In Bezug auf Romane kann man mit Thommie Bayer nicht viel falsch machen. Ich habe vor etlichen Jahren so einiges bis damals fast alles von ihm gelesen, dann länger Pause gemacht und nun über den jüngsten Jahreswechsel „Vier Arten, die Liebe zu vergessen“ weggelesen. Ich habe mich vom Titel locken lassen und fand auch, dass der Klappentext eine interessante Geschichte versprach: „Emmis Tod bringt vier alte Schulfreunde wieder zusammen. Beinah zwei Jahrzehnte haben sie sich nicht gesehen, viel ist inzwischen geschehen. Und so verabreden sie sich noch Grab für ein Wochenende in Venedig: Die vier wollen endlich herausfinden, was ihre Freundschaft ihnen wert ist – uns was genau sie all die Jahre nicht losgelassen hat.“
Aber ich hatte etwas ganz anderes erwartet: Irgendwie dachte ich, Emmi sei die Geliebte von allen vieren gewesen und jeder konnte auf seine Weise nicht loslassen. Erst im zeitlosen Sehnsuchtsort Venedig, der eine symbolgeschwängerte Projektionsfläche bietet, gelingt es ihnen, ihr kollektives Liebestrauma gemeinsam zu überwinden.
Ganz so, war es dann doch nicht: Emmi war die Musiklehrerin, die aus vier verkrachten Internatsschülern eine Art ‚Barbershop Quartett‘ geformt hat. Sie hatten vermutlich später alle noch Sex mit der selben Frau (nicht die Musiklehrerin) – aber das ist nur eine Nebenlinie der Geschichte. Venedig und die detaillierte Beschreibung seiner Kunstschätze und Lebensart wird schon metaphorisch aufgeladen sein, aber in der Erzählung ist der Grund des dortigen Zusammentreffens eher pragmatisch angelegt, denn der es ist der Wohnort der Hauptfigur, die seine drei ehemaligen Sangesbrüder zu sich nachhause einlädt. Und überhaupt war ich ein bisschen verwundert, dass das Wiedersehen, das laut Klappentext das zentrale Erzählungselement zu sein schien, erst auf Seite 140 beginnt – also ziemlich genau in der Mitte des Buches.
Das klingt jetzt alles ein bisschen so, als hätte mir das Buch nicht gefallen, aber ich fand es nicht schlecht – es war halt nur eine ganz andere Geschichte als vermutet. Und das ist ja auch nicht verkehrt, dass Literatur uns noch überraschen kann.
Also bleibt es dabei: Thommie Bayer ist immer eine gute Wahl. Über den Anspruch mögen sich andere streiten, aber ich halte gute Unterhaltung auch für eine solide Leistung von Literatur. Eigentlich ein klassischer „Männerroman“ – ein Genre, das noch mit dem passenden Etikett hadert: „Lad Lit“ ist eher Nick Horby und „Fratire“ ist politisch nicht korrekt. Da ist es bei Bayer doch noch alles recht gesittet bis gesetzt. Obwohl die vier Freunde in dem Buch eigentlich gut zehn Jahre jünger sein müssten als ich, fehlte mir der Identifikationscharakter, den man ja gerne beim Lesen wiederfindet – oder ich bin dann als Zielgruppe doch zu alt.
Jetzt muss ich mich aber sputen, um noch vor Ablauf des „Beuys-Jahres 2021“ den zweiten Teil meiner Begegnungen mit Beuys zu liefern. Ging es im ⏩ ersten Teil eher um reale Begegnungen – mit dem Meister selbst 1992 auf der „documenta 7“ oder mit Tomasz Piwarski und Jenny Trautwein, die Sprößlinge aus den 7000 Beuys Eichen als ⏩ „Beuys Babys“ herangezogen haben – so geht es im zweiten Teil eher um einen neuen Blick eines Kunstlaien auf das Werk des Ausnahmekünstlers.
Was würde sich für einen solchen zweiten Blick besser anbieten als Ausstellung, die anlässlich des Jubiläums zusammengestellt wurde? Die ⏩ Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen bot in der ersten Jahreshälfte im Düsseldorfer K20 ⏩ „Kosmopolitische Übungen mit Joseph Beuys“ an. In der Einleitung des korrespondierenden ⏩ Webseite heißt es dazu: „Sein 100. Geburtstag im Jahr 2021 bietet Anlass sein komplexes Wirken und seine internationale Ausstrahlung neu zu entdecken und kritisch zu befragen.“
Also: Auf geht’s zum Neuentdecken und Hinterfragen! Mein erster Eindruck: Ich kam mir verdammt alt vor! Alles, was ich in meiner Jugend rund um Kunst als hipp und revolutionär abgespeichert hatte, wirkte piefig, oll und hatte Staub angesetzt. Videokunst, die auf VHS Kassetten aufgenommen wurde, leidet mit der Zeit. Unsere HD und Ultra-HD gewohnten Augen, wundern sich über über Graustufen, zuckelnde Bildraten und Streifen bei der geringen Auflösung. Allein die Technik lässt Vieles heute amateurhaft wirken was einst die Avantgarde war.
Szenen einer Ausstellung – im Sommer 2021 im K20 in Düsseldorf
Erschwerend kommt hinzu, dass Aktionskunst in erster Linie Kunst während der Aktion ist – also an einem Punkt der Zeitleiste, der schon lange zurückliegt. Dokumentarische Aufnahmen von Aktionskunst haben etwas von einer Fotokopie der Mona Lisa. Und sie sind mitunter lang: Wenn Joseph Beuys irgendwo vier Stunden auf einem Bein stand, wer von uns setzt sich heute vier Stunden vor einen Monitor und schaut sich die Performance in 600 x 400 Bildpunkten an? So war ich schneller mit der Ausstellung fertig als erwartet.
Das ist keine Kritik an den Ausstellungsmachern. Eigentlich hatten sie die tolle Idee, den Arbeiten von damals aktuellere Beiträge zuzuordnen, die ähnliche Aspekte aufgreifen, weiterführen oder in ein neues Licht stellen. Das meiste davon waren dann noch mehr Videos.
