Autor: Stefan Balázs

  • Die irrationale Angst vor dem Stuhlgang

    Die irrationale Angst vor dem Stuhlgang

    Stell Dir vor, Du sitzt auf dem Klo und es ist kein Papier da! Schlimmer geht’s scheinbar nimmer: Das wird in Witzen und Geschichten zur Genüge auswalzt. Und angesichts der derzeitigen Corona-Pandemie scheint die größte Sorge der Bevölkerung nicht die Ansteckung, die Todes-Rate oder der drohende wirtschaftliche Kollaps zu sein, sondern die Frage, wie man sich bis in die Ewigkeit mit ausreichenden Vorräten an Toilettenpapier eindecken kann.

    Eine Frage, die in vielen Regionen der Welt völlig egal wäre, weil man dort traditionell überhaupt kein Toilettenpapier verwendet. Dazu gehört der arabische Raum, der Nahe Osten sowie viele Länder und Regionen in Asien. Es gibt einen Schlauch, mit dem der Po gewaschen werden. Dazu wird die linke Hand verwendet, die entsprechend als „unrein“ gewertet wird, besonders wenn es ums Essen und Anfassen geht.

    Die Notdurft gibt es schon ewig, Klopapier aber erst seit gut 600 Jahren. Erfunden haben es ⏩ laut Wikipedia wieder einmal die Chinesen: „Für den chinesischen Kaiser wurde im Jahr 1391 Toilettenpapier hergestellt. Schon bald schraubte das kaiserliche Versorgungsamt die Jahresproduktion auf 720.000 Blatt, wobei es sich um Lappen von einem halben Quadratmeter handelte.“ In den öffentlichen Toiletten in China gibt es aber erst seit 2007 Toiletten-Papier – wobei dies ⏩ jedoch meisten geklaut sei.

    Und was hat die Menschheit vorher gemacht? Auch das weiß ⏩ Wikipedia: „Die Römer banden einen Badeschwamm an einen Stock und tränkten diesen in einem Eimer mit Salzwasser. Germanen bevorzugten Stroh und Laub. Im Mittelalter wurde unter anderem Moos benutzt, die Reichen gönnten sich eingeweichte Lappen und Schafwolle.“

    Und wer gerade kein Schaf zum Scheren oder Moos zur Hand hat? Dem bleibt scheinbar nichts anderes übrig, als sich mit anderen Kunden im Drogeriemarkt um die letzten Rollen zu balgen. Früher nahm man die Zeitung nicht zur Lesen mit auf dass stille Örtchen und gelobt sei der, der noch eine Tageszeitung abonniert hat.

    Dass Küchenrollen, Taschentücher und Feuchttücher als Ersatz dienen, haben inzwischen auch die meisten Konsumenten verstanden und entsprechend leer sind die Regale bei diesen Waren inzwischen ebenfalls. Mitte März 2020 gab es aber noch ausreichend Papierservietten in den Supermärkten – und da man Ostern eh keine Gäste haben wird, kann man die Häschen-Servietten auch anders einsetzen.

    Und wer mal kleine Kinder gewickelt hat, der weiß auch, dass ein nasser Waschlappen dabei ein praktisches Werkzeug sein kein. Was bei Klein funktioniert, klappt auch bei Groß – toll ist das vielleicht nicht, aber es geht. Panik ist völlig unangebracht!

    Es mag stimmen, dass wir statistisch ⏩ drei Jahre unseres Lebens auf dem Klo verbringen, aber glaubt mir: Nicht an einem Stück von heute an…

    Lasst Vernunft walten: Und falls die Welt wirklich untergehen sollte, dann nicht wegen mangelndem Toilettenpapier.

  • 2. Wie viel Wohnraum brauche ich?

    2. Wie viel Wohnraum brauche ich?

    Wohnungswechsel ist immer lästig. Wir bleiben in der Regel dort wohnen, wo wir gerade sind, weil es bequemer ist als umzuziehen.

    Es gibt immer wieder im Leben Einschnitte und Veränderungen, die es erlauben oder nötig machen, über die Wohnsituation nachzudenken. Bei mir war es eine Trennung mit anschließender Scheidung. Nachdem ich mich einigermaßen wieder zusammengerauft hatte, dachte ich darüber nach, wieviel Wohnraum ich künftig bräuchte.

    Nach drei Jahren sah meine Situation wie folgt aus: Meine zwei Söhne leben an drei von sieben Wochentagen bei mir und ich lebte in einer neuen Beziehung, die zunächst eine Fernbeziehung war, bei der wir abwechselnd einander an den Wochenenden besuchten.

    Das bedeutete 20 Prozent der Zeit war die Wohnung ganz leer und an weiteren 20 Prozent der Zeit wohnten wir zu viert darin. Die verbleibenden 60 Prozent teilten sich zu gleichen Teilen auf Tage, die ich allein in der Wohnung verbrachte oder zu dritt mit den Kindern.

