Autor: Stefan Balázs

  • Der Herr des Ringes

    Der Herr des Ringes

    Ich habe es offensichtlich nicht so mit der digitalen Selbstvermessung: Entweder fehlt mir der Optimierungsdrang oder das richtige Device. ⏩ Ich hatte mal eine Smartwatch, die schon einiges aus meinem bewegten Leben mitschrieb – zumindest Schrittzahl, Entfernung und Puls waren dabei. Unsere Beziehung scheiterte daran, dass der Akku der Uhr meistens leer war, wenn ich los wollte. Inzwischen habe ich eine Solar betriebene Armbanduhr, die gar nichts kann, außer die Uhrzeit anzuzeigen und einfach immer weiter läuft.

    So hätte es immer weiter gehen können, wenn mit zunehmenden Alter nicht doch das Thema „Messen“ relevanter geworden wäre: Mein Blutdruck bleibt wohl nicht so lange im moderaten Bereich und ist zu schnell und zu oft zu hoch. Das stellte der Hausarzt mit wiederholten 24-Stunden-Blutdruck-Messungen fest. Dann bekommt man Tabletten verschrieben und wird gebeten, den Blutdruck auch weiterhin zu kontrollieren.

    Convenient Messen?

    Ich messe nun schon eine ganze Weile beim Frühstück und Abendessen zuhause mit einer Handgelenksmanschette meinen Blutdruck. Das macht nur bedingt Spaß, ist mal zu niedrig (eher morgens) und mal zu hoch (eher abends), aber vielleicht im Sinne der Stichprobenverteilung nicht so ideal wie die Messung vom Hausarzt, bei der sich alle 15 Minuten Dein Oberarm aufpumpt.

    Ring: Günstig – aber wertig

    Es gibt nun (einige wenige) Fitness-Tracker, die versprechen, dass sie auch den Blutdruck messen können. Schnell verrät das Internet einem, dass diese Messungen aber nicht allzu verlässlich wären. Bei diesen Angeboten finden sich neben bekannten Armbändern auch Ringe als Fitness- und Gesundheitstracker. Auch dazu findet sich der Hinweis im Netz, dass die Blutdruck-Messungen dieser Gesundheitsringe genauso unzuverlässig seien, wie die der Armbänder. Immerhin: Beide Lösungen scheinen gleich schlecht zu sein, wozu also viel investieren, wenn man zu Testzwecken auch einen günstigen Gesundheitsring kaufen kann?

    Auf dem Amazon Marketplace stieß ich auf das Angebot eines Gesundheitsringes, der den Blutdruck messen könne, aber auch den Puls, die Anzahl der Schritte, Distanz und Kalorienverbrauch, die Blutsauerstoffsättigung, die Hauttemperatur, das Schlafprofil sowie das Stress-Level. Preis knapp unter 50 Euro, Lieferzeit knapp sechs Wochen, denn der Ring kommt aus China. Bestellbar war er in drei Farben und fünf Größen, für die man den Umfang seines linken Zeigefinger messen sollte, denn dort sollte man den Ring am besten tragen.

    Ringlein, Ringlein, Du musst wandern

    Mein linker Zeigefinger hat am unteren Fingerglied einen Umfang von 7,1 cm – die größte Größe sei für einen Umfang von 6,9 cm geeignet. Was machen denn die armen Menschen mit Wurstfingern, habe ich mich gefragt. Aber dann kam einiges anders: Der Ring war bereits nach zwei Wochen aus Fernost da und für den Zeigefinger der linken Hand viel zu groß.

    Die Verpackungsgestaltung war wertig und der Ring wirkte nicht wie aus dem Kaugummi-Automaten. Ein weiterer Vorteil: Die Daten werden auf dem Handy in einer App erfasst, die man kostenfrei herunterladen und nutzen kann. Es gibt gerade im Segment der Premium-Anbieter von Gesundheitsringen auch das Geschäftsmodell, dass die dazugehörige App auch noch im Monatsabo bezahlt werden muss.