Weil ich nun Zeit gewonnen hatte, ging ich gleich auch noch in die zweite Ausstellung im Haus: ⏩ „Christoph Schlingensief. Kaprow City„. Wieder wurden Erinnerungen wach: Studentenzeit in Berlin mit einer gewissen Begeisterung für die gezielt gesetzten Provokationen, die von der Volksbühne kamen. Der Raum war dunkel und muffig. Darin ein „begehbares Bühnenbild“, dass aus Holzresten und Sperrmüll 2006 für die Volksbühne zusammengetackert wurde und danach in ein Schweizer Museum wanderte. Provokantes empfand ich nicht beim Betrachten. Für mich war das Angebot aus der Zeit gefallen. Ich fand davon nichts cool, sondern nur schmuddelig und ranzig. Nun, ich bin ja auch kein Kunstexperte.
Meine persönlichen Bewertungen aus heutiger Sicht schmälern nicht die Leistungen der künstlerischen Arbeiten: Ich glaube, dass die Impulse, die Beuys auf jeden Fall (und Schlingensief vielleicht) gesetzt haben, für die Entwicklung der Kunst in der damaligen Zeit revolutionär waren und auf jeden Fall unsere Anerkennung verdienen. Unsicher bin ich mir jedoch bei der Frage, wie man diese Leistungen konserviert, wie man vergangene Zeitgeschichte einfängt und wieder zugänglich macht. Vielleicht sollten Erinnerungen der gute Nährboden sein, auf dem Neues wachsen kann.
Womit wir wieder bei Tomasz‘ und Jennys kleinen Eichen wären. Ich hatte 2021 noch eine weitere virtuelle Begegnung mit ihrer Idee – und diese ereignete sich bei der Lektüre eines Buches, das bereits lange ungelesen in meinem Regal stand und versprach so gar nicht nichts mit dem Thema zu tun zu haben: ⏩ „Japanische Bergleute im Ruhrgebiet„. Aber ich staunte nicht schlecht, als ich auf Seite 234 auf die Geschichte von ⏩ Naoto Tajimas Eiche gestoßen bin. Der Goldmedaillengewinner im Dreisprung bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin war zeitweise der Verbindungsmann des deutsch-japanischen Bergbau-Programms. Die Gewinner erhielten neben den Medaillen und dem Lorbeerkranz noch einen Eichensetzling. Tajima pflanzte seinen am Rande des Leichtathletikfeldes der Landwirtschaftsfakultät der Kaiserlichen Universität Kyoto. Symbolisch genug starb der Baum nach dem Tod des Sportlers und seiner Frau ab. Es wurden Setzlinge aus den Zweigen gewonnen, von denen einer Kobe und ein anderer in Iwakuni weiterwächst.
Auszug zu Naoto Tajimas Eichen-Bäumchen aus Atsushi Kataoka, Regine Mathias, Pia Tomoko Meid, Werner Pascha, Shingo Shimada (Hrsg.): „Glückauf“ auf Japanisch. Bergleute aus Japan im Ruhrgebiet (S. 234/235)
Wer sich daran stört, dass diese an sich schöne Geschichte ihren Ursprung in den Olympischen Spielen der Nationalsozialisten hat, kann eine vergleichbare Spur bei den ⏩ „Lutherbäumen“ finden: „Insbesondere an runden Jubiläen von Ereignissen aus Luthers Leben oder der Reformationsgeschichte wurden vielerorts Lutherbäume gepflanzt.“ Etliche davon waren Setzlinge anderer Lutherbäume andererorts. So wie auch die riesige Lutherbuche vor dem Lübecker Dom, die 1873 als ein Ableger der Lutherbuche aus Bad Liebenstein in Thüringen zur 700 Jahrfeier des Domes in die Hansestadt kam, die wir ebenfalls im Sommer 2021 besuchten.
Luther-Buche vor dem Dom in Lübeck
Aber zurück zu Beuys: Im Herbst diesen Jahres bin ich doch noch mal auf die Suche nach dem Künstler gegangen. Und zwar in seine Geburtsstadt Krefeld – „umme Ecke“ von hier. Obwohl Beuys selber Kleve als seinen künstlerischen Geburtsort gewählt hat. Es passt zum Künstler, dass seine Geburt am 12. Mai 1921 eine Art Mysterium ist: In der offiziellen (Krefelder) Geburtsurkunde wird der „Dampfmühlenweg“ ohne Hausnummer angegeben – ⏩ man mutmaßt, dass er auf dem Gehweg, in einem Hauseingang oder einer Droschke geboren wurde. Seine Mutter soll behauptet haben ihren später berühmten Sohn beim Umzug von Kleve nach Krefeld im Straßengraben entbunden zu haben. Die damalige Meldeadresse: Alexanderplatz 5 in Krefeld. Dort hat der Joseph Beuys seine ersten drei Lebensmonate verbracht – und dort hängt auch eine Gedenktafel, die genau das besagt.
Gedenktafel für Joseph Beuys in Krefeld
Dies Verwirrspiel um seine Geburt macht mir Beuys als Freak irgendwie wieder sympathisch. Er bricht auch hier die klassischen Erwartungsmuster und schreibt Regeln neu, in dem er sich seinen Geburtsort selber wählt. So wie er 1980 in der TV-Sendung „Lebensläufe“ gesagt haben soll: „Also habe ich das Leben zum Kunstwerk erklärt.“ Das, finde ich, kann man so stehen lassen.
OK, ich habe nichts zu sagen, weil ich Niedersachse bin. Ich bin in Goslar im Harz geboren, in Hannoversch-Münden aufgewachsen, habe meinen Wehrdienst in Buxtehude abgeleistet und meine ersten journalistischen Gehversuche bei der Gifhorner Aller-Zeitung gemacht. Alles war Niedersachsen – was keine besondere Leistung ist, denn Niedersachsen ist ein Flächenstaat und Gifhorn der größte Landkreis Deutschlands. Obwohl Hann. Münden wie ein Tropfen am südlichsten Zipfel Niedersachsens – de facto komplett von Hessen umgeben – hängt, wurde ich auf keiner meiner Stationen danach gefragt, wie weit mein niedersächsischer Status reicht: Wir alle waren sturmfest und erdverwachsen und von „Heil Dir, Windukinds-Stamm“ – da wurde nicht nachgefragt.