    Wie viele Räume, wieviel Quadratmeter sind für eine solche ‚Mischbelegung‘ notwendig, möglich und bezahlbar? In Ballungsgebieten ist Wohnraum knapp und teuer. In der Wohnsituation bis dahin gab es ein Schlafzimmer, ein großes Kinderzimmer, ein kleines Bad und eine ausreichend große Wohnküche als Lebensmittelspunkt.

    Wenn künftig jedes Kind ein eigenes Zimmer haben könnte, wäre es gut. Zusätzlich klassisch verteilte Wohn-, Ess- und Schlafzimmer aber wohl finanziell nicht denkbar – und außerdem hatte sich das Modell Wohnküche bewährt. Was würde ich brauchen? Wie lebt der Durchschnittsmieter? Was sagt das Statistische Bundesamt dazu?

    Ab drei Personen im Haushalt habe jede Person durchschnittlich 25 qm Wohnfläche ⏩ heißt es in den Zahlen von 2014. Je kleiner die Haushaltsgröße desto größer die durchschnittliche Wohnfläche pro Person: Singles mit Eigentumswohnungen verfügen über durchschnittlich 100 Quadratmeter für sich alleine.

    Wenn ich mich am Maximal-Bedarf orientieren würde, hätte ich mindestens eine 100-Quadratmeter-Wohnung in Düsseldorf suchen und finden müssen. Aber wir waren ja nur gut ein Fünftel der Zeit zu viert in der Wohnung. Bei weiteren 20 Prozent Leerstand, 30 Prozent Single-Haushalt, 30 Prozent alleinerziehend mit zwei Kindern wäre die durchschnittliche Wohnung für unsere damaligen Bedürfnisse 71 Quadratmeter groß. Aber eigentlich bräuchte man Wohnraum, der tageweise anwachsen und schrumpfen könnte.

    In unserem Fall ist es eine Wohnung von knapp 80 Quadratmetern geworden, die wir nun dauerhaft zu zweit bewohnen und damit eigentlich genau den Durchschnittswert an Wohnraum für Zwei-Personen-Haushalte in Mietwohnungen belegen. Nach dieser Rechnung wäre kein Platz für die zwei Kinder, die weiterhin drei von sieben Tagen in der Woche bei uns sind. Aber sie haben ihren Platz: Jedes Kind sein eigenes Zimmer von knapp 10 Quadratmetern. Daneben gibt es ein Schlafzimmer und eine Wohnküche. Am Ende kein ganz durchschnittliches Modell.

    Teil 1 lesen: ⏩ Wohnen wird öffentlich

    Teil 3 lesen: ⏩ Wie viel Platz stände mir zu?

  • 1. Wohnen wird öffentlich

    1. Wohnen wird öffentlich

    „My home is my castle“, sagt der Brite – gemeint sind dicke Mauern, die das Private von dem Öffentlichen als geschützter Rückzugsort abschirmen. Dieser findet auch im bundesdeutschen Grundgesetz als „Unverletzlichkeit der Wohnung“ (Art. 13 GG) seinen besonderen Schutz. Jeder kann nach seiner Facon hausen, wie er selig damit wird.

    „Zuhause“ war immer die private Seite: Man ließ die Sorgen zuhaus, man ließ sich sagen, dies oder jenes könne man gerne zuhause machen, aber nicht hier im Restaurant oder die „Home“-Story offenbarte andere Seiten öffentlicher Personen.

    Aus meiner Sicht kann das alles so bleiben. Wenn ich sage, dass die Frage, wie wir wohnen wollen, öffentlich wird, dann meine ich nicht das Umstülpen des Inneren nach außen und damit die öffentliche Demonstration des Privaten, sondern das Thema „Verantwortung“, das auch die Frage des Wohnens erreicht hat: Wohnen wir so, dass Wohnen auch für die Gemeinschaft und auch für die Gesellschaft in Summe noch möglich wird? Wohnen wir so, dass wir die begrenzten Ressourcen, die wir mit allen teilen müssen, verantwortlich einsetzen? Wohnen wir so, dass wir nachfolgenden Generationen die Chance auf angemessenes Wohnen nicht verbauen?

    Damit sind wir mitten im öffentlichen Diskurs. Und wenn wir nicht nur Diskutieren, sondern auch Handeln wollen, haben unsere Entscheidungen im Sinne einer öffentlichen Verantwortung auch private Folgen: Muss das Grundstück bei knapper werdenden Bauland bis zum Horizont reichen, nur weil ich es mir leisten kann? Sind Einfamilienhäuser noch zeitgemäß, wo viele Familien inzwischen ein bezahlbares Zuhause suchen? Wie wandelbar und altersgerecht ist mein Wohnraum, wenn ich älter werde und mein Horizont näher rückt?

