Monat: Februar 2022

  • In der Pandemie steckengeblieben

    In der Pandemie steckengeblieben

    Die Pandemie hat mit uns allen etwas gemacht. Wir mussten unser Leben herunterfahren – Modus: Lebenserhaltung, Warten im Standby-Betrieb. Nicht alle Systeme lassen sich immer wieder problemlos hochfahren: Es besteht das Risiko, dass einige von uns in der Erstarrung dieser Stasis steckenbleiben könnten. Stell dir vor, die Pandemie wird abgesagt und du hängst noch im Corona-Betrieb fest.

    Mit den drohenden Ende der Corona-Schutzmaßnahmen im März 2022, habe ich berechtigte Sorge in diesem Pandemie-Modus zu verharren. Ich stelle mir vor, der ehemalige Alltag kehrt zurück, Cafés und Restaurants füllen sich wieder, die Jugend macht Party und das Leben feiert Kirmes. Ich sitze stattdessen allein zuhause: isoliert, kontaktreduziert und FFP2-maskiert.

    Ich habe mich in den vergangenen zwei Jahre so daran gewöhnt, nichts zu tun, dass ich mir nicht sicher bin, was ich denn dann eigentlich tun sollte, wenn man wieder tun darf. Auch vor der Pandemie hatte ich kein Sozialleben in festen Strukturen mit Fußball-Training jedem Mittwoch und Herrenchor am Samstag Abend. Ich ging gern zu losen Veranstaltungsreihen rund um Medien und Social Media, die es immer wieder in unregelmäßigen Abständen gab. Da trafen man „Kollegeninnen und Kollegen“ und Menschen, die nett sind und sich für ähnliche Dinge interessieren – aber eigentlich keine Freunde im engeren Sinne sind.

    Meine Freunde wohnten überall in Deutschland verteilt, was sicher einer gewissen berufsbedingten Mobilität meinerseits geschuldet war. Dass es nicht so gut ist, die Freunde nicht direkt am Wohnort zu haben, merkt man erst, wenn man das Reisen und die Wochenendtrips wegen Reiseeinschränkungen und Kontaktreduktion einstellt. Umbrüche auf der privaten Seite führten dann dazu, dass ich eigentlich nur noch alleine zuhause hockte.

    Es ist nicht so, dass ich mich gelangweilt hätte oder nicht wusste, was ich tun könnte. Ich habe mich eigentlich ganz gut beschäftigen können. In Ermangelung von Alternativen habe ich diese Aktivitäten gehegt, gepflegt, kultiviert und ausgebaut. Ich habe viel recherchiert, viel gelesen, ein Buch geschrieben. Aber alles ist eben nicht etwas, was man nach Beendigung der Pandemie einfach mit einem größeren Kreis als Gruppenaktivität gut fortsetzen könnte.

    Der Krieg gegen das Virus geht zu Ende und nichts ändert sich für einen – so als hätte man das Kriegsende verpasst. So erging es ⏩ Yokoi Shōichi. Das „tapfere Schneiderlein“ war ein treuer Soldat und diente als Unteroffizier im 38. Infanterieregiment der 29. Mandschurei-Division. Als US-amerikanische Truppen 1944 die von Japan besetzte Insel Guam zurückeroberten, zog er sich mit ein paar Kameraden in den Dschungel zurück und verpasste die Kapitulation seines Heimatlandes. Erst acht Jahre später erfuhren sie durch Flugblätter, dass der Krieg vorbei sein. Aber Aufgeben wurde als unehrenhaft empfunden und so „kämpfte“ der Trupp weiter. 1964 starben die beiden letzten noch lebenden Gefährten, 1972 wurde der einsame Kämpfer von Fischern am Strand überwältigt, so dass sein ganz persönlich fortgesetzter Krieg erst knapp drei Jahrzehnte nach der letzten Schlacht seiner Einheit endete.

    Ich habe berechtigte Sorge, dass es mir ähnlich ergehen könnte und mich das postpandemische Yokoi-Shōichi-Syndrom ereilt: Ich habe zwei Jahre alles getan, um einer Infektion zu entgehen – Maske getragen, Abstand gehalten, so gut wie niemanden getroffen und jede Impfung angenommen, die mir geboten wurde. Auch im empfinde es als irgendwie „unehrenhaft“ bei einer Inzidenz von vermutlich über 1000 zu kapitulieren. Ich werde weiterhin wie Yokoi-Shōichi in einem Erdloch sitzen und gefühlt dauerhaft im Ausnahmezustand bleiben, während das Leben zurückkehrt und weiterzieht und mich dabei zurücklässt.

  • Vage Erinnerungen: Das Sopron-Project (Teil 1)

    Vage Erinnerungen: Das Sopron-Project (Teil 1)

    Erinnerungen sind mitunter trügerisch: Das, woran man glaubt, sich erinnern zu können, wird überlagert durch Gefühle, Empfindungen, Bewertungen und das, was andere darüber berichten – eingefärbt mit ihren Gefühlen, Empfindungen und Bewertungen. Kann man sich wirklich daran erinnern, wie der Polyacryl-Pulli immer so kratzte? War die Mauer hinter Omas Haus wirklich so hoch? Hatte man damals wirklich alle Schlümpfe im Setzkasten? Und waren es die beiden Nachbarskinder, die einem das Pausenbrot abnahmen und Katzen gegen den Strich streichelten?