    Die App ist einfach, aber auch übersichtlich und aktuell nicht im Android App-Shop verfügbar. In der Gebrauchsanweisung ist ein QR-Code zu einem Download-Link, mit dem man sich die App direkt vom Server ziehen und sie freihändig installieren kann. Funktioniert reibungslos.

    App: Einfach – aber übersichtlich

    Der Ring funkt seine Daten via Bluethooth an das Handy. Das hat bei mir nicht immer reibungslos geklappt. Das Handy liegt in der Küche, man selber geht zur Toilette und – schwuppdiwupp – ist die Verbindung verloren. Insbesondere wenn der Mini-Akku im Ring schwächelt, scheint es Konnektivitätsprobleme zu geben. Diese können natürlich auch an meinem Handy liegen oder an dem Datenaustausch zwischen beiden. Für mich war dies am Ende einer der „Joy-Killer“: Wann immer ich eine Blutdruckmessung starten wollte, war der Ring nicht verbunden. Und leider auch trotz mehrmaliger Verbindungsversuche nicht wieder auffindbar für das Handy. Einmal hatte ich sogar den Fall, dass beide Devices laut Bluetooth-Liste gekoppelt waren, aber die App wacker weitersuchte. Solche Usability-Fails können einem dem Spaß bei der Anwendung regelrecht verleiden.

    Mangelhafte Konnektivität als „Joy-Killer“

    Aber zentral bleibt die Frage: Hat der Ring denn auch das gemessen, was er sollte? Also: Für mich ohnehin zu viel, denn Hauttemperatur, Blutsauerstoffsättigung, Stress-Level und Schlafanalyse interessieren mich eigentlich weniger. Schritte kann man auch anders zählen und Puls hat man, weil man noch lebt. Ein paar Mal habe ich mit der Manschette und den Ring parallel gemessen – nur selten waren die Ergebnisse annährend vergleichbar. Wobei man fairerweise sagen muss, dass ich auch nicht weiß, wie verlässlich die Handgelenksmanschette misst. Die Werte des Ringes waren meistens patientenfreundlicher, weil deutlich geringer und stets im „grünen Bereich“. Die gemittelte Abweichung über alle Parallelmessungen liegt bei respektablen 15 Prozent.

    Messwert-Tabelle: A = abends / M = morgens – alle Differenzen sind als prozentuale Abweichung zur Referenz angegeben

    Dennoch geben die Messungen eine gewisse Auskunft: Unterstellt man, dass der Ring äquidistant misst – vielleicht auf falschem Niveau, aber mit korrekten Intervallen – dann lässt sich die realistische Höhe einfach überschlagen und Ausschläge ebenfalls verlässlich erkennen.

    Muss jeder selber wissen: Tragekomfort

    Auf Grund der unterschiedlichen Messangaben habe ich den Ring am rechten Zeigefinger getragen, weil er dort am besten passte. Das war für mich eher ungewohnt: Der Ring klackerte beim Bedienen der Computer-Maus, quetsche den Finger beim Schrauben und Drehen und beim Händeschütteln hatte man das Gefühl, das Gegenüber zieht einem den Ring vom Finger. Am Ende wäre es vermutlich auch eine Gewohnheitssache und jeder sieht das das anders. Eine mögliche Alternative für den Zeigefinger der rechten Hand wäre vermutlich der linke Daumen gewesen.

    Fazit: Eine interessante Alternative

    Sicherlich eine interessante Alternative für das Gesundheitstracking, wenn man ohnehin an der Fülle der Daten interessiert ist. Aus meiner Sicht zur reinen Beobachtung des Blutdrucks weniger geeignet: Die Messwerte weichen stark ab, die Messungen müssen manuell angestoßen werden. In Verbindung mit der teilweise grottigen Konnektivität und dem von mir als eingeschränkt empfundenen Tragekomfort – für mich keine Alternative – aber Zettel und Stift sind auch mehr zeitgemäß.

