Kategorie: Andere Sachen

  • Früher war mehr Brief

    Früher war mehr Brief

    Bei Umzügen oder beim Aufräumen fallen sie einem wieder regelmäßig in die Hände: Briefe aus der Vergangenheit. Und ich hatte sie auch fast alle aufgehoben – es war ja auch bequem die Kisten und Kartons im ehemaligen Kinder- und Jugendzimmer im elterlichen Haus verstauben zu lassen.

    Bei handgeschriebender Korrespondenz streift einem gleich der Hauch der Hochkultur. Dem folgt in der Regel sofort ein Wehklagen wegen des Verlusts der Schriftlichkeit in Zeiten des Digitalen.

    Auch ich mochte mich nicht leichtfertig von diesen Schätzen meiner Vergangenheit trennen und machte mich an die Durchsicht und Lektüre. Mehrfach musste ich gegen den Schlaf ankämpfen oder nickte einfach mit dem Totholz in der Hand ein.

    Boah, was wir uns für einen Unsinn geschrieben haben und mit welch Banalitäten Briefbogen um Briefbogen gefüllt wurde! Die Briefpost wimmelte von Alltäglichem: Was der Zahnarzt gesagt hat, was es zu Essen gab, wo das Auto rostete und was in Ausbildung, Arbeit oder Studium gerade anstand.

    Aber warum war das so in den 1980ern und 1990ern Jahren? Waren wir die „Generation trivial“? Nein, wir waren schlichtweg nicht zu erreichen!Etwas, dass man sich heute kaum noch vorstellen kann. Nach dem Abitur in der Kleinstadt, bin ich zum Militärdienst nach Norddeutschland gegangen. Die Telefonanschlüsse innerhalb der Kaserne konnten nur über die zentrale Telefon-Vermittlung erreicht werden. Und wer private Dinge am Dienstapparat besprechen wollte, wurde einfach nicht durchgestellt.

    Im Studium wurde es nicht besser: In dem Wohnheim, in dem ich die meiste Zeit lebte, gab es anfänglich nur ein Telefon pro Gemeinschaftshaus. Das war entweder besetzt, kaputt oder alle hörten immer mit. Man konnte sich also nur schreiben, wenn man in Kontakt bleiben wollte.

    Also schrieb man sich und man schrieb sich alles:

    • Ich fand viele Briefe mit Wegbeschreibungen zu Orten, an denen niemand mehr wohnt, der dies vormals geschrieben hatte. Es gab keine Navigationsgeräte. Also schrieb man: „Du fährst bis zur Ortsmitte und hinter der Kirche fährst Du die Straße links rein. Beim blauen Haus auf der rechten Seite, geht links zu eine Stichstraße ab…“ – wann habt ihr das letzte Mal eine Wegbeschreibung verschickt?
    • Man schrieb sich, was ehemalige gemeinsame Klassenkameraden und Freunde gerade so treiben. Also ‚Statusmeldungen‘, die jeder auf Facebook verfolgen kann, ohne dass ein anderer sie aufschreiben müsste.
    • Was mir besonders gefiel: Man schilderte Situationen bildlich.Warum? Weil man kein Bild hatte. Die Filme in den Fotoapparaten hatten in der Regel 24 oder 36 Bilder und man knipste nicht wahllos einfach drauflos. Man hätte ohnehin warten müssen, bis der Film voll war und dann entwickelt wurde. Also beschrieb man die beengende Situation im WG-Zimmer, seine Dienstkleidung oder die Rostbeulen am alten Golf, den man vom Großonkel günstig übernehmen konnte.

    Alles ganz putzig und für den Moment ganz unterhaltsam – aber auch nichts für die Ewigkeit. Deswegen muss noch lange nicht jeder Brief in die Tonne gekloppt werden, aber auch nicht jeder ist archivierungswert. Anders gesagt: Wir möchten auch nicht alle Facebook-Stati ausdrucken, um sie in 20 Jahren in Ruhe noch mal nachlesen zu können. Es ist ok, dass nicht alles für die Nachwelt erhalten bleibt, weil es schlicht nicht erhaltenswürdig war. Nicht alles im digitalen Wandel ist schlecht: Er macht Vergängliches vergänglich und versieht Platitüden nicht mit Patina.

    Und die besten Briefe hebe ich natürlich weiterhin auf und nehme sie in fünf Jahren beim nächsten Umzug genauso gerne wieder zur Hand wie heute.

    Dieser Beitrag erschien zuerst unter https://anderesachen.blogspot.com/2015/05/fruher-war-mehr-brief.html

  • Die Stadt Düsseldorf setzt auf konservative Familienmodelle

    Die Stadt Düsseldorf setzt auf konservative Familienmodelle

    Die Stadt Düsseldorf verteilt eine Broschüre mit dem ansprechenden Titel „Scheidung, was tun? Tipps fuer eine faire Trennung“, die es übrigens auch online als Download gibt. Herausgeber ist das Gleichstellungsbüro der Landeshauptstadt. Deswegen wird auch gleich auf S. 6 betont, dass „die Hinweise und Tipps dieser Broschüre nicht verstanden werden [dürfen], als würden sie nur für Frauen gelten“ – ein Satz, den eine Gleichstellungsbeauftragte eigentlich nie schreiben müsste, wenn der Auftrag ernstgenommen würde: Das sollte selbstverständlich sein!