Ganz anders hier in Nordrhein-Westfalen! Es fängt schon damit an, dass in Bochum kein Karneval gefeiert wird und die Geschäfte am Rosenmontag geöffnet haben – einmal kurz über Wattenscheid nach Essen gerutscht, ist man im Rheinland und feiert schunkelnd Fasching inklusive Umzug am Rosenmontag. Ganz zu schweigen von Düsseldorf und Köln: Wenn es Ying und Yang nicht gebe, dann hießen die Gegensätze wie die Millionen-Metropole und die Landeshauptstadt oder Hosen gegen Höhner. Und dann noch die Diskussion über rechts- und linksrheinisch …
Zugegeben: Es gibt einen gewissen kulturellen Clash zwischen OWL und der Eifel, aber es gibt auch in Niedersachsen Unterschiede zwischen Ostfriesland und Löchow-Dannennberg – und es kümmert uns nicht. So: „Come over it, Northrhine-Westfalia!“ Wir reden über ein Europa der Regionen, vielleicht noch über ein Deutschland als Land der Ideen, aber ein Bundesland als Flickenteppich braucht kein Mensch!
Ich arbeite in einer Landesbehörde mit sechs Niederlassungen in allen Ecken und Enden NRWs – schwierig genug dabei eine Linie zu finden. Aber: He, sollten wir nicht alles auf eine gemeinsame Karte setzen? Wenn nicht wir, wer dann? Ich bin Düsseldorf und reiche Köln die Hand – und Lippstadt und Soest und Remscheid und Stollberg und Senden. Welche Hand kommt mir entgegen? Ich wäre gerne so ein Nordrhein-Westfale wie ich einst ein Niedersachse war …
Aber man glaubt, die Menschen in Nordrhein-Westfalen wollen sich gar nicht als ein gemeinsames Bundesland fühlen – und das ist schade!
Wir haben das Beuys-Jahr: 2021 wäre der Ausnahmekünstler mit dem Hut 100 Jahre alt geworden. Und zwar am 12. Mai. Das ist jetzt schon ein bisschen vorbei – aber das Jahr ist ja noch nicht ganz zu Ende. Ich hatte gar nicht vor, mich mit Beuys gedanklich auseinanderzusetzen, aber es gab in diesem Jahr ein paar Begegnungen mit Beuys, die mich darüber nachdenken ließen, was seine Art für uns bedeuten könnte.
Als Kind, das im südlichsten Zipfel Niedersachsens aufwuchs (also eigentlich fast schon an der Stadtgrenze zu Kassel), war ich schon früh (und seit dem regelmäßig) Besucher der ⏩ documenta. Diese ist ja nur alle fünf Jahre und da fällt es schwer, sie zu verpassen. Die „d7“ 1982 war meine Premiere: Das war die documenta, auf der Joseph Beuys seine 7000 Eichen (inkl. Basaltstein) aufstellen wollte.
Fotos aus der Beuys-Ausstellung im Düsseldorfer K20 im Jahr 2021.
Zugegebner Weise hatte ich mit 14 noch keinen Zugang zu (moderner) Kunst. Es war viel los in der Provinz und das an sich war schon spannend. An richtig viel kann ich mich nicht erinnern, aber daran, dass ich mit Joseph Beuys einen Kaffee trinken war. Und das kam so: Ich war auf einer Radtour mit der Jugendgruppe aus Großvaters Kirchengemeinde unterwegs und Beuys war in Kassel um den mit rosa Farbe übergossenen Haufen Basaltsteine zu begutachten. Scheinbar gab es viele Leute, die ein ähnliches Kunstverständnis wie ich damals hatten und fanden die Aktion blöd. Beuys guckte seine Steine an und wir guckten Beuys an. Er trank dabei Kaffee aus einem Plastikbecher, den er zerdrückte und wegwarf (das machte man in den 1980er Jahren noch). Mein Großvater sagte: „Heb den auf, da war der Künstler dran: Das ist jetzt Kunst!“ – Wir lachten, ich ließ den Becher liegen, der mir heute vielleicht ein Häuschen bezahlt hätte. Da der Kaffee wohl nicht so lecker war, machte Joseph Beuys einen großzügigen Kreis mit seinem Arm und sagte: „Kommt, wir gehen alle in der Café da drüben und trinken erstmal Kaffee!“ Mein Großvater war sich ganz sicher, dass wir von dieser Armbewegung mit eingeschlossenen waren und so gingen wir mit uns ließen uns vom Künstler einen Kaffee bezahlen. Zugegeben: Ein richtiges Kaffeetrinken mit Künstler stellt man sich anders vor, aber letztendlich trank ich einen Kaffee, den Beuys (oder jemand aus seiner Entourage) bezahlt hatte – wobei ich mit 14 Kaffee nicht mal mochte.
Spuren der Vergangenheit: Es ist schon interessant, was man 14-jährig auf einer documenta so fotografiert. Wir stehen vermutlich auf den Basaltsteinen, aber sind scheinbar nicht auf die Idee gekommen, die Steine selber zu fotografieren. Daneben die Eintrittskarte zur d7.
Im selben Jahr brachte der Mann mit Hut eine Platte heraus ⏩ („Sonne statt Reagen„), die fälschlicher Weise unter „Neue Deutsche Welle“ einsortiert wurde. Ich kaufte sie trotzdem brav als Maxi-Single – wir waren jung, friedensbewegt und gegen Atomkraft. Passte alles. Außerdem wusste man wieder nicht, ob der Künstler das alles so richtig ernst meinte und das gefiel mir. Insgesamt gefielen mir diese Provokationen und die Neudefinition des Kunstbegriffs – auch, wenn ich vermutlich nicht alles richtig verstanden habe. Moderne Kunst hatte was von Rock’n’Roll: Die ältere Generation fand keinen Zugang und alles war nur Müll und Schmiererei. Das fand ich gut – bei Elvis war das genauso.
In einem gut ordneten Haushalt geht nichts verloren: Diese Schallplatte befindet sich in meiner Vinyl-Sammlung im Keller.
In Berlin (während meines Studiums) in den 1990er Jahren war Beuys irgendwie nicht so präsent: Die Nationalgalerie zeigte Anselm Kiefer, in einem abrissreichen Mauerhaus trug eine Frau schreiend Gedichte für ihre Gebärmutter vor, während in SO36 irgendwie Aktionskünstler Wassermelonen penetrierten. Beuys verschwand aus meiner Wahrnehmungshorizont. Das war nicht weiter schlimm und hätte meinetwegen auch so bleiben können.