    Die Entwicklungen auf dem Immobilienmarkt beschäftigen mich zusehends. Ich habe das Gefühl, dass wir auf etwas zusteuern, was in niemandes Interesse liegen kann: Die ‚Prenzlbergisierung‘ der Wohnlandschaft, bestehend aus zu großen, überteuerten Stadtwohnungen, in denen Kollektive von Individualisten ihre Freiräume suchen. Alles drängt in die Stadtmitte, wo vor vierzig Jahren nur Arztpraxen und Anwaltskanzleien waren. Sagte man vormals das Sterben der Innenstädte voraus, veröden inzwischen die Vorstadtsiedlungen.

    Wohnen bleibt immer weniger Privatangelegenheit, sondern wird öffentliches Thema. Und da Immobilien bekanntlich unbeweglich sind, müssen wir anfangen, dass Thema und anschließen uns zu bewegen.

    Teil 2 lesen: ⏩ Wie viel Wohnraum brauche ich?

    Teil 3 lesen: ⏩ Wie viel Platz stände mir zu?

  • Schweigespirale 2.0

    Schweigespirale 2.0

    Das Thema der schweigenden Mehrheit taucht immer häufiger auch im Zusammenhang mit Social Media auf. Medien sind grundsätzlich keine basisdemokratische Veranstaltung, in der alles stets ausgewogen sein muss, aber es lässt sich nicht von der Hand weisen, dass einige besonders umtriebige „Stimmungsmacher“ die Bühnen von Twitter, Facebook & Co. okkupieren und dort lauter trommeln als andere.

    Das könnte tatsächlich die von Elisabeth Noelle-Neumann in den 1970er Jahren als eine Theorie der öffentlichen Meinungsbildung formulierte ⏩ „Schweigespirale“ auslösen: Im Kern besagt diese, dass jeder Mensch das herrschende Meinungsklima antizipiert und „widerspricht die eigene Meinung der als vorherrschend betrachteten Meinung, so gibt es Hemmungen, sie zu äußern, und zwar umso stärker, je ausgeprägter der Gegensatz wird. Daher der Begriff der Spirale.“ – so weit Wikipedia.

    Die Studien bezogen sich auf den Bundestagswahlkampf und die vermeintlich einseitige Berichterstattung der Medien, die das tatsächlich in der Gesellschaft vorherrschende Meinungsbild verzerrt hätten: Der Durchschnittsbürger verwechsele die veröffentlichte (Minder-)Meinung mit der herrschenden Mehrheitsmeinung und halte daher lieber die Klappe in politischen Diskussionen.

    Die Theorie hat einige Lücken und eine teilweise wackelige empirische Basis, fasziniert aber nach wie vor – sicher auch wegen ihrer bestechenden Einfachheit komplexe Sachverhalte zu erklären.

    Das Schweigen der Vernunft und die Dominanz extremer Meinungen wird nun auch in sozialen Netzwerken auffällig: „Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand seine Meinung veröffentlicht, obwohl sein Online-Freundeskreis eine andere vertritt, hielten die Forscher für halb so hoch als bei denjenigen, die sich in einem Konsens-Umfeld wähnen,“ schreibt Julia Bähr in der ⏩ FAZ mit einem Verweis auf eine Studie des ⏩ PEW Instituts.

    Diese stellte unter anderem auch fest, dass drei Faktoren Einfluss darauf haben, ob jemand seine Meinung in Social Media teilt: Die Selbsteinschätzung ein Experte für das Thema zu sein, die Intensität der eigenen Meinung sowie der Grad des persönlichen Interesses. Anders formuliert es die ebenfalls die FAZ: „Wer im richtigen Leben schweigt, der schweigt auch online.“

    Je stärker ein Thema polarisiert, desto eher äußert man sich öffentlich nicht dazu. Ich glaube aber, dass die Mechanismen beziehungsweise Ursachen online ein bisschen anders als bei den Annahmen der klassischen Schweigespirale liegen: Man schweigt nicht, weil man vermutet der Mindermeinung anzugehören, sondern man hat einfach keine Lust sich online anpöbeln zu lassen.

    Twitter war früher mal ein freundliche Ort, an dem man sich konstruktiv und tolerant ausgetauscht hat. Inzwischen wird man angepöbelt, wenn man etwas anders sieht als andere – völlig egal, ob die anderen die Mehrheit, Minderheit oder auch nur Einzelfälle sind.

    Jedes Thema kann zum Meinungs-Minenfeld werden: Wer nicht für mich ist, ist gegen mich. Es ist erschreckend mit welcher Vehemenz manche bereit sind verbal auf einander einzuschlagen.

