Jahr: 2023

  • Instagram, wer bin ich?

    Instagram, wer bin ich?

    Eigentlich kamen wir bei Mastodon eher zufällig auf den Aspekt der „Konstruktion von Wirklichkeit“ in digitalen Plattformen. Die Datenkrake ⏩ Meta dockt mit der Twitter-Alternative Threads am Fediverse an, was zu der Diskussion führte, in welchen Maße nun die Kommerzialisierung ihren Einzug finden wird.

    Meta wird Threads mit Optionen einer möglichen Refinanzierung verbinden – also wird es um Werbung gehen und damit auch um Reichweitenmessung. Damit kommen die Bewohnerinnen und Bewohner des Fediverse vermutlich nur in Berührung, wenn sie mit Beiträgen oder Personen aus der Thread-Instanz interagieren. Also werden sicher nur Anteile unserer Aktivitäten, gemessen, gewogen und gezählt.

    Damit waren wir schnell bei der Grundsatz-Diskussion: Die meisten Fediverse-Nutzerinnen und -Nutzer bevorzugen, dass ihre Daten nicht vermarktet werden. Und ich persönlich finde es auch gut, dass es noch selbstbestimmte digitale Orte gibt.

    Für mich persönlich ist aber auch klar, dass meine Selbstdarstellung in Social Media immer nur meine Konstruktion meiner subjektiven Wirklichkeit ist, also nicht unbedingt die Realität (falls es eines solche überhaupt geben sollte). Ich zeige dort nicht mein Leben, sondern inszeniere ein digitales Leben (nicht nach Drehbuch, sondern nach Gusto).

    Mir ist das klar, aber Menschen, die mit meinem digitalen Alter Ego interagieren, rekonstruieren sich daraus eine andere Wirklichkeit von meiner Person. Und damit werden diese Re-Konstruktionen für sie real: Dann weiß nur noch ich für mich alleine, was ich wann wo wie und warum von mir zu teilen bereit war, die Mehrheit aller anderen Personen wird ein ganz anderes Bild von mir haben. Damit wird mein digitaler Klon realer, als ich es werden könnte. Mir ist klar geworden, dass die konstruierte Person meiner Selbst, von der ich glaube, sie vermarkten zu können, weil sie nicht wirklich ich ist, für alle anderen zu mir wird.

    Was wäre eine Alternative? Sich vollends ungefiltert digital zu repräsentieren, um über Authentizität die Kernperson wahren zu können? Ich weiß nicht: Dann schaue ich doch lieber bei Instagram nach, wer ich gerade eigentlich bin …

    Ergänzung:
    Als technisch nicht sonderlich affiner Mensch, habe ich die Thematik arg verkürzt. Selbstverständlich entstehen im Digitalen immer zähl- und messbare Daten – auch im Fediverse (bei einigen dortigen Plattformen mehr als bei anderen). Es geht letztendlich um die Ablehnung einer systematischen Auswertung zu Zwecken der Kommerzialisierung.

  • Die Sehnsucht nach einfachen Lösungen

    Die Sehnsucht nach einfachen Lösungen

    Ich staune bei dem Reality-Format ⏩ „Hochzeit auf dem ersten Blick“ auf Sat.1 immer wieder: In Deutschland stehen immer mehr Menschen der Wissenschaft immer skeptischer gegenüber – egal ob es dabei um Corona oder den Klimawandel geht -, aber wenn es um das Privateste überhaupt geht, dann soll „aus Wissenschaft Liebe werden“ können, wie es die Sendung verspricht. Dabei ist die Erfolgsquote mehr als jämmerlich: Von 46 Paaren, die sich in den ersten neun Staffeln bisher das Ja-Wort gegeben haben, sind lediglich nur noch fünf Ehepaare verheiratet (Stand November 2023).