Mit dem Umzug nach Düsseldorf änderte sich ein bisschen: Am Niederrhein und besonders in Düsseldorf ist Beuys noch anders präsent: Man hat ja auch nicht so viel anderes. Hier gab es die Kunstakademie, an der Beuys erst gelehrt hatte und dann nicht mehr, das ⏩ Ofenrohr an der Fassade des Kunsthalle am Grabbeplatz in der Altstadt und in ⏩ Schloss Moyland wurde mit den Beständen der ehemaligen Privatsammlung der Brüder van der Grinten ein Forschungszentrum errichtet. Wer noch mehr sehen will, dem hat das Tourismus-Büro Düsseldorf die Click-Bait-Tour ⏩ „10 Beuys-Orte in und um Düsseldorf, die man kennen muss“ zusammengestellt.
Meine kleine Serie neuerlicher Begegnungen mit Beuys setzt kurz vor dessen 100. Geburtstag ein. Ich betreue die Social Media Kanäle des Bau- und Liegenschaftsbetriebs Nordrhein-Westfalens. Weil wir für viele Nutzerinnen und Nutzer nicht immer gleich die erste Wahl und Anlaufadresse sind, suche ich Anküpfungspunkte zu Themen die „trenden“ könnten. Ich dachte mir: „Wir haben doch bestimmt irgendetwas in unserem Grundstücks- und Gebäudeportfolio, was mit Beuys zu tun hat.“ – Hat der BLB NRW auch: Zum Beispiel das Gebäude der Kunstakademie in Düsseldorf als öffentliche Hochschule.
Dann stieß ich bei Online-Recherchen auf eine der 7000 Eichen aus Kassel – die einzige, die ihren Weg in den damaligen Wohnwort des Künstlers geschafft hat. Nicht nur das: ⏩ Beuys hat den Basaltstein selber mitgebracht und war bei der Pflanzung am 23. November 1983 anwesend. Baum und Stein waren gedacht als Geschenk zum 50. Geburtstag des damaligen Wirtschaftsministers Reimut Jochimsen vom Vorstandsvorsitzenden der WestLB, Friedel Neuber.
Bei der Idee, war die Eiche Beiwerk zum Basaltstein – jetzt wirkt es umgekehrt. Im Hintergrund: Die Staatskanzlei an der Rheinuferpromenade.
Hier schon mal ein kleiner Spoiler: Die kleine Rasenfläche am Rande des Horion-Platzes an der Haroldstraße 4 ist im städtischen Eigentum, aber es liegt direkt vor dem Gebäude des Wirtschaftsministeriums, was wiederum zum Portfolio des BLB NRW gehört – sagen wir mal so: Das Kunstwerk steht vor einem der Gebäude, die wir verwalten.
An 09. Mai 2021 machte ich mittags bei herrlichsten Sonnenschein auf dem Weg zu Baum und Stein. Als erstes begegnet ich dort einem Obdachlosen, der an den Baum gelehnt schlief (was die Perspektivenwahl beim Fotografieren etwas einschränkte). Dann traf ich noch zwei Personen, die ebenfalls zum Bildermachen vor Ort waren und weil ich die selbe Motivation vermutete habe ich sie angesprochen.
Einer von ihnen von war Tomasz Piwarski, bildender Künstler und Meisterschüler der Düsseldorfer Kunstakademie. Er hat gemeinsam mit Jenny Trautwein Sprößlinge der 7000 Beuys Eichen aus deren Früchten gezogen, für die die beiden nun im Jubiläumsjahr als „Beuys Babys“ Paten für erneute Auspflanzung suchen. Auf der ⏩ Projekt-Website schreiben die beiden dazu: „Wir haben die Eichensamen der „Beuys Eichen“ 2020 liebevoll gesammelt, in unsere Obhut genommen und auf unserem Düsseldorfer Stadtbalkon in selbstgenähten „Häusern“ gehegt und gepflegt. Sie wachsen gemeinsam auf, sind Geschwister und tragen die Vision der „7000 Eichen“ von Joseph Beuys in sich und in die Welt. Wir wollen die Eichen virtuell in einer Foto Galerie wieder vereinen und dadurch eine Gemeinschaft der Baumpaten erschaffen. Wir freuen uns auf Ihre Mitgestaltung.“
Am 05. Juni 2021 wurden die „Beuys-Babys“ in der Galerie „D-Mitte“ in der Ausstellung „Eichenaura Teil 1“ vorgestellt.
Ich fand die Idee direkt super sympathisch. Tomasz erzählte mir dabei auch von seiner persönlichen Begegnung mit Joseph Beuys. Er habe an die Düsseldorfer Kunstakademie gewollt, war aber unsicher mit welchen Arbeiten er sich dort bewerben sollte. Er hat es irgendwie geschafft, zum Künstler, der nach seiner Entlassung durch Minister Rau nicht mehr an der Akademie lehren, aber nach arbeitsrechtlichen Prozessen in seinem Atelier „Raum 3“ als Geschäftsstelle der „Free International University“ (FIU) weitermachen durfte, vorzudringen, der daraufhin die Mappe kritisch durchging. Piwarski hat sich an die Tipps und Ratschläge gehalten, hat in der Nacht durchgearbeitet und wurde mit der Mappe, die er am nächsten Tag abgab, angenommen.
Eine deutlich andere Begegnung als eine unbeabsichtigte Kaffee-Runde in Kassel.
Von weiteren Begegungen mit Beuys in 2021 erzähle ich im ⏩zweiten Teil.
⏩Alltagspsychologie kann schnell zum dünnen Eis werden: Wer versucht, ein paar Gedanken in diesem Feld zu ordnen, muss aufpassen, dass er nicht durchbricht und in den Untiefen der „Küchenpsychologie“ versinkt. Daher sind die nachfolgenden Überlegungen, nur eine erste Skizze, deren Strichstärke erst durch weitere Überprüfungen, Identifikation von Indikatoren oder Studien dick genug werden könnte, um irgendwann ein Bild zu formen.