    So ganz kann man sich bei der Lektüre jedoch nicht dem Verdacht trennen, dass dort vieles aus der Perspektive der Ehefrau beschrieben wird und der Ehemann schnell „der Böse“ ist. Auch wenn Fakten dahinter stehen mögen, so macht doch der Ton die Musik und in den Muster-Beispielen schreibt immer nur eine „Frau Klar“ an ihrem Mann „Franz“, um ihre Trennung und ihre Folgeansprüche durchsetzen zu können. Das Ganze wirkt dadurch eher wie eine Checkliste für Frauen, die ihren Ehegefängnis entfliehen wollen.

    Ganz klar: „fair“ bedeutet in Düsseldorf in erster Linie „Fairness für Frauen“

    Ihren eigenen Anspruch auf geschlechtsspezifische Ausgewogenheit, gibt die Broschüre auf S. 46 auf. War man zuvor bemüht, männliche und weibliche Anreden sprachlich doppelt auszuführen, wechselt die Ansprache ganz offen in Richtung ausschliesslich weibliche Leserschaft: „Sie und Ihr Ehemann müssen die Entscheidungen für die Kinder gemeinsam treffen. Sprechen Sie also mit Ihrem Ehemann.“

    Auf S. 53 steigt man dann in die Tiefen von der Familienbilder der 50er Jahres des vorherigen Jahrhunderts hinab: „Niemand käme auf die Idee, den Kochherd oder die Waschmine als Eigentum der Frau zu bezeichnen, weil der Ehemann in der Nähe dieser Gegenstände noch nie gesehen wurde.“

    Hallo? Ausgewogenheit, wo bist Du?

    Warum schreibt man sowas? Weil man es Kern für korrekt und richtig hält. Das wirft kein gutes Licht auf dem Gleichstelung in Landeshauptstadt.

    Noch dunkler wird es, wenn man(n) per E-Mail seine Verwunderung darüber zum Ausdruck bringt. Ich muss zugeben, dass ich schnell Antwort erhielt. Der Tenor war jedoch: Man verstehe das Problem nicht, die Broschüre sei äußerst beliebt und man sehe keine Notwendigkeit zu Änderungen.

    Das war der Punkt, an dem ich dachte, dass ich nun darüber schreiben werde.

    Geschickt hätte sich das Gleichstellungsbüro mit vagen und schwammigen Zusagen aus der Affaire ziehen können und ich hätte die Sache kopfschüttelnd auf sich beruhend lassen. Da hätte man antworten können: „Vielen Dank für diese Hinweise. Diese Punkte sind uns bisher in dieser Weise noch nicht aufgefallen. Bei einer etwaigen Neuauflage, werden wir uns bemühen, ggf. textliche Anpassungen vorzunehmen.“ Das heißt dasselbe wie die tatsächliche Antwort – nämlich: „Was einzelne Bürger unserer Stadt denken, ist uns eigentlich total egal.“ – wäre nur diplomatischer verpackt gewesen.

    Es mag auch sein, dass statistisch gesehen, eher Frauen unter den Folgen von Trennungen und Scheidungen zu leiden haben, aber dann kann man ja Broschüren für Frauen produzieren und verteilen. Für verlassene Ehemänner reicht vermutlich auch eine Liste von Eckkneipen, in denen man anschreiben lassen kann, sowie ein aktueller Bordellführer. Da muss man sich im Vorwort keine Gleichstellungslippenbekenntnisse abringen. Außerdem ist Gleichstellung ein Individualgrundrecht, bei dem nicht nach Mehrheiten entschieden wird.

    Falls die Stadt Düsseldorf nach vergleichbare Formulierungen für andere Broschüren sucht, da kann ich gerne was beisteuern, das der Geisteshaltung der Landeshauptstadt NRWs entsprechen müsste.

    Für die nächste Ausbildungsbroschüre:
    „Niemand käme auf die Idee, die Bohrmaschine oder das Auto als die Domaine des Mannes zu bezeichnen, nur weil Frauen in der Nähe dieser Gegenstände noch nie gesehen wurden.“

    Für den Flyer der Ausländerbehörde:
    „Niemand käme auf die Idee, Universitäten und Fachhochschulen als Einrichtungen für Deutsche zu bezeichnen, nur weil Ausländer in der Nähe dieser Gebäude noch nie gesehen wurden.“

    Welche Vorschläge habt ihr?

    Einfach kommentieren oder unter #helpdus twittern.

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  • Ich mache mir Sorgen: DHL ist fremdgesteuert

    Ich mache mir Sorgen: DHL ist fremdgesteuert

    Über Packstationen kann ich mich vortrefflich aufregen. Vermutlich weil die Idee gut gedacht, aber leider auch schlecht gemacht ist: Es läuft noch nicht rund und funktioniert oft nicht.

    Jüngst ist mir wieder die Hutschnur geplatzt! Das lag weniger daran, dass das Paket wieder einmal mehr an den Absender zurückgeschickt wurde (das steht auch in AGBs, dass die Sendungen nach dem Ablauf der Lagerungsfrist den Packstationen wieder entnommen werden), sondern an der Informations- und Auskunftspolitik der Servicestellen.