    Wer sich über einzelne Fahrradfahrer aufregt, wird mit Sicherheit von engagierten Radlern angegriffen, weil Radfahrer grundsätzlich das schwächste Glied in der Opferkette des Straßenverkehrs sind. Männer dürfen sich nicht zu Frauenthemen äußern und Frauen nicht zu Fußball und für den Klimaschutz ist jedes Mittel vielleicht nicht legal, aber legitim. Wer anderer Meinung ist, liegt nach Meinung Einzelner völlig falsch damit, hat nichts verstanden und weiß gar wie das ist…

    Inzwischen schweigt man lieber auf Social Media als sich in Weltanschauungs-Diskussionen verwickeln zu lassen. Ich habe da mal auf Twitter nachgefragt – aber bei der bescheidenen Anzahl von Rückmeldungen kann man nicht einmal von einem Trend sprechen:

    Aber die Forschung sollte das gerne mal aufnehmen und vertiefend beleuchten, denn ich glaube ja die Schweigespirale ist online eher eine Shitstorm-Spirale und da duckt man sich lieber, bevor man getroffen wird.

  • Twitter war mal ein freundlicher Ort

    Twitter war mal ein freundlicher Ort

    Twitter war immer „mein“ Kanal unter den ’sozialen Netzwerken‘ – nun muss ich feststellen, dass es dort leider immer asozialer zugeht. Warum das so ist, weiß ich nicht. Vielleicht ist mit der wachsenden Anzahl von Nutzern auch ein größerer Anteil des Bodensatzes unserer Gesellschaft mit hineingespült wurden: Damit meine ich Menschen ohne Erziehung, Anstand und Benehmen – keine Merkmale wie Einkommen, Ethnie, Geschlecht oder politische Gesinnung.

    In einem Dialog-Kanal sollte man mit einander reden können – auch, wenn man anderer Meinung ist. Miteinander reden beinhaltet auch Zuhören und Aushalten, dass andere über Dinge anderes denken. Meinungen sollten mit Argumenten untermauerbar sein und diese können in einer Diskussion gerne angebracht werden. Das machen Menschen so, wenn sie miteinander reden.

    Bei Twitter fällt mir zunehmender Starrsinn gepaart mit Intoleranz auf: „Wenn Du dass nicht so wie ich siehst, dann bist Du kacke und verstehst gar nichts…“ – in der digitalen Welt gibt es immer weniger Grau, sondern scheinbar nur noch Schwarz oder Weiß.

    Wer sich keine blutige Nase holen will, der bleibt am besten in seiner Ecke und zieht sich seine Filterblase über den Kopf, denn dort habe ich immer recht und alle denken das selbe wie ich und ich muss mich mit der Welt nicht mehr auseinandersetzen.

    Ich finde das eher traurig. Jegliche Gruppe, die tatsächlich oder nur selbstempfunden zufällig oder auch systematisch benachteiligt ist, ist auf Krawall gebürstet und blökt jeden an, der es wagt, etwas zu ihrem Thema zu sagen, zu fragen oder anzumerken: Alleinerziehende Mütter, Fahrradfahrer, Umweltaktivisten, Landbewohner und viele andere – wer es wagt, zu etwas den Mund auf zu machen, der weiß ja nicht, wie es ist und soll gefälligst die Klappe halten und sich verpissen.

    Noelle-Neumanns „Schweigespirale 2.0“ lässt grüßen: Bei der vermeintlich herrschenden (ver-)öffentlichten Meinung, traue ich mich nicht mehr, meinen Senf dazuzugeben. Twitter mutiert zur Linkschleuder der Eitelkeiten, das Vögelchen hat sich den Schnabel gebrochen und ist dabei abzustürzen.

    Früher war Twitter ein freundlicher Ort. Man hat sich unterhalten und den anderen sein lassen, was er wollte, so lange er freundlich und höflich war.

  • Die Sache mit den Erinnerungen, der Katze und dem Äffchen

    Die Sache mit den Erinnerungen, der Katze und dem Äffchen

    Meine Freundin erinnert mich gerne daran, dass Erinnerungen sich verselbständigen können. Sie werden mit Erzählungen, Berichten und der eigenen Phantasie gerne ergänzt und überschrieben. Nichts sei trüglicher als die eigene Erinnerung – und das nehme mit dem Alter zu. Da ich nun jenseits der 50 bin, ist das Verfallsdatum vieler Erinnerungen bereits abgelaufen.

    Das habe ich auch auf einer Kurzreise mit Zwischenstopp in Bremen wieder einmal erleben müssen. Meine Eltern haben mich in meiner Kindheit bevorzugt durch Deutschland kutschiert – und ich erinnere mich gerne an diese Entdeckungsreisen durch mein Heimatland. So waren wir auch in Bremen und ich war vielleicht acht, neun oder zehn Jahre alt.