Lebensphasen-Modelle gibt es einige. ⏩Günter Karner hat verschiedenen Ansätze nach steigender Anzahl von Lebensphasen von zwei bis zehn aufgelistet. Den meisten dürfte – so auch ⏩Georg Rudinger in der „Bonner Enzyklopädie der Globalität“ – eine chronologische, nicht umkehrbare Abfolge zugrunde liegen: „Die Abfolge dieser Schritte soll unumkehrbar sein, was bedeutet, dass keine Stufe übersprungen werden kann. Jede frühere Stufe stellt die Voraussetzung für die nachfolgende dar und soll an ein bestimmtes Lebensalter gebunden sein.“ Häufig gehen diese sequentiellen Abschnitte mit einer Krise und deren Bewältigung einher – so wie im achtphasigen ⏩„Stufenmodell der psychosozialen Entwicklung“ nach Erik H. Erikson: „Jede der acht Stufen stellt eine Krise dar, mit der das Individuum sich aktiv auseinandersetzt. Die Stufenfolge ist für Erikson unumkehrbar. […] Die vorangegangenen Phasen bilden somit das Fundament für die kommenden Phasen, und angesammelte Erfahrungen werden verwendet, um die Krisen der höheren Lebensalter zu verarbeiten. […] Für die Entwicklung ist es notwendig, dass [der Konflikt] auf einer bestimmten Stufe ausreichend bearbeitet wird, damit man die nächste Stufe erfolgreich bewältigen kann.“
Neben der zeitlichen Abfolge gehen die meisten Modelle auch von einem bogenförmigen Verlauf von Wachstum und Regression (häufig mit der „midlife crisis“ als Wendepunkte in der Mitte) aus, weil „es überall im Lebendigen einen Aufstieg, eine Blüte und einen Abstieg gibt“. ⏩(vgl. Karner) In den meisten Modellen sind Expansion und Kompression bereits angelegt – häufig aber auf den Gesamtverlauf des Zyklus bezogen und / oder an konkrete einzelne Phasen geknüpft. Wichtig bei den Betrachtungen erscheint auch, die Entwicklung der Lebensphasen nicht nur an das einzelne Individuum, sondern an den sozialen Kontext zu koppeln, denn es handelt sich um kein Programm, das automatisch – unabhängig von Zeit und Raum – in der isolierten Einzelperson abläuft: „Im Gegenteil, jeder muss mit sich selbst und den anderen seinen eigenen Lebensstil ‚aushandeln‘, den eigenen Lebensplan definieren und ständig neu verändern, ebenso auch das Bild von der eigenen Person flexibel weiterentwickeln.“ (⏩Hurrelmann, 2003, S. 117)
Ein paar Grundgedanken scheinen zentral:
– zeitliche Abfolge von Phasen
– Wachstums- und Regressionsdynamiken
– Wendepunkte beim Phasenwechsel
– Abhängigkeit des ‚Programmablaufs‘ von äußeren Faktoren
Mir schwebt eine reduzierte Perspektive auf Lebensphasen vor, die zunächst nur auf die Ausrichtung und Wirkweise ihrer Energie achtet: Sind sie auf Wachstum und Ausdehnung – also Expansion – oder auf Verdichtung und Fokussierung – also Kompression – ausgerichtet?
Diese Dualität ist verlockend: Schnell mag man ähnliche, antagonistische Modi assoziieren wie „extrovertiert vs. introvertiert“, „anschaffen vs. verschenken“ oder „quantitativ vs. qualitativ“. Aber es wäre zu einfach, die unterschiedlichen Wirkrichtung der Energie auf diese Paare zu reduzieren – auch wenn sicher einige der damit verbundenen Aspekte auch bei „Expansion vs. Kompression“ anteilig eine Rolle spielen mögen. Wichtig ist: Es geht nicht um einen bewertenden Qualitätsunterschied der beiden Phasen-Modi. Sie bilden keine Gegenpole, die mit einem Plus und einem Minus versehen werden könnten. Beide Phasen haben ihre Vor- und ihre Nachteile – weder ist die eine positiv noch die andere negativ.
Ganz im Gegenteil: Beide Phasen können als energetisch sehr positiv und wertvoll empfunden werden. Geht es einmal – in der Expansion – darum, seinen Radius zu erweitern und über sich hinauszuwachsen, die Welt zu entdecken und zu erobern, Schätze zu finden und sie zu sammeln, so geht es auf der anderen Seite – in der Phase der Kompression – um Vertiefung, Verfestigung und Fixierung.
Natürlich spielen auch bei diesem Ansatz externe Impulse, die zumeist mit dem Lebensalter korreliert sind, eine Rolle: der Eintritt in die Schule, der Beginn des Arbeitslebens, die Phasen der Partnerschnaften sowie der Wechsel in die Rente. Ein beispielhafter Verlauf könnte wie folgt aussehen:
Beispielhafter Verlauf von Phasen der Expansion und Kompression über den Lebensverlauf
Mit den ersten Loslösungsversuchen von der Mutter entdeckt das Kind seine ersten Handlungsspielräume, mit der Schule folgt ein Regelsystem, das anfänglich eher verinnerlicht wird, aber mit der Pubertät auch zum Gegenentwurf im Rahmen der Individuation dienen kann. Ausbildung und Studium bedeuten für viele einen temporären Rückzug aus der äußeren Welt, aber mit dem Berufseinstieg und wachsenden Einkommen, dehnt sich der Aktivitätsradius schnell wieder dynamisch aus: Das Leben gewinnt an Fahrt, es wird gereist, geliebt, geheiratet, Familien gegründet. Viele werden durch Trennung und Scheidung schlagartig und radikal auf sich selbst zurückgeworfen. Wenn man sich wieder aufrappelt, möchte man der Welt zeigen, dass man noch da, aber häufig folgt nach diesem kurzen Selbstbeweis eine Phase der Reflexion und Fokussierung. Mit dem Eintritt ins Rentenalter entdecken viele Menschen noch mal neue Möglichkeiten, bevor die Kraft altersbedingt nachlässt und die Welt um einen herum immer kleiner wird.
In soweit ähneln sich viele Modelle tatsächlich. Aber wenn man Expansion und Kompression als intrinsisch motivierte Modi sieht, können die Phasen der Ausdehnung und der Fokussierung unabhängig von personenbezogenen Merkmalen (wie beispielsweise das Alter) und sozialen oder externen Impulsen (wie beispielsweise Schule und Scheidung) eintreten. Man kann sich damit von holzschnitzartigen Programmabläufen von Lebensphasen verabschieden. Es spielt für diese Betrachtung auch keine Rolle, auf welcher Stufe sich die Person befindet und ob es überhaupt definierten Stufen und eine festgelegte Abfolge gibt. Es geht nur darum wahrzunehmen, ob Menschen sich gerade eher in einer Phase des Wachstum und der Ausdehnung (Expansion) oder Vertiefung und Verinnerlichung (Kompression) befinden – diese verlaufen nicht immer gleich und selten parallel. Aber diese Unterscheidung der jeweiligen Blickrichtungen – nach außen oder nach innen – kann helfen zu erkennen, wo andere Menschen gerade stehen oder ihre vielleicht temporär diametral unterschiedliche Entwicklungsdynamik aufdecken.