    Klar, war es nicht so pfiffig kurz vor einem einwöchigen Urlaub noch etwas bei Amazon zu bestellen. Ich wusste also, dass es mit der Abholung der Sendung aus der Packstation knapp werden könnte. Um so mehr freute ich mich, als ich 10. August 2014 eine SMS von DHL erhielt, dass das Paket noch zwei Tage in der Station zur Abholung liege – das konnte ich schaffen. Zwei Tage, dass sind 48 Stunden.

    Als ich am 12. August früh morgens versuchte, die Bestellung dem gelben Schrank zu entnehmen, passierte nichts – außer, dass nach drei Fehlversuchen meine Karte gesperrt wurde. Die Hotline konnte mir schnell erklären, was passiert ist: Das Paket wurde nach Ende der Lagerungsfrist am 11. August 2014 gegen 11 Uhr entnommen und an den Absender zurückgeschickt – also nach 24 Stunden nach Eingang der Info-SMS und 24 Stunden vor Ablauf der dort genannten Frist.

    Es entspann sich in etwa folgender Dialog mit dem Hotline-Mitarbeiter. der hier als Gedächtnisprotokoll wiedergegeben wird:

    (Ich) Aber in der SMS von Ihnen stand, dass das Paket noch zwei Tage in der Station liegen würde.

    (DHL) Zunächst möchte ich darauf hinweisen, dass die SMS nicht von uns ist. Wir schicken Ihnen keine SMS.

    (Ich) Aber der Absender wird als DHL aufgelöst und nennt sich auch so.

    (DHL) Ja, aber das kommt nicht von uns, dass kommt aus dem System.

    (Ich) Aber das ist doch IHR System und damit kommt die SMS von Ihnen.

    (DHL) Wir können da nichts beeinflussen. Das System arbeitet automatisch.

    (Ich) Aber jemand hat dann das System falsch eingestellt, wenn es falsche SMS schickt. „Das System“ ist doch nicht gottgegeben. Sie sind dem doch nicht wehrlos ausgeliefert.

    (DHL) Sie verstehen das nicht: Wir können gegen das System nichts machen.

    (Ich) Das ist ja entsetzlich. Können Sie gegen die Maschinenherrschaft nicht aufbegehren und sich Ihre Menschenwürde zurück erkämpfen?

    (DHL) ???

    (Ich) Es kann doch nicht sein, dass sich niemand gegen „das System“ wehren kann?!

    (DHL) Ich kann nur sagen, dass Sie keine SMS von uns bekommen haben.

    usw. usf.

    Aber: Wer ist dieses „System“? War es schon von Anbeginn der Zeit da? Warum kann niemand etwas dagegen tun? Oder Einfluss darauf ausüben? Müssen wir uns Sorgen um die Deutsche Post und ihrem DHL Service machen, weil sie wie Marionetten von einem virtuellen, übergeordneten „System“ gesteuert werden?

    Ich mache mir Sorgen!

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  • Schaltet doch einfach eure Handys ab, ihr Spacken!

    Schaltet doch einfach eure Handys ab, ihr Spacken!

    Heute morgen sah ich von der S-Bahn aus eines der aktuellen Plakatmotive von „Brot für die Welt„. „Weniger ist leer“ steht darauf und natürlich soll man sofort „Wengier ist mehr“ assoziieren und an den Trendsport ‚Verzicht‘ denken, der aller Orten immer beliebter wird.

    Hat bei mir wunderbar funktioniert: „Technikfasten“ kam mir als erstes in den Sinn – einmal nicht sofort zum Handy greifen, wenn es summt, brummt oder vibriert, den Computer und den Fernseher einfach mal auslassen. Das kann jeder, so lange er sein reflexartiges Verhalten noch unter Kontrolle hat.

    Einige können aber offensichtlich schon nicht mehr anders und sind bereit, sich für viel Geld ihre Nicht-Erreichbarkeit teuer zu erkaufen. Derart die Kontrolle über seine Zeit und sein Leben verloren zu haben, macht den größten Manager zur armseeligsten Wurst! Anstatt stolz zu sein, ein Resort gefunden zu haben, in dem man für viel Geld wenig telefonieren darf ist traurig anstatt toll.

    „Luxese“ – die Zusammenziehung von Luxus und Askese – könnte hier das passende Schlagwort sein. Der Trend, den ‚Die Welt‘ 2009 entdeckt hat, stand bereits im Jahr 2000 in der Berliner Zeitung. Eigentlich bezeichnet er das Phänomen mit dem Billigflieger zum Luxushotel zu jetten, um die Kostenstrukturen einer Reise zu optimieren. 

    Ich möchte mir unter ‚Luxus-Askese‘ lieber vorstellen, dass irgendwelche gestressten, wichtigen Management-Menschen Tausende von Euros bezahlen um endlich einmal ganz ’natürlich‘ auf einer harten Holzpritsche in einer Laubhütte schlafen zu können. Diesen Business-Kaspern würde ich gerne zurufen: „Dann könnt ihr auch auf meinen Balkon kommen! Dort werdet ihr perfekt entschleunigt. Das Handy nehme ich euch ab und schalte es aus. Die Tausende von Euros können wir für bessere Dinge ausgeben.“ – Womit wir wieder beim Auslöser dieser Überlegungen wären.