    Wer ohne TV-Beteiligung heiratet, hat trotz hoher Scheidungsraten in Deutschland fünffach höhere Chancen noch verpartnert zu sein: Während bei „Hochzeit auf den ersten Blick“ die Quote grob bei 100 zu 10 steht (10 Prozent), ist sie in der freien Wildbahn eine Fifty-Fifty-Chance (also 50 Prozent). Dennoch betonen alle Kandidatinnen und Kandidaten, dass sie an das Experiment glauben – vielleicht weil ihnen vorgegeben wurde, dies zu sagen oder sie tun es tatsächlich.

    Und damit sind sie nicht allein: Jedes Jahr bewerben sich ⏩ 3.500 bis 5.000 Kandidatinnen und Kandidaten (wobei die Frauenquote leicht höher ist) für eine neue Staffel, die ebenfalls daran glauben, dass Stimmproben, Schnüffeltests und das Matching von Eigenschaften und Interessen als stabile Basis für eine erfolgreiche Beziehung ausreichen. Tun sie scheinbar nicht.

    Für die wahre Liebe scheint so etwas wie die „geheime Zutat“ zu fehlen, die die wissenschaftliche Theorie eben nicht entdecken kann. In der ⏩ Brigitte vermutet Simone Deckner, dass „oft ganz andere, kleine Dinge darüber [entscheiden], ob wir uns verlieben“ – zum Beispiel, wie er seine Zigarette hält oder die Farbe seiner Jeans. Aber die Teilnahme kann natürlich jedoch auch ganz anders motiviert sein – bis hin zum Wunsch der „Fünf-Minuten-Prominenz“, wenn man einmal im Reality-TV war: Selbst wenn ich gar nichts kann, was irgendjemand im Fernsehen sehen möchte, kann ich mich immer noch heiraten lassen.

    Aber was treibt Menschen dazu, bei etwas anzutreten, dessen Erfolg eher mehr als unwahrscheinlich ist? Ganze ehrliche Antwort? Ich weiß es nicht. Eigentlich schade, diese schöne rhetorische Rampe verschenkt zu haben, aber Menschen spielen auch Lotto und ich weiß nicht, warum.

    Grundsätzlich sehe ich zwei grundlegende Beweggründe:

    Der Mensch sucht einfache Lösungen.

    Darauf basiert unter anderem auch der Erfolg politischen Populismus: Unsere Welt wird immer komplexer, wie schön für einzelne, wenn jemand einfache Antworten bieten kann. Denn dann kann man glauben, man sei deswegen arbeitslos, „weil die Ausländer den Deutschen die Jobs wegnehmen“. Und:

    Der Mensch hofft darauf, dass andere seine Probleme lösen mögen.

    Darauf basiert unter anderem auch der Erfolg von Religion: Wenn einem wie zum Beispiel im Psalm 69, Vers 2 der Bibel „das Wasser bis zum Hals steht“, kann man entweder auf Gottes Hilfe hoffen, oder selbständig mit Schwimmbewegungen beginnen – wie es angeblich die Zentrale Dienstvorschrift der Bundeswehr Soldaten ab einer Wassertiefe ab 1,20 vorschreibt.

    Zeitgleich trauen viele Deutsche der Wissenschaft nicht mehr so ganz über den Weg. Zwar sah man 2018 ⏩ „keine grassierende Wissenschaftsskepsis“, aber immerhin war gut die Hälfte der deutschen Bevölkerung bezüglich ihres Vertrauens in die Wissenschaft unentschieden oder skeptisch. 2020 fanden es 82 Prozent der Befragten in einer repräsentativen Studie wichtig, ⏩ wissenschaftliche Aussagen selber nachprüfen zu können. Das finde ich beachtlich, denn ich sehe mich kaum in der Lage, die „experimentelle Methoden zur Erzeugung von Attosekunden-Lichtpulsen“, die in diesem Jahr mit dem ⏩ Nobelpreis in Physik ausgezeichnet wurden, selber nachzuprüfen. Oder die Wirkweise von mRNA-Impfstoffen. Oder ⏩ SRES-Szeanarienentwicklung (im Unterschied zu RCP-Szenarienentwicklung) zur Prognose künftiger Klimaereignisse. Manchmal muss man eben doch glauben – oder darauf vertrauen, dass es andere beherrschen. Ob ich das jedoch in Herzensangelegenheiten machen würde? Wohl eher nicht – obwohl ich mir gut vorstellen kann, dass sich das viele Wünschen würden.