    Nachhaltig beeindruckt hatte mich der Bleikeller unter dem Bremer Dom. Als es nun mit gut 40 Jahren Zeitabstand wieder in die Hansestadt ging, konnte ich meiner Freundin lebhaft alles aus der schaurigen Gruft unter dem Dom schildern: Die unbekannte Gräfin, der vom Dach gestürzte Dachdecker und natürlich die Katze und das Äffchen, dass man in der bleihaltigen Luft aufgehängt habe, um den mumifizierenden Effekt des Kellerraumes zu testen beziehungsweise unter Beweis zu stellen.

    Es fing schon damit an, dass der „Bleikeller“ gar nicht unter dem Dom ist, sondern sich in einem Nebengebäude und dort nicht einmal so richtig im Keller befindet. Der „Dachdecker“ hatte eine Kugel im Rücken, was dafür spricht, dass er vermutlich auf der Flucht erschossen wurde, anstatt vom Dach gefallen zu sein. Gegen die unbekannte „Gräfin“ sprach, dass niemand zu der Zeit im Adel vermisst wurde. Der mumifizierende Effekt hat nichts mit Blei zu tun (der Keller hieß nur so, weil dort das Blei für die Dachschindeln gelagert wurde), sondern mit einer Sanddüne unter dem Dom, die alles vertrocknen lässt, was über ihr lagert. Wenigstens befand sich der Keller früher tatsächlich unter dem Dom – in soweit hatte meine Erinnerung mich nicht getäuscht.

    Was war aber nun mit der Katze und dem Äffchen, die mich als Kind nachhaltig beeindruckt hatten, wie sie dort verschrumpelt kopfüber von der Decke hingen? Wir fragten die Dame an der Einlasskontrolle: Sie werde immer wieder – besonders von den älteren Besuchern – nach der Katze und dem Äffchen gefragt, aber sie habe noch nie etwas davon gehört. Außerdem müsse sie den ganzen Tag über im Keller hocken, während draußen die Sonne scheine.

    Das war’s: Alles, was wir glauben zu wissen, ist Lug und Trug der eigenen Imagination. Ich fand’s eher deprimierend.

    Am nächsten Tag waren wir im Übersee-Museum – das ich natürlich auch ganz anders in Erinnerung hatte: Exotische Installationen waren einem unstrukturierten durcheinander gewichen und ich fragte mich, wo der ganze Plunder aus fernen Ländern geblieben war, den Generationen von Seefahrern mit zurück in die Hafenstadt brachten.

    Dafür gibt es das Schaumagazin: Ein fünfstöckiger, moderner, klimatisierter Anbau in dem alles archiviert wird, was nicht auf der Ausstellungsfläche gezeigt werden kann – bis zur Decke voll gestopft und vollgestapelt: ohne Ende Exponate.

    Eigentlich eher ermüdend als erhellend und so arbeiteten wir Etage für Etage mit zunehmend mangelhafter Konzentration ab. Ganz oben waren die Tiere: Ausgestopfte Vögel in allen Farben, Schubladen voller aufgespießter Insekten, Großkatzen, Fledermäuse, eingelegte Schlangen.

    Ganz oben, ganz hinten links stand noch ein Schrank mit Schubladen. Meine Freundin – die eigentlich mit dem Schaumagazin durch war – zog eine Schublade auf und rief mich gleich zu sich. Da waren sie: Katze und Äffchen aus dem Bleikeller unter dem Dom! Also hatte mich meine Erinnerung in diesem Punkt nicht getäuscht.

    Und was bleibt von der Reise nach Bremen? Erinnerungen können einen täuschen, starke Erinnerungen haben einen wahren Kern.

  • Das Memory-Versprechen

    Das Memory-Versprechen

    Mein jüngerer Sohn spielt leidenschaftlich gerne Memory. Und ich spiele total gerne mit ihm. Ich musste ihm beim Gedächtnisspiel auch nie gewinnen lassen, denn das konnte er schon immer alleine.

    Sein Favorit bei uns ist das „StädteBautenMemoSpiel Berlin“, das ich mal von Freunden als Erinnerung an die gemeinsame Studienzeit in Berlin geschenkt bekam. Er mag dabei auch das Begleitheft, in dem man nachlesen kann, welches Gebäude zu sehen ist. Inzwischen kann er alle abgebildeten Berliner Bauten problemlos benennen und man könnte meinen, er wäre in Hauptstadt zuhause.

    Als er dann auch noch bei seinem Onkel die Kölner-Ausgabe entdeckte, fragte er mich, ob wir als Düsseldorfer nicht auch ein Düsseldorf-Memory zuhause haben sollten. „Recht hast Du“, sagte ich da: „Du hast ja im Februar Geburtstag – da schenke ich Dir ein Düsseldorf-Memory!“

    Und was ein Papa seinen Kindern verspricht, muss ein Papa auch halten. Was ich zu Beginn dieses Jahres jedoch nicht wusste: Ein klassisches Memory – wie wir es von Berlin und Köln kannten – gibt es für Düsseldorf nicht.