    Dieser Beitrag erschien zuerst unter https://anderesachen.blogspot.com/2014/04/schaltet-doch-einfach-eure-handys-ab.html

  • Restaurant „Schote“ bezieht Stellung

    Restaurant „Schote“ bezieht Stellung

    „Urban Legends“ sind Untote: Als Wiederkehrer können sie uns an allen Orten zu jeder Zeit anfallen – so richig sicher darf sich niemand fühlen. Mit ein bisschen Nachdenken und unter Zuhilfenahme von Internet-Suchmaschinen lässt sich aber jede moderne Wandersage leicht entkräften. Dennoch halten sich diese „FOAF tales“ hartnäckig.

    Was ist dran und wie geht man als Betroffener damit um? Das wollte ich genau wissen und habe daher im Nelson Müllers Restaurant „Schote“ in Essen-Rüttenscheid nachgefragt, dem immer wieder nachgesagt wird, Gästen wegen Tellertauschens Hausverbot zu erteilen. Der Restaurantleiter Dennis Zerbe hat geantwortet.

    Es tauchen immer wieder Geschichten auf, dass Gäste des „Restaurants Schote“ beim Verlassen eine Zettel mit dem Hinweis „Bitte beehren Sie uns nie wieder“ erhalten hätten. Insbesondere, weil sie Teller zum Probieren der Gerichte getauscht hätten. Ist da was dran?

    Dennis Zerbe: Es liegt in unserem Interesse, nein, es ist ein tiefes Bedürfnis, zu dieser Mär etwas Fundiertes beizutragen. Zunächst möchten wir zu 100% festhalten und mit Bestimmtheit sagen, dass solche Karten, ähnliche Hinweise oder annährend formulierte Dareichungen noch nie in unserem Hause verteilt wurden!!!

    Aber Tellertauschen gefällt Ihnen sicher nicht. „Übersehen“ Sie solch ein Verhalten bei Gästen oder wird dies angesprochen?

    Dennis Zerbe: Tellertauschen? Wissen Sie, der Gast schafft sich doch seine eigene Atmosphäre, und er steht im Fokus jedes Tun und Handelns. Und viele Philosophien von Dienstleistern, egal welcher Branche, ist doch, den Kunden/Gast ein wenig nach-Hause-Stimmung zu vermitteln. Die Gastronomie, die einen hohen Anspruch an sich hat, hat mit dem Klischee zu kämpfen, elitär und steif zu sein. Allerdings ist die Regel eine andere. Lockerheit, gepaart mit Know-how und Empathie. Diese Ambition haben wir. Gemeinsam genießen macht doch mehr Spaß, und man kann diskutieren. Im Zeitalter, in dem manche Gespräche vielleicht ins Stocken geraten, doch eine willkommene Abwechslung. Insofern wird ein Tellertausch bei uns zu 100 % nicht registriert.

    Wäre es denkbar, dass ein Restaurant, Besuchern, die nicht zur Kernzielgruppe gehören, empfehlen nicht wieder zu kommen? Und wie würde man dies mitteilen?

    Dennis Zerbe: Die Restaurantdienstleistung hat im Vergleich zu allen anderen Serviceberufen mit Sicherheit eine Ausnahmestellung. Dies bedeutet, man kann pauschal 99% aller Dienstleistungsbranchen miteinander vergleichen, das 1% welches übrig bleibt, nämlich das Restaurantwesen, wird mit ganz anderen Augen betrachtet, und so wird auch dementsprechend versucht, mit Fingerspitzengefühl zu agieren. Die sternegekrönten Restaurants nehmen Jahr für Jahr immens zu. Meinen Sie wirklich, da kann man es sich erlauben, eine gewisse Zielgruppe nicht ansprechen zu wollen, so lange mit Gastgebern respekt- und niveauvoll umgegangen wird?! Nein. Wir würden natürlich einem Gast mitteilen, wenn er andere Gäste und /oder uns durch eine gewisse Lautstärke und Niveauabfall in der Sprache belästigt, eine Stufe runterzufahren. Die Kernzielgruppe ist doch ganz einfach erläutert: Menschen, die gerne genießen. Menschen, die Gesellschaft mögen. Menschen, die sich durch eine gewisse charmante Gastfreundschaft umsorgt fühlen möchten.

    Wie gehen Sie mit solchen rufschädigenden Legenden-Bildungen um? Gehören diese zum Geschäftsrisiko oder versuchen Sie aufzuklären?

    Dennis Zerbe: Dazu erhalten wir eine Vielzahl von Emails. Zwischenzeitlich gab es diesbezüglich auch Anrufe, oder wir wurden persönlich im Restaurant darauf angesprochen. Egal wie wir damit konfrontiert werden, geben wir folgenden kleinen Aufsatz mit:

    Skandal: „Bitte beehren Sie uns nicht wieder!“

    Unglaubliche Geschichtenklingen häufig einfach zu gut, um erfunden zu sein.