    Wenn ich „Hochzeit auf den ersten Blick“ schaue und den Spruch, dass „aus Wissenschaft Liebe werden“ könne, dann habe ich immer so einen Ohrwurm im Hinterkopf:

  • 4. Wohnungstausch: Wohnraum gerechter verteilen?

    4. Wohnungstausch: Wohnraum gerechter verteilen?

    Der Wohnungsmarkt ist kaputt: Für Menschen, die sich eine neue Wohnung suchen müssen, wird es immer schwieriger bezahlbaren Wohnraum zu finden. Und gleichzeitig sitzen viele Menschen in Wohnungen, die vielleicht eher unpraktisch sind, aber noch bezahlbar. Wäre Tauschen da die Lösung? Und wenn ja, wie geht das?

    Ich hatte mir schon mal verschiedentlich Initiativen zum Wohnungstausch angesehen, vor allem wenn die Kommunalverwaltung daran beteiligt war. So wie hier die Stadt Düsseldorf. Jüngst kam das Thema wieder bei mir auf, als ich in einem Immobilien-Newsletter folgende ⏩ Fokus-Meldung las: „Rentner können es sich kaum leisten, in eine kleine Wohnung umzuziehen“, die mit folgenden Einleitungstext beginnt: „Ältere Menschen blockieren große Wohnungen, die junge Familien dringend brauchen: Deutschland hat somit ein Problem mit der Wohnraumverteilung.“

    Die Überschrift beschreibt den Kern des Problems korrekt, der Einstieg verzerrt den Sachverhalt ein bisschen: „Blockieren“ klingt nach Vorsatz, so wie „Klimakleber“ – wobei „letzte Generation“ in der Altersgruppe eigentlich gut passt.
    Das Problem liegt auf der Hand: Wer einen uralten Mietvertrag mit moderat wachsendem Mietzins (aber vermutlich aktuell explodierenden Nebenkosten) hat, bekommt keine andere Wohnung bei Neuvermietung zu vergleichbaren Konditionen. Bei abbezahltem Wohneigentum ist die Diskrepanz noch krasser: Für das zu entrichtende Hausgeld bekommt man vermutlich nicht mal einen Garagenplatz im selben Viertel. Da bleibt man natürlich lieber in der Wohnung, auch wenn sie vielleicht zu groß und nicht wirtschaftlich ist.

    Aber wie funktioniert so ein Wohnungstausch eigentlich? Ein Erklärvideo auf https://www.wohnungstauschduesseldorf.de/ erklärt uns wie es funktioniert:

    Die Idee: Suchende und Anbietende zu „matchen“. Dazu gibt es logistische und finanzielle Hilfe bei Umzugsabwicklung. Das ist gut! Eigentlich schon sehr gut, aber ein Grundproblem bleibt: Meist bekommt die neue Mietpartei die vormals günstigen Konditionen der bisherigen Mieter nicht automatisch verlängert. Das bedeutet, dass nach dem Tausch vermutlich beide Seiten höhere Kosten haben werden.

    Ausgerechnet die vorherige NRW-Regierung aus CDU und FDP hatte vorgeschlagen, dass die Mietkonditionen nach dem Tausch für fünf Jahre zunächst gleichbleiben sollten:

    „In Nordrhein-Westfalen schlugen FDP und CDU bereits 2017 ein Pilotprojekt zum Wohnungstausch zwischen älteren und jüngeren Menschen vor. Zum Vorteil für beide Seiten: Wohnungstauscher sollten, wenn sie umziehen, 5000 Euro für Renovierung und energetische Modernisierung bekommen. Die Idee sah vor, dass die Wohnungstauscher fünf Jahre ihren alten Quadratmetermietpreis zahlen sollten.“

    Quelle: rnd – RedaktionsNetzwerk Deutschland

    Aktuell im April 2023 hat „Die Linke“ das Thema noch mal adressiert. Der Vorschlag hier: Die Beibehaltung der Mietkonditionen nach einem Tausch solle gesetzlich festgeschrieben werden. Unabhängig davon, dass dies in die grundsätzliche Vertragsfreiheit eingreifen würde – was zulässig wäre, aber gut begründet werden muss – wird die Idee allein daran scheitern, dass sie von den Linken eingebracht wurde.