Die Lebensphasen zweier Menschen können sich temporär diametral zwischen Expansion und Kompression gegenüberstehen.
Diese Perspektive kann helfen, negative Paardynamiken (ein Partner geht in den Ruhestand, während der andere einen weiteren Karriereschritt macht) oder auch Familienkonstellation (rebellierende Teenager vs. harmoniebedürftiger Eltern) zu verstehen. Die unterschiedlichen Orientierung zwischen Wachstum und Verdichtung erklären auch unterschiedliche Bedürfnisse von Personen in diesen Phasen. Es kann hilfreich sein, diese aufzudecken, zu diskutieren und untereinander auszuhandeln. Nicht die Unterschiede per se machen uns das Leben schwer, sondern diese nicht zu erkennen, um mit ihnen umgehen zu können.
Mit dem Lebensphasen-Modi der Expansion und Kompression liegt ein pragmatischer Ansatz vor, der Zugang zur Bewertung von dynamischen Spannungen liefern kann, ohne komplexe Ableitung- und Herleitungsmodelle bemühen zu müssen. Eine Art „Lackmus“-Test, der schon mal eine Menge an Antworten liefern kann, ohne eine komplette Analyse fahren zu müssen.
Ich lese wieder sehr viel in letzter Zeit – vieles ist unterhaltsam, anderes sehr lehrreich, aber so richtig beeindruckt hat mich ein Buch schon länger nicht mehr, so dass ich hätte darüber schreiben wollen. Aber diese Geschichte zeigte Wirkung: Es ist das von seiner Tochter aufgezeichnete Leben eines Mannes, der stets seinem moralischen Kompass folgte und damit dem Großteil seines Lebens in der Illegalität verbrachte. Es geht um „Adolfo Kaminsky – Ein Fälscherleben“.
Wie ich auf das Buch kam – weiß ich gar nicht mehr. Jedenfalls war ich neugierig und habe es mir (wie so viele Dinge) gebraucht bestellt – wobei das Porto dabei ja in der Regel der teuerste Bestandteil ist. Vermutlich interessierte mich ein außergewöhnliche Leben, das meistens unter außergewöhnlichen Rahmenbedingungen entsteht. Der Mitte der 1920er Jahre in Buenos Aires geborene Kaminsky stammt aus einer russisch-jüdischer Familie, die 1910 nach Frankreich auswanderte, aber 1917 nach Argentinien weiterzog. 1932 gingen sie nach Frankreich zurück in ein Europa, das schon bald von Nazi-Deutschland verheerend verwüstet werden sollte.
Mit der Eroberung Frankreichs beginnen auch dort die Juden-Verfolgungen und -Deportationen. In diese dunkele Zeit fällt auch die für mich eindringlichste Szene der Lebenserzählung: In der Lagerhaft in Drancy wird seine Familie vor die Wahl gestellt, Adolfos Schulfreundin Dora in den Tod zu folgen. Ihre Mutter war bereits tot, ihr Vater starb in der gemeinsamen Haft und Adolfos Familie hatte Dora zugesichert, sie wie ihr eigenes Kind anzunehmen und betreuen: „Aber leider zählte diese Adoption nur für uns. Kaum angekommen, wurde sie ins untere Stockwerk zu denen gesteckt, die abtransportiert werden konnten. Mein Vater tat alles, um sie als seine Tochter anerkennen zu lassen, er erreichte sogar eine Unterredung mit dem Lagerführer Alois Brunner. […] Bei seiner Antwort gab mein Vater auf: ‚Wenn Sie sich nicht von ihr trennen können, wie Sie sagen, kann ich der ganzen Familie einen Platz im nächsten Zug verschaffen.’“ (S. 51) Dora wird ein paar Tage später in ein Todeslager deportiert. „Als sie an der Reihe war konnten wir nichts tun, und die Zeit hat das ungeheure Schuldgefühl nicht auslöschen können, das mich bis heute quält.“ (ebd.)
Am Ende des Buches ist nicht ganz klar, wie vielen Tausenden Menschen Kaminsky mit seinen gefälschten Papieren das Leben gerettet hat – aber dies scheint nicht den als solchen empfundenen Verrat an seiner Schulfreundin aufzuwiegen. Die Perversität, mit der diese Entscheidung erzwungen wurde, verursacht schon beim Lesen Schmerzen. Manch Entscheidung mag uns schwierig entscheiden, aber alles tritt dahinter zurück, jemanden opfern zu müssen, um sich und dem Rest der Familie das Überleben zu sichern.
Kaminskys Familie wird nicht direkt deportiert, weil sie argentinische Dokumente haben. Der Wendepunkt ist deutlich. Der neugierige Junge ohne richtige Ausbildung geht in den Untergrund und wird einer der größten Fälscher der Neuzeit: Erst in der Resistance (die keine geschlossene Widerstandsbewegung war, sondern ein zerstückelter Haufen vieler Organisationen mit vielen Abkürzungen, die sich oft überhaupt nicht einig waren), dann für die Einwanderung heimatloser Juden nach Palästina und alle Zeit für die Unabhängigkeitskämpfer in Algerien. Dazwischen immer wieder für unterdrückte Gruppen, die staatlichen Repressalien in Europa oder dem Rest der Welt ausgesetzt waren.
Meistens hat er unentgeltlich gearbeitet und von keinem der Netzwerke vereinnahmt werden zu können und erpressbar zu sein. Sein offizielles Leben als Fotograf, Ehemann und Vater kam dabei zu kurz. Adolfo Kaminsky muss geradezu zwanghaft helfen. Er glaubte stets moralisch das Richtige zu tun und stand dennoch immer außerhalb des Gesetzes. Ein Buch das bedrückt, aber auch irgendwie Hoffnung macht.