    Kennen Sie die Geschichte von George Turklebaum? Der Mann mit dem lustigen Namen war Angestellter in einem New Yorker Lektorat. Seit mehr als dreizig Jahren hatte er tagtäglich Bücher, Dokumente und Artikel korrigiert. Er war stets der erste, der ins Büro kam, und der letzte, der ging. An einem Montag erlitt George einen Herzanfall und starb, ohne dass einer seiner dreiundzwanzig Kollegen dies bemerkte. Erst fünf Tage später entdeckte eine Putzfrau den leblosen Mann in seinem Drehstuhl. Die britische Times, der Guardian, die Daily Mail und der BBC – sie alle berichteten über den einsamen Tod von George Turklebaum. Haben Sie wirklich noch nie von dieser Geschichte gehört?

    Wenn doch, dann gibt es etwas Anderes, dass Sie vielleicht nicht wissen: Der Mann hat nie gelebt. Seine Geschichte vom unbemerkten Tod ist frei erfunden. Sie ist das klassische Beispiel einer Großstadtlegende. Diese „Urban Legends“ – wie man sie auch nennt – werden in der Regel wie alle Sagen, Mythen und Märchen von Mund zu Mund und jedes Mal ein bisschen bunter weitererzählt. Nur äußerst selten allerdings, so eben im Fall von George Turklebaum, tragen namhafte Medien zu ihrer glaubwürdigen Verbreitung bei.

    Eine der nachhaltigsten Großstadtlegenden hat ihren Ursprung in der Spitzengastronomie. Ich selbst habe sie schon oft gehört, aber noch nie darüber gelesen. Die deutsche Erstversion, die mir vor vielen, vielen Jahren zu Ohren kam, drehte sich um Schloss Lerbach und Dieter Müller. Zugetragen wurde mir dieselbe Geschichte dann später über Heinz Winkler, Jean-Claude Bourgeuil, Helmut Thieltges, Hans Haas und Klaus Erfort, um nur einige zu nennen. Sie endete immer mit einem Hausverbot nach einem Restaurantbesuch, für das die Gründe stets variierten. Mal wurde es ausgesprochen, weil nicht alle Gäste am Tisch ein Menü gegessen hatten, ein anderes Mal, weil nur Wasser, aber kein Wein bestellt worden war oder weil ein Gast vom Teller des anderen probiert hatte.

    Jeder, der mir diese Geschichte erzählte, verbürgte sich für die unbedingte Glaubwürdigkeit seiner Quelle. Stets war es einem alten Bekannten oder gar einem Verwandten widerfahren, dass ihm zum Wechselgeld der beglichenen Rechnung ein Kärtchen mit der unmissverständlichen Mitteilung „Bitte beehren Sie uns nicht wieder“ serviert worden war. Das Wörtchen „nicht“ doppelt oder gar dreimal unterstrichen – je nachdem, ob es sich beim strafenden Patron um einen Zwei- oder Drei-Sterne-Koch handelte.

    Auch Fernsehkoch Johann Lafer, so wurde kolportiert, überreicht diese Aufforderung zur Rechnung; allerdings – ein delikates Detail! – im goldenen Umschlag. Und derzeit hochaktuell flüstert sich die Geschichte mit neuer Facette zum unternehmerisch erfolgreichsten Koch des Landes durch unsere kulinarische Klatschzone: Ein guter Bekannter ging mit seiner Frau und einem befreundeten Ehepaar zur Feier seines fünfzigsten Geburtstages zu Alfons Schuhbeck in die Südtiroler Stuben am Münchener Platzl. Nach freundlichem Empfang und Aushändigung der Speisekarten fragte er nach, ob er nicht eine Empfehlung vom Chefkoch bekommen könne. Sehr wohl, der Herr, stand bald darauf Schuhbeck persönlich am Tisch. Die Gäste waren sich rasch einig und folgten dessen Empfehlung.

    Bei einem der servierten Gänge griff die Frau mit der Gabel auf den Teller ihres Mannes, um etwas zu probieren. Dies gefiel dem Maître ganz und gar nicht. Er kam an den Tisch und ermahnte die Leute, dass man so etwas in einem feinen Restaurant nicht tue! Am Schluss, als die Rechnung kam, bemerkte der Mann erstaunt, dass die Beratung des Chefkochs unter „Empfehlung“ mit 65 Euro berechnet worden war. Er fragte nach, man diskutierte, er akzeptierte am Ende. Dann verließen die Gäste das Restaurant, begleitet vom Maître, der dem Mann an der Tür einen Brief übergab. Der Inhalt: Man bedankte sich für den Besuch und bat die Gäste, nicht mehr wiederzukommen, weil sie für das Restaurant zu wenig Stil hätten.

    „Don’t come back card“ – so heißt in den USA das Pendant zur deutschen „Bitte beehren Sie uns nicht wieder“-Aufforderung. Man vermutet, dass sie in den 1950er Jahren ihre Geburtsstunde hatte. Erstmalig tauchte sie in Gesprächen über das Restaurant Canlis in Seattle auf, das noch heute, sechzig Jahre später, eine hoch exklusive Adresse für Fine Dining ist. Aber obwohl Peter Canlis ebenso wie seine Erben eine Belohnung von tausend Dollar demjenigen versprochen haben, der eine solche Karte bringt, hat sich bis heute niemand gemeldet. Die böse Botschaft bleibt unsichtbar wie das Ungeheuer von Loch Ness.

    Die Moral: Sollte Ihnen jemand von einem Restaurant berichten, in dem ihm die Sache mit der „Don’t come back card“ widerfahren sei, können Sie eines glauben: Dieses Restaurant hat sich die höchste Form der Anerkennung verdient.