    Was also tun? Es musste ja zum Geburtstag im Februar 2019 ein Düsseldorf-Memo-Spiel her, denn ich hatte es ja versprochen.

    Wenn es etwas noch nicht gibt, dann muss man(n) es eben selber machen!

    Auch dafür gibt es im Internet-Lösungen. Das wusste ich, denn vor etlichen Jahren hatte ich gemeinsam mit meinem Bruder zur Hochzeit unserer Schwester ein „Memory“ mit Fotos aller Hochzeitsgäste drucken lassen – ein Geschenk, bei dem Spielenamen und Funktion Hand in Hand gehen.

    Bei der Vielzahl der Anbieter, habe ich mich für denjenigen entschieden, der noch eine Shopfunktion im Programm hat: Sollten sich noch andere Düssseldorfer für ein „Düsseldorf-Memory“ interessieren, dann könnten sie dort mein Spiel bestellen.

    Jetzt brauchte ich nur noch passende Bilder aus unserem Wohnort: Für eine eigene Foto-Safari war weder die Jahreszeit, noch mein Equipment oder meine fotografischen Kenntnisse ausreichend – aber auch dafür gibt es im Internet Lösungen: Auf verschiedenen Plattformen gibt es frei verwendbare Bilder – ich wurde größtenteils auf pixabay.de fündig.

    Ich folgte der Prämisse, dass die Bilder – wie bei den bekannten Stadt-Memo-Spielen – nicht ‚künstlerisch wertvoll‘ sein mussten, sondern in erster Linie für junge Spieler wiedererkennbar sein sollten – im weitesten Sinne also den ‚natürlichen Blick‘ auf die Orte wiedergeben sollten. Ergänzt habe ich die gewählten Motive durch persönliche Bildmotive: Ein Bilderpaar zeigt das Haus, in dem wir wohnen und eines den Blick aus dem Kinderzimmer des jungen Mannes.

    Am Ende war es auch ein bisschen mehr Mühe als gedacht: Motive herunterladen, Motive hochladen, den Zuschnitt wählen, ein Booklet gestalten und kindgerechte Infos zu den Motiven zusammenzusuchen.

    Und so richtig günstig war es auch nicht wirklich: Das Unikat kostet mit Versandkosten gut 28 Euro – ein stolzer Preis für ein spontanes Versprechen. Aber: Versprochen ist versprochen!

  • SchelSaZ = Die schlechteste Serie aller Zeiten?

    SchelSaZ = Die schlechteste Serie aller Zeiten?

    „Quatermain“ konnte gegen „Indiana Jones“ nie so richtig anstinken. Denkt man aber an „Quatermain“, dann denkt man zuerst an Richard Chamberlain und Sharon Stone – weniger an Patrick Swayze (bekannt aus „Schmutzigem Tanzen“) und Alison Doody (bekannt als „Nazi-Schlampe“ aus Indianer Jones III). Das zweiteilige Remake von 2004 tauchte bei Amazon Prime Video auf und ist eher ein wässeriges Süppchen als eine fetter Braten.

    Diese „Miniserie“ ist schon recht schlecht. Aber war eigentlich nur der Link über die Filmographie der weiblichen Hauptdarstellerin zu einen noch fragwürdigerem Produkt filmischen Schaffens, von dem ich bis heute keine Kenntnis hatte: „Der Ring der Musketiere“ – eine deutsch-amerikansiche Co-Produktion im Auftrag von RTL aus den frühen 1990ern. In den drei weiteren Hauptrollen mit David Hasselhoff (bekannt als der, der die Mauer niedergesungen hat), Thomas Gottschalk (bekannt aus „Zwei Nasen tanken Super“ und „Wetten dass…?“) und Cheech Marin (bekannt aus „Cheech und Chong“).

    Alles andere total unbekannt: Es wurden überhaupt nur vier Episoden produziert, die im Dezember 1992 einmalig versendet wurden. Keine Wiederholungen, keine Verwertung auf anderen Sendern und in den USA wollte es niemand ausstrahlen. Es gab weder DVD noch Streaming Veröffentlichungen. Wo doch sonst alles zumindest auf RTL Plus irgendwann wiederholt – aber dies ist eher eine Art Phantom-Serie!

    Und ist es so schlimm wie man vermuten könnte? Oh, ja! Es gibt wunderschöne Fön-Frisuren, einen unzusammenhängenden roten Faden, einen Sack voller Alt-Herren-Witze und David Hasselhoff singt. So haben die Kollegen vom „Quotenmeter“ die Mini-Serie auch auf dem „Fernsehfriedhof“ beerdigt.