    Ich weiß, dass ein Armband-System zur Messung des Blutdrucks gerade viel positiven Spruch erhält – das kostet jedoch das Vierfache des Ringleins, das ich mir zu Testzwecken besorgt habe. Das muss man dann schon wollen und sich nicht nur zum Testen besorgen.

  • Instagram, wer bin ich?

    Instagram, wer bin ich?

    Eigentlich kamen wir bei Mastodon eher zufällig auf den Aspekt der „Konstruktion von Wirklichkeit“ in digitalen Plattformen. Die Datenkrake ⏩ Meta dockt mit der Twitter-Alternative Threads am Fediverse an, was zu der Diskussion führte, in welchen Maße nun die Kommerzialisierung ihren Einzug finden wird.

    Meta wird Threads mit Optionen einer möglichen Refinanzierung verbinden – also wird es um Werbung gehen und damit auch um Reichweitenmessung. Damit kommen die Bewohnerinnen und Bewohner des Fediverse vermutlich nur in Berührung, wenn sie mit Beiträgen oder Personen aus der Thread-Instanz interagieren. Also werden sicher nur Anteile unserer Aktivitäten, gemessen, gewogen und gezählt.

    Damit waren wir schnell bei der Grundsatz-Diskussion: Die meisten Fediverse-Nutzerinnen und -Nutzer bevorzugen, dass ihre Daten nicht vermarktet werden. Und ich persönlich finde es auch gut, dass es noch selbstbestimmte digitale Orte gibt.

    Für mich persönlich ist aber auch klar, dass meine Selbstdarstellung in Social Media immer nur meine Konstruktion meiner subjektiven Wirklichkeit ist, also nicht unbedingt die Realität (falls es eines solche überhaupt geben sollte). Ich zeige dort nicht mein Leben, sondern inszeniere ein digitales Leben (nicht nach Drehbuch, sondern nach Gusto).

    Mir ist das klar, aber Menschen, die mit meinem digitalen Alter Ego interagieren, rekonstruieren sich daraus eine andere Wirklichkeit von meiner Person. Und damit werden diese Re-Konstruktionen für sie real: Dann weiß nur noch ich für mich alleine, was ich wann wo wie und warum von mir zu teilen bereit war, die Mehrheit aller anderen Personen wird ein ganz anderes Bild von mir haben. Damit wird mein digitaler Klon realer, als ich es werden könnte. Mir ist klar geworden, dass die konstruierte Person meiner Selbst, von der ich glaube, sie vermarkten zu können, weil sie nicht wirklich ich ist, für alle anderen zu mir wird.

    Was wäre eine Alternative? Sich vollends ungefiltert digital zu repräsentieren, um über Authentizität die Kernperson wahren zu können? Ich weiß nicht: Dann schaue ich doch lieber bei Instagram nach, wer ich gerade eigentlich bin …

    Ergänzung:
    Als technisch nicht sonderlich affiner Mensch, habe ich die Thematik arg verkürzt. Selbstverständlich entstehen im Digitalen immer zähl- und messbare Daten – auch im Fediverse (bei einigen dortigen Plattformen mehr als bei anderen). Es geht letztendlich um die Ablehnung einer systematischen Auswertung zu Zwecken der Kommerzialisierung.

  • Die Sehnsucht nach einfachen Lösungen

    Die Sehnsucht nach einfachen Lösungen

    Ich staune bei dem Reality-Format ⏩ „Hochzeit auf dem ersten Blick“ auf Sat.1 immer wieder: In Deutschland stehen immer mehr Menschen der Wissenschaft immer skeptischer gegenüber – egal ob es dabei um Corona oder den Klimawandel geht -, aber wenn es um das Privateste überhaupt geht, dann soll „aus Wissenschaft Liebe werden“ können, wie es die Sendung verspricht. Dabei ist die Erfolgsquote mehr als jämmerlich: Von 46 Paaren, die sich in den ersten neun Staffeln bisher das Ja-Wort gegeben haben, sind lediglich nur noch fünf Ehepaare verheiratet (Stand November 2023).