    Als Untermalung dieser Mär möchten wir darauf hinweisen, dass vor wenigen Wochen eine eigens einberufene Pressekonferenz in Osnabrück organisiert wurde. Initiator dieser war Thomas Bühner, 3***- Koch im Restaurant La Vie. Er musste diesen aktiven Weg gehen, weil Ihm aufgrund zahlreicher Gast-Konfrontationen mit dieser angeblichen Karte eine Rufschädigung entstand, und er Ihm ein Gast sogar – nur aufgrund „ich habe gehört“ – gerichtliche Schritte androhte.

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  • Urban Legends: Schoten über die „Schote“ – aber nicht zum Lachen

    Urban Legends: Schoten über die „Schote“ – aber nicht zum Lachen

    Ich bekenne mich schuldig. Dabei hätte ich etwas ahnen sollen: Ich habe mit großer Begeisterung alle Bücher von Rolf Wilhelm Brednich gelesen

    • Die Spinne in der Yucca-Palme
    • Das Huhn mit dem Gipsbein
    • Die Ratte am Strohhalm
    • Die Maus im Jumbo-Jet
    • Der Goldfisch beim Tierarzt
    • Pinguine in Rückenlage

    und trotzdem habe ich mich für einen Augenblick anfixen lassen, obwohl ich es hätte wissen müssen. Also bekenne ich mich schuldig, sorge nun aber auch für Aufklärung. Wir alle sind dafür empfänglich, das zu glauben, was uns gefällt.

    Im Kollegenkreis unterhielten wir uns neulich über Restaurants in Essen. Dabei kommt man schnell auf das Restaurant „Schote“, das Stammhaus Nelson Müllers als eine der besseren Adressen der Ruhr-Stadt. Schon fielen die Schlagworte „teuer“, „elitär“ und „unfreundlich“. Man sei ja selber noch nicht dort gewesen, aber Freunde von Bekannten, die dort neulich waren, hätten beim Verlassen des Restaurants einen Zettel mit dem Hinweis „Beehren Sie uns nicht wieder“ erhalten. Und das, nachdem sie die hohe Rechnung auch noch durch ein üppiges Trinkgeld aufgerundet hätten. Und warum das Ganze? Sie hätten ihre Teller getauscht, um von den treuen Luxusgerichten jeweils probieren zu können und somit gegen die Hausordnung des Sterne-Restaraurants verstoßen.

    Die klassische Konstruktion eines „FOAF tale“ – Geschichten, die dem Freund eines Freundes passierten – da hätte man schon hellhörig werden müssen. Spontan sagte ich aber: „Ich will diesen Zettel!“ Und überhaupt: Wenn es diese Zettel gibt, warum hat man ihn dann noch nicht in keinem der üblichen Social Networks gesehen? Die Leute „instagrammen“ doch heutzutage alles…

    Aber offensichtlich fiel diese Geschichte bei mir auf fruchtbaren Boden, der mit eigenen Erfahrungen ausreichend gedüngt war. Im Rahmen des jährlichen Restaurant-Karusells in Essen war ich vor Jahren auch zum mehrgängigen Menü im Restaurant „Schote“. Die Idee dahinter ist, dass die Restaurants der Stadt vergünstigte Menüs zum Kennenlernen ihrer Küchenkunst anbieten. In anderen Städten heißt das anders, funktioniert aber genauso.

    Es war also sehr viel günstiger als sonst, aber gefühlt immer noch recht teuer. Vielleicht setzt eine Art Stigmatisierung ein: Man weiß, nicht zum üblichen Publikum zu gehören und schon fühlt man sich latent beobachtet und ein Stückchen oberflächlicher behandelt, ohne das dies den Tatsachen entsprechen muss. Tatsache hingegen war, irgendwas mit dem Nachtisch nicht ganz stimmte: Ich war der Meinung, dass etwas das laut Karte hätte „halbgefroren“ sein sollen auf unser eher noch sehr „tiefgefroren“ wirkte und irgendwo ein Stückchen Papier (von einer Arbeitsunterlage) klebte, was da sicher nicht hingehörte. 

    Diese Erinnerungen ließen mich reflexartig auf die Geschichte anspringen. Sofort fragte ich bei Twitter, wer unter meinen Followern diese Geschichte auch gehört hätte und erhielt prompt eine latente Bestätigung – zumindest keine Zurückweisung:

    Schnell gegoogelt, wird weiteres Öl ins Feuer gegossen: Auf lokalkompass.de wird dieselbe Anekdote zum Besten gegeben – wobei die antwortenden Kommentare bereits auf das Land der Legenden verweisen.

    Und schnell verdichten sich die Spuren die auf moderne Märchen-Dichtung deuten:

    Damit könnte man die Beweisführung abschließen – und ich hatte mich ja auch bereits gleich von Anfang an „schuldig“ im Sinne der Anklage bekannt.

    Aber da „der Fall“ der mit dem Restaurant „Schote“ begonnen hatte, sollte er auch mit einer Stellungnahme des Hauses fallabschließend ad acta gelegt werden.