[Werbung ohne Auftrag – ich hätte es ansonsten auch „Buchbesprechung“ nennen können]
Ende 2019 erschien das Buch ⏩ „Ein Jahr voller Wunder“ von Clemency Burton-Hill, das bereits zwei Jahre zuvor auf Englisch erschienen war. Die Musikredakteurin einer BBC-Sendereihe und eines New Yorkers Klassik-Radiosenders empfiehlt darin für jeden Tag ein ausgewähltes Stück klassischer Musik – meistens mit Bezug zum aktuellen Datum. Dazu gibt es jeweils ein paar Fakten, Hintergründe oder Anekdoten auf einer Seite. Für Menschen, die sich grundsätzlich für Klassik interessieren und auch Spaß daran haben, neue Stück zu entdecken eine große Freude, die darauf angelegt ist, Teil der täglichen Routine zu werden: Zum Feierabend abschalten, entspannen und sich musikalisch entführen lassen.
Da die Musik nicht aus den gedruckten Seiten ertönen kann, hat der Diogenes Verlag eine ⏩ Webseite angelegt, die in Monatsabschnitten in der geordneter Reihenfolge die Stücke auflistet. So weit – so gut. Eigentlich ein feine Sache das, wenn man ein iTune-Konto bei Apple sein eigen nett – ansonsten ist bei jedem Stück nach 30-sekündiger Hörprobe Schluss.
Das Buchkonzept wäre nur dann rund, wenn man mit der Druckausgabe auch ein iPhone bekäme. In der Android-Welt bzw. ohne iTune-Konto sieht das Jahr voller Wunder nicht ganz so wundervoll aus.
Ein gewisser ‚john penberthy‘ hat sich die Mühe gemacht, eine vollständige Playlist auf ⏩ Youtube in der korrekten Reihenfolge zusammenzustellen. An sich eine tolle Arbeit, sofern man sich merken kann, dass der 25. März die Nummer 85 und der 19. Oktober die Nummer 291 hat.
Es gibt auch Nutzer, die angefangen haben, bei Youtube Playlists nach Monaten anzulegen, wie ⏩ Georg Johann Ruf zum Beispiel. Sicher die sinnvollere Lösung.
Aber wäre es nicht am einfachsten, die Links auf einer einfachen Webseite nach Datum aufzulisten? Könnte man ja eigentlich schnell mal machen – also was nichts anderes heißt als „kann ich ja dann wohl schnell mal selber machen“… – aber da ich mir den täglichen Spaß nicht nehme lassen will, ergänze ich die ⏩ Seite immer nur dann, wenn ich Stücke auch gehört habe. Wer mithören will, kann gerne reinklicken – wer die Einleitungstexte dazu mitlesen will, der möge sich das Buch kaufen.
Stell Dir vor, Du sitzt auf dem Klo und es ist kein Papier da! Schlimmer geht’s scheinbar nimmer: Das wird in Witzen und Geschichten zur Genüge auswalzt. Und angesichts der derzeitigen Corona-Pandemie scheint die größte Sorge der Bevölkerung nicht die Ansteckung, die Todes-Rate oder der drohende wirtschaftliche Kollaps zu sein, sondern die Frage, wie man sich bis in die Ewigkeit mit ausreichenden Vorräten an Toilettenpapier eindecken kann.
Eine Frage, die in vielen Regionen der Welt völlig egal wäre, weil man dort traditionell überhaupt kein Toilettenpapier verwendet. Dazu gehört der arabische Raum, der Nahe Osten sowie viele Länder und Regionen in Asien. Es gibt einen Schlauch, mit dem der Po gewaschen werden. Dazu wird die linke Hand verwendet, die entsprechend als „unrein“ gewertet wird, besonders wenn es ums Essen und Anfassen geht.
Die Notdurft gibt es schon ewig, Klopapier aber erst seit gut 600 Jahren. Erfunden haben es ⏩ laut Wikipedia wieder einmal die Chinesen: „Für den chinesischen Kaiser wurde im Jahr 1391 Toilettenpapier hergestellt. Schon bald schraubte das kaiserliche Versorgungsamt die Jahresproduktion auf 720.000 Blatt, wobei es sich um Lappen von einem halben Quadratmeter handelte.“ In den öffentlichen Toiletten in China gibt es aber erst seit 2007 Toiletten-Papier – wobei dies ⏩ jedoch meisten geklaut sei.
Und was hat die Menschheit vorher gemacht? Auch das weiß ⏩ Wikipedia: „Die Römer banden einen Badeschwamm an einen Stock und tränkten diesen in einem Eimer mit Salzwasser. Germanen bevorzugten Stroh und Laub. Im Mittelalter wurde unter anderem Moos benutzt, die Reichen gönnten sich eingeweichte Lappen und Schafwolle.“
Und wer gerade kein Schaf zum Scheren oder Moos zur Hand hat? Dem bleibt scheinbar nichts anderes übrig, als sich mit anderen Kunden im Drogeriemarkt um die letzten Rollen zu balgen. Früher nahm man die Zeitung nicht zur Lesen mit auf dass stille Örtchen und gelobt sei der, der noch eine Tageszeitung abonniert hat.
Dass Küchenrollen, Taschentücher und Feuchttücher als Ersatz dienen, haben inzwischen auch die meisten Konsumenten verstanden und entsprechend leer sind die Regale bei diesen Waren inzwischen ebenfalls. Mitte März 2020 gab es aber noch ausreichend Papierservietten in den Supermärkten – und da man Ostern eh keine Gäste haben wird, kann man die Häschen-Servietten auch anders einsetzen.
Und wer mal kleine Kinder gewickelt hat, der weiß auch, dass ein nasser Waschlappen dabei ein praktisches Werkzeug sein kein. Was bei Klein funktioniert, klappt auch bei Groß – toll ist das vielleicht nicht, aber es geht. Panik ist völlig unangebracht!
Meine Freundin erinnert mich gerne daran, dass Erinnerungen sich verselbständigen können. Sie werden mit Erzählungen, Berichten und der eigenen Phantasie gerne ergänzt und überschrieben. Nichts sei trüglicher als die eigene Erinnerung – und das nehme mit dem Alter zu. Da ich nun jenseits der 50 bin, ist das Verfallsdatum vieler Erinnerungen bereits abgelaufen.
Das habe ich auch auf einer Kurzreise mit Zwischenstopp in Bremen wieder einmal erleben müssen. Meine Eltern haben mich in meiner Kindheit bevorzugt durch Deutschland kutschiert – und ich erinnere mich gerne an diese Entdeckungsreisen durch mein Heimatland. So waren wir auch in Bremen und ich war vielleicht acht, neun oder zehn Jahre alt.