    Aber wie sieht es denn nun bisher mit dem Wohnungstausch konkret aus? Auch gerade hier an meinem Wohnort Düsseldorf? Ich konnte vor ein paar Tagen darüber ausführlich mit Florian Tiegelkamp-Büngers vom Amt für Wohnungswesen der Landeshauptstadt Düsseldorf sprechen. Er betreut die Wohnungstauschbörse der Stadt und man merkt, dass er für die Idee und sein Projekt brennt.

    Bereits seit 2019 ist Düsseldorf auf der Plattform aktiv und war damit eine der ersten Kommunen in Nordrhein-Westfalen. Die Basiszahlen im System sehen gar nicht so schlecht aus: Seit Anfang 2020 gab es knapp 650 aktive Nutzerkonten, von denen etwas über die Hälfte derzeit noch einen aktiven Status haben. Tiegelkamp schreibt Nutzerinnen und Nutzer nach sechsmonatiger Inaktivität an. Wer nach dreimaligen Anschreiben nicht wieder aktiv wird, wird aus dem System gelöscht, könnte es aber jeder Zeit wieder neu anmelden. Aktuell sind rund 80 Anzeigen für Düsseldorf im System, insgesamt waren es gut über 300. Dennoch fällt die Bilanz eher nüchtern aus: Bisher kam in Düsseldorf über das System nur ein Tausch tatsächlich zustande.

    Dabei ist die Anzahl der „Matches“ aber verhältnismäßig hoch, was aus der hohen Nachfrage resultiert: Ein Angebot macht dann viele Nachfragen. Das ist ein bisschen so, als würde sich eine echte Frau aus Versehen auf einer Dating-Plattform anmelden.

    Das Hauptproblem liegt im Bekanntmachen des Angebots. Wohnungsbaugesellschaften und Genossenschaften sind schnell angeschrieben und informiert, aber den freifinanzierten Wohnungsmarkt zu erreichen ist nicht so einfach. Darüber hinaus die Hälfte der Zielgruppe (ältere Mitmenschen) häufig nicht so digital wie das Angebot. Daher liegen auch Flyer in den Senioren-Stadtteilzentren aus und Florian Tiegelkamp berichtet, dass er gerne hilft den Account für die Offline-Generation anzulegen, wenn es nötig ist.

    Freiburg und Bremen dienen gerne als Aushängeschilder beim kommunal unterstützten Wohnungstausch, aber in Freiburg wurde die Einführung des Angebots auch einer großen Plakatkampagne begleitet.

    Aus meiner Sicht, bleibt die zu Grunde liegende Idee spannend. Ich weiß nicht, ob die finanziellen Hilfen bei der Umzugslogistik ausreichend sind, wenn es keine (zeitweise) Festschreibung der Konditionen als Tauschbasis gibt. Auf jeden Fall, versuche ich die Wohnungstauschbörse und das entsprechende Konzept dahinter bekannter zu machen und dies ist bereits ein erster Beitrag dazu.

    Weiterführende Links:

    Das Amt zum für Wohnungswesen der Landeshauptstadt Düsseldorf:
    https://www.duesseldorf.de/wohnen/

    Download Infoflyer zum Wohnungstausch in Düsseldorf:
    https://www.duesseldorf.de/fileadmin/Amt64/wohnen/pdf/flyer_wohnungstausch.pdf

    Bisherige Beiträge in dieser Serie:

    Teil 1 lesen: ⏩Wohnen wird öffentlich

    Teil 2 lesen: ⏩ Wie viel Wohnraum brauche ich?

    Teil 3 lesen: ⏩ Wieviel Platz stände mir zu?