Bei Umzügen oder beim Aufräumen fallen sie einem wieder regelmäßig in die Hände: Briefe aus der Vergangenheit. Und ich hatte sie auch fast alle aufgehoben – es war ja auch bequem die Kisten und Kartons im ehemaligen Kinder- und Jugendzimmer im elterlichen Haus verstauben zu lassen.

Bei handgeschriebender Korrespondenz streift einem gleich der Hauch der Hochkultur. Dem folgt in der Regel sofort ein Wehklagen wegen des Verlusts der Schriftlichkeit in Zeiten des Digitalen.

Auch ich mochte mich nicht leichtfertig von diesen Schätzen meiner Vergangenheit trennen und machte mich an die Durchsicht und Lektüre. Mehrfach musste ich gegen den Schlaf ankämpfen oder nickte einfach mit dem Totholz in der Hand ein.

Boah, was wir uns für einen Unsinn geschrieben haben und mit welch Banalitäten Briefbogen um Briefbogen gefüllt wurde! Die Briefpost wimmelte von Alltäglichem: Was der Zahnarzt gesagt hat, was es zu Essen gab, wo das Auto rostete und was in Ausbildung, Arbeit oder Studium gerade anstand.

Aber warum war das so in den 1980ern und 1990ern Jahren? Waren wir die „Generation trivial“? Nein, wir waren schlichtweg nicht zu erreichen!Etwas, dass man sich heute kaum noch vorstellen kann. Nach dem Abitur in der Kleinstadt, bin ich zum Militärdienst nach Norddeutschland gegangen. Die Telefonanschlüsse innerhalb der Kaserne konnten nur über die zentrale Telefon-Vermittlung erreicht werden. Und wer private Dinge am Dienstapparat besprechen wollte, wurde einfach nicht durchgestellt.

Im Studium wurde es nicht besser: In dem Wohnheim, in dem ich die meiste Zeit lebte, gab es anfänglich nur ein Telefon pro Gemeinschaftshaus. Das war entweder besetzt, kaputt oder alle hörten immer mit. Man konnte sich also nur schreiben, wenn man in Kontakt bleiben wollte.

Also schrieb man sich und man schrieb sich alles:

  • Ich fand viele Briefe mit Wegbeschreibungen zu Orten, an denen niemand mehr wohnt, der dies vormals geschrieben hatte. Es gab keine Navigationsgeräte. Also schrieb man: „Du fährst bis zur Ortsmitte und hinter der Kirche fährst Du die Straße links rein. Beim blauen Haus auf der rechten Seite, geht links zu eine Stichstraße ab…“ – wann habt ihr das letzte Mal eine Wegbeschreibung verschickt?
  • Man schrieb sich, was ehemalige gemeinsame Klassenkameraden und Freunde gerade so treiben. Also ‚Statusmeldungen‘, die jeder auf Facebook verfolgen kann, ohne dass ein anderer sie aufschreiben müsste.
  • Was mir besonders gefiel: Man schilderte Situationen bildlich.Warum? Weil man kein Bild hatte. Die Filme in den Fotoapparaten hatten in der Regel 24 oder 36 Bilder und man knipste nicht wahllos einfach drauflos. Man hätte ohnehin warten müssen, bis der Film voll war und dann entwickelt wurde. Also beschrieb man die beengende Situation im WG-Zimmer, seine Dienstkleidung oder die Rostbeulen am alten Golf, den man vom Großonkel günstig übernehmen konnte.

Alles ganz putzig und für den Moment ganz unterhaltsam – aber auch nichts für die Ewigkeit. Deswegen muss noch lange nicht jeder Brief in die Tonne gekloppt werden, aber auch nicht jeder ist archivierungswert. Anders gesagt: Wir möchten auch nicht alle Facebook-Stati ausdrucken, um sie in 20 Jahren in Ruhe noch mal nachlesen zu können. Es ist ok, dass nicht alles für die Nachwelt erhalten bleibt, weil es schlicht nicht erhaltenswürdig war. Nicht alles im digitalen Wandel ist schlecht: Er macht Vergängliches vergänglich und versieht Platitüden nicht mit Patina.

Und die besten Briefe hebe ich natürlich weiterhin auf und nehme sie in fünf Jahren beim nächsten Umzug genauso gerne wieder zur Hand wie heute.

Dieser Beitrag erschien zuerst unter https://anderesachen.blogspot.com/2015/05/fruher-war-mehr-brief.html

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