Nachhaltig beeindruckt hatte mich der Bleikeller unter dem Bremer Dom. Als es nun mit gut 40 Jahren Zeitabstand wieder in die Hansestadt ging, konnte ich meiner Freundin lebhaft alles aus der schaurigen Gruft unter dem Dom schildern: Die unbekannte Gräfin, der vom Dach gestürzte Dachdecker und natürlich die Katze und das Äffchen, dass man in der bleihaltigen Luft aufgehängt habe, um den mumifizierenden Effekt des Kellerraumes zu testen beziehungsweise unter Beweis zu stellen.
Es fing schon damit an, dass der „Bleikeller“ gar nicht unter dem Dom ist, sondern sich in einem Nebengebäude und dort nicht einmal so richtig im Keller befindet. Der „Dachdecker“ hatte eine Kugel im Rücken, was dafür spricht, dass er vermutlich auf der Flucht erschossen wurde, anstatt vom Dach gefallen zu sein. Gegen die unbekannte „Gräfin“ sprach, dass niemand zu der Zeit im Adel vermisst wurde. Der mumifizierende Effekt hat nichts mit Blei zu tun (der Keller hieß nur so, weil dort das Blei für die Dachschindeln gelagert wurde), sondern mit einer Sanddüne unter dem Dom, die alles vertrocknen lässt, was über ihr lagert. Wenigstens befand sich der Keller früher tatsächlich unter dem Dom – in soweit hatte meine Erinnerung mich nicht getäuscht.
Was war aber nun mit der Katze und dem Äffchen, die mich als Kind nachhaltig beeindruckt hatten, wie sie dort verschrumpelt kopfüber von der Decke hingen? Wir fragten die Dame an der Einlasskontrolle: Sie werde immer wieder – besonders von den älteren Besuchern – nach der Katze und dem Äffchen gefragt, aber sie habe noch nie etwas davon gehört. Außerdem müsse sie den ganzen Tag über im Keller hocken, während draußen die Sonne scheine.
Das war’s: Alles, was wir glauben zu wissen, ist Lug und Trug der eigenen Imagination. Ich fand’s eher deprimierend.
Am nächsten Tag waren wir im Übersee-Museum – das ich natürlich auch ganz anders in Erinnerung hatte: Exotische Installationen waren einem unstrukturierten durcheinander gewichen und ich fragte mich, wo der ganze Plunder aus fernen Ländern geblieben war, den Generationen von Seefahrern mit zurück in die Hafenstadt brachten.
Dafür gibt es das Schaumagazin: Ein fünfstöckiger, moderner, klimatisierter Anbau in dem alles archiviert wird, was nicht auf der Ausstellungsfläche gezeigt werden kann – bis zur Decke voll gestopft und vollgestapelt: ohne Ende Exponate.
Eigentlich eher ermüdend als erhellend und so arbeiteten wir Etage für Etage mit zunehmend mangelhafter Konzentration ab. Ganz oben waren die Tiere: Ausgestopfte Vögel in allen Farben, Schubladen voller aufgespießter Insekten, Großkatzen, Fledermäuse, eingelegte Schlangen.
Ganz oben, ganz hinten links stand noch ein Schrank mit Schubladen. Meine Freundin – die eigentlich mit dem Schaumagazin durch war – zog eine Schublade auf und rief mich gleich zu sich. Da waren sie: Katze und Äffchen aus dem Bleikeller unter dem Dom! Also hatte mich meine Erinnerung in diesem Punkt nicht getäuscht.
Und was bleibt von der Reise nach Bremen? Erinnerungen können einen täuschen, starke Erinnerungen haben einen wahren Kern.
„Quatermain“ konnte gegen „Indiana Jones“ nie so richtig anstinken. Denkt man aber an „Quatermain“, dann denkt man zuerst an Richard Chamberlain und Sharon Stone – weniger an Patrick Swayze (bekannt aus „Schmutzigem Tanzen“) und Alison Doody (bekannt als „Nazi-Schlampe“ aus Indianer Jones III). Das zweiteilige Remake von 2004 tauchte bei Amazon Prime Video auf und ist eher ein wässeriges Süppchen als eine fetter Braten.
Diese „Miniserie“ ist schon recht schlecht. Aber war eigentlich nur der Link über die Filmographie der weiblichen Hauptdarstellerin zu einen noch fragwürdigerem Produkt filmischen Schaffens, von dem ich bis heute keine Kenntnis hatte: „Der Ring der Musketiere“ – eine deutsch-amerikansiche Co-Produktion im Auftrag von RTL aus den frühen 1990ern. In den drei weiteren Hauptrollen mit David Hasselhoff (bekannt als der, der die Mauer niedergesungen hat), Thomas Gottschalk (bekannt aus „Zwei Nasen tanken Super“ und „Wetten dass…?“) und Cheech Marin (bekannt aus „Cheech und Chong“).
Alles andere total unbekannt: Es wurden überhaupt nur vier Episoden produziert, die im Dezember 1992 einmalig versendet wurden. Keine Wiederholungen, keine Verwertung auf anderen Sendern und in den USA wollte es niemand ausstrahlen. Es gab weder DVD noch Streaming Veröffentlichungen. Wo doch sonst alles zumindest auf RTL Plus irgendwann wiederholt – aber dies ist eher eine Art Phantom-Serie!
Und ist es so schlimm wie man vermuten könnte? Oh, ja! Es gibt wunderschöne Fön-Frisuren, einen unzusammenhängenden roten Faden, einen Sack voller Alt-Herren-Witze und David Hasselhoff singt. So haben die Kollegen vom „Quotenmeter“ die Mini-Serie auch auf dem „Fernsehfriedhof“ beerdigt.
Die ersten beiden Episoden sind Dank Abfilmens vom Fernseher auf Youtube für die Ewigkeit konserviert wurden:
Die ersten beiden Episoden hatten im Schnitt rund 6000 Zuschauer bei Youtube – Bibi von Bibis Beauty Palace hat locker stets über eine Million pro Clip. Über die anderen beiden Episoden hat der Mantel der Geschichte gelegt und sie dem digitalen Vergessen überantwortet.
Für mich ist „Der Ring der Musketiere“ der perfekte Anwärter für den Titel „Schlechteste Serie aller Zeiten“ – und wer sind eure Favoriten?