    Die ersten beiden Episoden sind Dank Abfilmens vom Fernseher auf Youtube für die Ewigkeit konserviert wurden:

    Episode 1: Teil 01/01Teil 02/01Teil 03/01

    Episode 2: Teil 01/02Teil 02/02Teil 03/02

    Die ersten beiden Episoden hatten im Schnitt rund 6000 Zuschauer bei Youtube – Bibi von Bibis Beauty Palace hat locker stets über eine Million pro Clip. Über die anderen beiden Episoden hat der Mantel der Geschichte gelegt und sie dem digitalen Vergessen überantwortet.

    Für mich ist „Der Ring der Musketiere“ der perfekte Anwärter für den Titel „Schlechteste Serie aller Zeiten“ – und wer sind eure Favoriten?

  • Alles neu macht der Mai

    Alles neu macht der Mai

    Ich habe den vergangenen Monat genutzt meine Online-Aktivitäten zu optimieren. Ein Projekt hatte ich für mich abgeschlossen und in diesem Zuge habe mich von der Projekt-Website, dem korrespondieren Blog und Twitter-Account verabschiedet.

    Aber nicht alle Inhalte waren für die „digitale Tonne“. Einige waren gut geklickt wurden, andere fand ich einfach relevant genug, um sie nicht gleich mitzulöschen. Aber wohin damit? Ich hatte noch zwei weitere Blog-Baustellen im Netz, die ich vorher schon nicht kombiniert hatte, weil ich dachte, dass die Zielgruppen für die Inhalte zu weit auseinanderlägen.

    Den untauglichen Versuch sich im Netz als monothematisch ausgerichtete, multiple Persönlichkeiten zu präsentieren wollte ich auch hinter mir lassen: Im echten Leben gibt es mich auch nur aus einem Guss.

    Ich verstehe mich als „Geschichtenerzähler“. Und wo werden die besten Geschichten erzählt? Richtig: Abends am Lagerfeuer! Der Ort, an dem man sich zusammen gefunden hat, bevor das Fernsehen erfunden wurde.

    In der modernen Variante eben als DigitalesLagerfeuer.de: Es leuchtet in der Nacht, es wärmt, es knistert, der Rauch vernebelt einem die Sinne und man kann sein Marshmallow darin rösten.

    team40.org gab es von 2017 bis 2019

    Unter „Digitales“ finden sich in erster Linie meine Beiträge zum Thema Digitalisierung, die zuvor auf „team40.org“ zu lesen waren. Dort hatte ich von März 2017 bis März 2019 insgesamt 30 Beiträge veröffentlicht, von denen zehn übernommen wurde.

    Davon gut die Hälfte in der Rubrik „Spielen“, in denen es um das von mir entwickelte Teambuilding-Spiel geht.

    anderesachen.blogspot.com gab es von 2012 bis 2019

    Die meisten Beiträge unter „Digitales“ stammen von meinem Blog „anderesachen“, auf dem ich von Februar 2012 bis Februar 2019 51 Beiträge vorrangig rund um Social Media und Internet-Themen veröffentlicht habe. Einige sind hier schon angekommen, andere ziehen in den nächsten Tagen nach. Ich dachte damals, es wäre doof, diese Themen mit den Themen meines Papa-Blogs „vatertage.net“ zu vermischen.

    vatertage.net gab es von 2007 bis 2016

    Dort habe ich von Dezember 2007 bis Juli 2016 insgesamt 214 Beiträge veröffentlicht. 24 schafften es, sich ans DigitaleLagerfeuer zu retten. Die Hälfte von ihnen in die Rubrik „Daheim“, die andere Hälfte – vorrangig Buch-Besprechungen – unter „Andere Sachen“ und dort als „Gelesen“.

    Der Rest war nicht mehr zeitgemäß: Wer braucht 2019 noch zehn Jahre alte Empfehlungen für Kinderwagen- und Autositzmodelle, die es schon lange nicht mehr gibt? Wer braucht im Streaming-Zeitalter noch einen Vergleich der verschiedenen Online-DVD-Verleihdienste (ja, das gab es wirklich!)? Und die Besprechungen von anderen Papa- und Familien-Blogs, die inzwischen schon lange wieder offline sind, dürfte auch niemanden mehr interessieren.

    Jetzt gibt es das DigitaleLagerfeuer.de

    Aber alles, was auch nach langer Zeit noch eine schöne Geschichte ist, wird noch länger am DigitalenLagerfeuer erzählt werden und hat dort seinen berechtigten Platz.

    So, wie auch Du, lieber Gast! Setz Dich dazu, für Dich ist immer ein Plätzchen frei am DigitalenLagerfeuer!

    Und wie geil ist das denn? Mal ein neues Blog-Projekt nicht leer, sondern bereits gut gefüllt starten zu können?