    Ein guter Freund hat mir für den Abschluss des Studiums den guten Rat gegeben, meine Magister-Arbeit über ein Thema zu schreiben, das man schon immer möglichst allumfassend beleuchten wollte: Das ist das einzige, was einem in Anbetracht von sechs Monaten voller Recherchen, Analysen und Auswertungen bei der Stange halten kann. Und: Man wird sich nie wieder im Leben soviel Zeit nehmen, ein Thema so ausführlich behandeln zu können.

    Weise gesprochen – und so wahr. Zumindest für die meisten Lebensabschnitte. Wenn man älter wird, findet man manchmal Zeit, den ein oder anderen losen Faden noch mal aufzuheben – diesmal mit der Perspektive, das Thema abschließen zu können, so lange man dazu noch in der Lage ist.

    So ein Thema bei mir: Die Gedenktafeln von Sopron. Klingt komisch? Ist es auch irgendwie. Dahinter steckt eine vage Erinnerung. Ich weiß, dass ich als Kind – vielleicht mit 13 oder 14 Jahren (also vor gut 40 Jahren) – bei einer unserer Ungarn-Reisen, von dem Studienort meines Vaters in Westungarn sehr beeindruckt war. In meiner Erinnerung gingen wir durch die sozialistisch heruntergewirtschaftete Altstadt und mein Vater versuchte sich an Orte zu erinnern, die er zuletzt als Student besucht hatte. Bei der Rückbesinnung sehe ich die Häuser übersäht mit Gedenktafeln und als ich meinen Vater fragte, wer denn all diese berühmten Menschen seien, die man hier ehre, sagte er mir, dass man davon niemanden kenne. Das fand ich noch beeindruckender, denn ich fand bereits die hohe Dichte dieser Tafeln beeindruckend, aber dass diese für Menschen waren, die nicht einmal berühmt waren, beeindruckte mich noch viel mehr.

    So weit meine Erinnerung. Die Frage nur: Erinnere ich mich korrekt? Ist ja kein Problem: Google weiß schließlich alles! Mit der Wortkombination „Sopron“ und „Gedenktafel“ sprudelten die Treffer nicht so üppig wie erwartet – eine handvoll Verweise und am Fuß der ersten Trefferseite bereits der Link zu der ⏩ Sopron-Gedenktafel am Bundestag in Berlin. Das Ergebnis hatte mir eindeutiger vorgestellt. Nächster Anlauf: Nun wollte ich mir mit Bildersuche möglichst viele Bilder der Altstadt anzeigen lassen – wenn es da so viele Gedenktafeln gebe, wie ich meinte mich zu erinnern, dann müssten diese doch auf den Bildern zu sehen sein …

    Hm! Das war leider auch nicht so eindeutig, wie erhofft: Das hier auf diesem einen Bild, könnte eine Gedenktafel sein – wird leider nur unscharf, wenn man es vergrößert … Und hier auch … Aber das könnte auch ein Straßenschild sein oder auf eine Anwaltskanzlei oder Arztpraxis verweisen. So richtig befriedigend war diese Online-Recherche nicht.

    Letztendlich half da nur eines: Hinfahren und nachgucken! Der Plan stand und ich war gespannt, was mich in Sopron erwarten würde. Gewisse Risiken gab es: In 40 Jahren könnten die Häuser alle renoviert wurden sein und die Tafeln der Unbekannten dabei entfernt wurden sein. Mit dem Ende des Sozialismus hätte auch eine „Bereinigung“ des öffentlichen Gedenkens erfolgen können, so wie man aller Orten im ehemaligen Ostblock Marx- und Lenin-Denkmäler „entsorgt“ hat. In Ungarn hat man diesen Denkmäler der Vergangenheit eine Art Altersruhesitz in einem extra dafür angelegten ⏩ Skulpturen-Park gegönnt. Oder ich hatte mich einfach nur falsch erinnert.

    Anderseits waren die Risiken gering zu bewerten: Die Aussicht kurz nach der Lese den ⏩ Ponzichtern und ihren traditionellen Wein-Schenken einen Besuch abzustatten und bei schwacher Nationalwährung heftig und deftig pannonisch Schlemmen zu können, war nicht die Schlechteste. Gut 70 km südlich von Wien war auch in Ungarn mit guten Deutschkenntnissen zu rechnen. Vor allem, wenn man bedenkt, dass Sopron einst als Ödenburg die Hauptstand des Burgenlandes werden sollte. Die Recherche-Reise würde sich also so oder so lohnen und ich war gespannt.

    Im Oktober 2021 sollte ich mehr wissen und schlauer sein.

    Soviel sei als Spoiler hier schon mal verraten: Ja, es gab eine Menge Gedenktafeln in Sopron und es war deutlich anders, als ich es in Erinnerung hatte.