    Um so mehr freue mich, dass ich von Denis Zerbe, dem Restaurantleiter, auf meine Interviewanfrage eine ausführliche und umfangreiche (und sehr freundliche) Rückmeldung bekommen habe, die ich hier auch veröfffentlich darf. Und ich kann euch sagen, dass die Mitarbeiter des Restaurant „Schote“, solche Geschichten keineswegs für ‚Schoten‘ halten, denn darüber können Köche schon lange nicht mehr lachen. Das ist aber eine weitere Geschichte…

    Fortsetzung folgt…

    Dieser Beitrag erschien zuerst unter https://anderesachen.blogspot.com/2014/01/urban-legends-schoten-uber-die-schote.html

  • Die Packstationen von DHL sind kosmisch: Schwarze Löcher, in denen alles verschwindet

    Die Packstationen von DHL sind kosmisch: Schwarze Löcher, in denen alles verschwindet

    Wie erklärt man einem Laien, das Prinzip „Packstation“? Am besten so: Die Packstation ist ein schwarzes Loch, das alle Energie aufsaugt – Deine Pakete, Dein Geld, Dein Nervenkostüm. Und wie macht sie das? In dem sie gar nichts macht – und das macht sie perfekt.

    Ich habe mich beim Service der Packstationen über http://www.paket.deangemeldet, weil ich meine Nachbarn mit meinen Bestellungen und Postsendungen nicht belästigen wollte. So weit, so gut. Ich habe direkt nach der Anmeldung einen ersten Online-Kauf an die Packstation adressieren lassen. Mein Fehler, denn ich hätte die Zustellung meiner Abholkarte abwarten müssen. Also: Paket rein in die Packstation, Paket raus aus Packstation. SMSe, dass der Dienst nicht funktioniere und gebührenpflichtige Anrufe auf der Hotline, weil ich keine Handyflat fürs Festnetz habe – die Telekom hat meine Leitung ruiniert, aber dafür kann die Post ja nichts. Nach ca. sechs Anrufen auf der Hotline, war das Paket in der Packstation und ich im Besitz meiner Abholkarte. Dann kam ein „mTan“ auf dem Handy an und direkt danach eine SMS, dass ich für alle Services an den Packstationen gesperrt sei.

    Erste Auskunft der Hotline: „Bitte ignorieren Sie den Sperrungshinweis einfach.“ Kann man machen, aber dann bekommt man sein Paket auch nicht. Er folgen erneute Anrufe auf der Hotline. Nun heißt es, man löse eine neue „mTan“ aus, die aber auch nach vier Werktagen noch nicht eingetroffen ist. Dann schwenken Hotlines in der Regel auf eine andere Strategie um: Es kann nicht sein, was erklärbar ist. Tenor: „Sie irren sich, lieber Kunde!“ – Vielleicht erwarten Sie keine Sendung? Oder sie haben eine SMS mit einer Tan von uns gelöscht? Es kann eben nicht sein, was nicht sein soll.

    Irgendwann erreicht mich nach ca. zehn Tagen nach einer Bestellung bei Amazon, die ich an die Packstation adressiert hatte, eine E-Mail von DHL. Meine Sendung sei mit der Nummer xyz123 zu mir unterwegs. Eine Info der Packstation erhalte ich nicht. Ich erhalte auch eine Woche später keinerlei weitere Info zu dieser Sendung, die ich längst bezahlt habe.

    Ich möchte mich zur Sendungsverfolgung auf http://www.paket.de einloggen. Das geht nicht. Ich sehe nur eine Eieruhr. Erklärung dazu über Twitter: „Dann haben Sie offensichtlich Ihr Passwort vergessen.“ Also klicke ich vorsichtshalber auf „Passwort vergessen“ und gebe meine E-Mail-Adresse an. Eine E-Mail zum Zurücksetzen der Zugangsdaten erreicht mich nie. Warum? Keine Ahnung.

    Eine Stunde später erhalte ich eine E-Mail eines ebay-Verkäufers. Seine Ware, die ich käuflich erworben haben, wurde von der Packstation als unzustellbar abgewiesen…

    Verstehen Sie jetzt was ich meine? Ich komme gerne auf den Anfang zurück: Packstationen sind ein schwarzes Loch. Ein Service, der attraktiv klingt, aber nicht funktioniert.

    Ich werde künftig meine Paketpost wieder lieber an eine Wohnadresse schicken lassen, auch wenn ich weiß, dass ich nicht da bin und sie deswegen zur Abholung in der Postfiliale hinterlegt werden wird. Es wäre auch anders gegangen, aber die DHL will scheinbar irgendwie nicht – dann will ich auch nicht mehr.

    Dieser Beitrag erschien zuerst unter https://anderesachen.blogspot.com/2013/11/die-packstationen-von-dhl-sind-kosmisch.html

  • Er kam mit dem Buch…

    Er kam mit dem Buch…

    Es gibt Kinderbücher, die wurden vermutlich für Erwachsene geschrieben. Jedenfalls bin ich der größte Fan von „Er kam mit der Couch“ von David Slonim. Nicht nur, dass uns der blaue Typ besonders gut gefällt, sondern die ganze Geschichte ist recht liebevoll erzählt und gemalt und hat zwei herrliche Wendungen. Inwieweit das kindgerecht und pädagogisch wertvoll ist, weiß ich nicht, aber bei Eltern kommt der Spaß beim Vorlesen mit dieses Buches bestimmt an.

