuriositäten-Kabinett’: Neben Kirmes-Attraktionen findet sich auch ein Nachbau einer der ersten Röntgen-Apparate – der auch noch eher an ein Grusel-Labor als an Medizin erinnert. Übrigens gab es die sogenannten ⏩ ‘Pedoskope’, mit denen man in Schuhläden seine Füße mit den gewählten Schuhen auf Passgenauigkeit röntgen konnte, noch bis in die 1970er Jahre.

    Über einen ‘Zeittunnel’ landet man direkt im ersten Weltkrieg, in dem bereits Feld-Röntgen-Geräte genutzt wurden, und kann dann den Weg durch einen Röntgen-Bus nehmen, wie sie für ⏩ Röntgenreihenuntersuchungen in ganz Deutschland unterwegs waren. Es folgen eine Reihe von Geräten, die sich verstellen lassen und an denen Besucher üben können, einen ‘Pappkameraden’ entsprechend zu platzieren.

    Die anschließende Sammlung ist dann nur noch zum Anschauen – aber man sieht, wie die Geräte sich verändert haben und was es nicht alles gab. Entsprechend viele Info-Tafeln und interaktive Displays geben umfangreich Auskunft.

    Am Ende waren wir länger im Museum als anfangs vermutet – und die putzige Lenneper Altstadt bietet sich im Anschluss für einen kleinen Rundgang mit Eis oder Kaffee und Kuchen an.

    Alles in allem so gar nicht wie Schulfernsehen…

    Bildnachweis: Alle Bilder mit freundlicher Genehmigung des  Deutschen Röntgen Museums