  • Über meinen Selbstversuch, nachhaltig zu mobil zu telefonieren

    Über meinen Selbstversuch, nachhaltig zu mobil zu telefonieren

    Ich habe aufgegeben! Zugegeben: Die Idee von Fairphone ist großartig, fasziniert und reißt mit: Man kann auch Smartphone nachhaltig, sozial und ethisch produzieren! Keine menschenunwürdigen Bedingungen beim Schürfen notwendiger Spezialminerale und Erze, keine Sklavenarbeit bei der Montage und transparente Lohnstrukturen – alles Dinge, von denen die großen Produzenten sagten, man müsse sie leider in Kauf nehmen und das ließe sich nicht ändern.

    Darüber hinaus ist der modulare Aufbau eine tolle Idee: Geht es etwas kaputt oder sind andere Leistungsmerkmale gewünscht, können einzelne Komponenten ausgetauscht werden ohne gleich das ganze Gerät austauschen zu müssen.

    Genutzt habe ich das nie. Das ist so, wie die Menschen, die in der Großstadt wohnen, Dir alle Theater und Museum aufzählen, die sich so einfacher besuchen könnten, ohne in den vergangenen fünf Jahren in einem der Häuser gewesen zu sein.

    Und das alles noch per Crowdfunding finanziert. Eine wirklich tolle Geschichte, an der alles dran ist, was eine gute Geschichte braucht.
    War es übrigens beim Cargolifter auch – ein landeflächigen unabhängiges Lufttransport-System, das umweltfreundlich und sicher war. Hat nur leider nicht funktioniert.

    Community-Tipp: Lösch doch die Apps…

    Das Fairphone 2 funktioniert – im Groben und Ganzen. Auch wenn die Benutzung einen gewissen Enthusiasmus erfordert. Es gibt immer wieder Bugs, die man einfach akzeptieren muss. Aktuell lässt sich das Fairphone 2 bei Laden nicht an- und generell gar nicht wieder ausschalten. Das nennt sich dann der „never-turn-off-bug“ und wird in der Online-Community dokumentiert.

    Da muss man im Sinne einer Holschuld regelmäßig nachgucken, was mal wieder nicht funktioniert und warum. Dort sind auch alle höflich und hilfsbereit und ich glaube, es gibt kaum ein Produkt, bei dem der Support vorrangig durch die Kunden gewährleistet wird.

    Schon früh stellte ich fest, dass die Akkuleistung eher enttäuschend war. Nach gut sechs Monaten musste ich das Smartphone bis zu dreimal täglich aufladen. Es schaffte dann drei bis vier Stunden bei durchschnittlicher Nutzung.

    Hilfe kam auch hier aus der Community: Lösch doch einfach die Social Media Apps von dem Handy – das sind reine Stromfresser. Am besten wäre es, dass Phone ganz ohne Apps zu benutzen – das erhöhe die Akkulaufzeiten nachhaltig.

    Das kann es aber in modernen Zeiten nicht sein. Ich weiß, dass man ein paar Einschränkungen in Kauf nehmen muss, wenn man Gutes erreichen will. Meine Eltern haben in den 1980er Jahre schrumpeliges Öko-Gemüse in abgedunkelten Kellerläden gekauft und damit dazu beitragen, dass es überhaupt erstmal einen Nachfragemarkt nach ökologisch nachhaltigen Produkten gibt. Damals zog man als Schüler auch noch einen kratzigen Norwegerpullover an, wenn das Schaf glücklich war und Freunde ihn gestrickt hatten.

    Öko kann heute auch schick und funktional sein

    Heute geht öko und nachhaltig auch in schick und funktional. Aber das sollte es dann auch sein: Ein Android-Handy, dass immer noch auf Android 7.01 läuft, während aktuelle Modelle mit Android 9 am Markt sind, ist nun leider nicht mehr zeitgemäß.

    Mag sein, dass das Fairphone 3 mit dem großen crowdfunding Erfolg im Hintergrund alles auswetzt, wo man aktuell enttäuschen muss – aber ob ich dann wieder wechsele bleibt offen. Es ist halt immer ein gewisse Leidensbereitschaft notwendig, wenn man zu den ‚Firstmovern‘ gehören will – mag sein, dass ich mich damit wieder in Mainstream verabschiedet habe, aber es nicht immer schlimm, auch mal mit dem Strom zu schwimmen bzw. sich treiben zu lassen.

    Nachhaltig ist das Fairphone auf jeden Fall in Bezug auf die Werthaltigkeit: Gebrauchte Geräte lassen sich zu hohen Preise weiterverkaufen. So gesehen musste ich für meinen Ausflug in die Welt der nachhaltigen mobilen Telefonie nicht noch extra draufzahlen.

    Dieser Beitrag erschien zuerst unter https://anderesachen.blogspot.com/2019/02/uber-meinen-selbstversuch-nachhaltig-zu.html