    Diesere Beitrag erschien zuerst unter http://www.vatertage.net/kinderbuch-6-er-kam-mit-dem-buch/

  • Grausame Frauen

    Grausame Frauen

    Ich neige der Unterhaltungslektüre zu – was mitunter auch mal sehr obskure Bücher auf meinen Lesestapel spült. Jüngstes Strandgut: „Tyranninnen. Grausame Frauen der Weltgeschichte“ von Helmut Werner aus dem Jahre 2010.

    Ein Personal-Trainer hatte uns mal erzählt, dass die Geschichte der Menschheit eigentlich nur auf der Geschichte eines guten Dutzends einflussreicher Frauen basiere, die mit ihren Entscheidungen die Geschicke der menschlichen Rasse nachhaltig beeinflusst hätten. Das klang unterhaltsam und dazu wollte ich was lesen. Also habe ich eine handvoll passender Suchbegriff bei Amazon eingehackert und heraus kam: „Tyranninnen. Grausame Frauen der Weltgeschichte“ – also eher die dunkle Seite der Macht.

    Macht nichts: Lesen wir einfach mal das. Es war richtig guter Schund! Alle Vorurteile und üblen Nachreden wurden gesammelt wiedergegeben. Geschichte ist eben immer auch nur die Geschichte derer, die sie aufschreiben. Und so wundert es nicht, dass in Zeiten männlich dominierter Gesellschaftsstrukturen, die Herrschaft von Frauen etwas ganz Ungeheuerliches war und die vorrangig männlichen Chronisten den Damen alles andichteten, was Ihnen gefiel bzw. eben nicht gefiel.

    Vermutlich wäre die Geschichtssammlung männlicher Tyrannen viel umfangreicher und grausamer – aber das war ja auch vormals normal. Eigentlich haben die meisten dieser Herrscherinnen auch nichts anderes gemacht: Gegner ausgeschalten lassen, Affairen gehabt und ein bisschen in Saus und Braus gelebt. Darüber hinaus gab es meistens aber auch recht gute Reformen und properierende Zeiten für Volk und Nation.

    Am interessantesten fand ich das Kapitel über russische Zarin Katharina, die Große. Hier hätte ich nach all den seichten Schmuddeladaptionen ihrer Lebensgeschichte, die gerne mal im Privatfernsehen nach Mitternacht liefen, die volle Breitsseite erwartet. Es gibt aber nur eine Liste mit knapp acht Liebhabern, die alle deutlich jünger als sie waren – es tyrannisch wirkt das nicht.

    Ansonsten ist das Buch eine kurzweilige Märchenstunde mit ein paar Schauder-Effekten – Unterhaltungsliteratur eben. Noch besser hätte es mir gefallen, wenn der Autor auf dem Schmutztitel die Widmung „Für Mutti“ platziert hätte.

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  • Jungen-Katastrophe

    Jungen-Katastrophe

    Als Vater zweier Jungen war es eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis ich das Buch von Frank Beuster lesen würden: „Die Jungen-Katastrophe. Das überforderte Geschlecht“ aus dem Jahr 2006 ist fast schon ein Klassiker. Die Thesen dürften nicht nur bereits eine gewisse öffentliche Karriere hinter sich haben, sondern sind auch äußerst gut nachvollziehbar: Immer mehr Jungen wachsen ohne männliche Rollenvorbilder auf – weil die Väter nicht mehr in den Familien leben und in den ersten Lebensjahre vorrangig Frauen als Erzieherinnen in Kindergärten und Lehrerinnen in den Schulen tätig sind. Dann werden sie auch noch in eine Umwelt entlassen, die eine Frauen- aber keine Männerförderung kennt. Das macht es Jungen schwer(er) ihre Rolle im Leben zu finden.

    So weit, so gut. Und deswegen finde ich es auch klasse, dass es im Kindergarten einen Erzieher und immer wieder regelmäßig männliche Praktikanten gibt. Ob das Buch zu diesem Thema knapp 350 Seiten haben muss, ist jedoch fraglich: Die Argumentationslinie ist sehr unsystematisch und der Autor hüpft von Höckchen zu Stöckchen.

    Ich habe das Buch ganz gelesen und kann bestätigen, dass es bis zum Ende so bleibt. Insbesondere den letzten Teil „Diagnose Junge – und die Medizin?“ (S. 296ff) fand ich fast schon wirr. Meistens klingt Frank Beuster so wie ein engagierter Grundschullehrer mit Spaß und Freude an Wortwitzen uns Sprachspielereien – das liegt aber vermutlich daran, dass Frank Beuster ein engagierter Grundschullehrer ist.

    Auch wenn man Zitate nicht aus dem Zusammenhang reißen sollte, haben mich zwei Stellen aber bereits beim Lesefluss etwas verwundert. Auf Seite 207 fragt der Autor: „Werden Frauen und Homosexuelle in Zukunft Gewinner sein, wenn es um die Verteilung der immer weniger werdenden Arbeitsplätze geht?“ und auf Seite 255 lautet seinen Frage: „Sind Frauen inzwischen die besseren Männer?“ Das mag rhetorisch gemeint sein, wirkt aber überflüssig. Dafür zweimal ein „Nein!“ von meiner Seite.

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