    Wer ohne TV-Beteiligung heiratet, hat trotz hoher Scheidungsraten in Deutschland fünffach höhere Chancen noch verpartnert zu sein: Während bei „Hochzeit auf den ersten Blick“ die Quote grob bei 100 zu 10 steht (10 Prozent), ist sie in der freien Wildbahn eine Fifty-Fifty-Chance (also 50 Prozent). Dennoch betonen alle Kandidatinnen und Kandidaten, dass sie an das Experiment glauben – vielleicht weil ihnen vorgegeben wurde, dies zu sagen oder sie tun es tatsächlich.

    Und damit sind sie nicht allein: Jedes Jahr bewerben sich ⏩ 3.500 bis 5.000 Kandidatinnen und Kandidaten (wobei die Frauenquote leicht höher ist) für eine neue Staffel, die ebenfalls daran glauben, dass Stimmproben, Schnüffeltests und das Matching von Eigenschaften und Interessen als stabile Basis für eine erfolgreiche Beziehung ausreichen. Tun sie scheinbar nicht.

    Für die wahre Liebe scheint so etwas wie die „geheime Zutat“ zu fehlen, die die wissenschaftliche Theorie eben nicht entdecken kann. In der ⏩ Brigitte vermutet Simone Deckner, dass „oft ganz andere, kleine Dinge darüber [entscheiden], ob wir uns verlieben“ – zum Beispiel, wie er seine Zigarette hält oder die Farbe seiner Jeans. Aber die Teilnahme kann natürlich jedoch auch ganz anders motiviert sein – bis hin zum Wunsch der „Fünf-Minuten-Prominenz“, wenn man einmal im Reality-TV war: Selbst wenn ich gar nichts kann, was irgendjemand im Fernsehen sehen möchte, kann ich mich immer noch heiraten lassen.

    Aber was treibt Menschen dazu, bei etwas anzutreten, dessen Erfolg eher mehr als unwahrscheinlich ist? Ganze ehrliche Antwort? Ich weiß es nicht. Eigentlich schade, diese schöne rhetorische Rampe verschenkt zu haben, aber Menschen spielen auch Lotto und ich weiß nicht, warum.

    Grundsätzlich sehe ich zwei grundlegende Beweggründe:

    Der Mensch sucht einfache Lösungen.

    Darauf basiert unter anderem auch der Erfolg politischen Populismus: Unsere Welt wird immer komplexer, wie schön für einzelne, wenn jemand einfache Antworten bieten kann. Denn dann kann man glauben, man sei deswegen arbeitslos, „weil die Ausländer den Deutschen die Jobs wegnehmen“. Und:

    Der Mensch hofft darauf, dass andere seine Probleme lösen mögen.

    Darauf basiert unter anderem auch der Erfolg von Religion: Wenn einem wie zum Beispiel im Psalm 69, Vers 2 der Bibel „das Wasser bis zum Hals steht“, kann man entweder auf Gottes Hilfe hoffen, oder selbständig mit Schwimmbewegungen beginnen – wie es angeblich die Zentrale Dienstvorschrift der Bundeswehr Soldaten ab einer Wassertiefe ab 1,20 vorschreibt.

    Zeitgleich trauen viele Deutsche der Wissenschaft nicht mehr so ganz über den Weg. Zwar sah man 2018 ⏩ „keine grassierende Wissenschaftsskepsis“, aber immerhin war gut die Hälfte der deutschen Bevölkerung bezüglich ihres Vertrauens in die Wissenschaft unentschieden oder skeptisch. 2020 fanden es 82 Prozent der Befragten in einer repräsentativen Studie wichtig, ⏩ wissenschaftliche Aussagen selber nachprüfen zu können. Das finde ich beachtlich, denn ich sehe mich kaum in der Lage, die „experimentelle Methoden zur Erzeugung von Attosekunden-Lichtpulsen“, die in diesem Jahr mit dem ⏩ Nobelpreis in Physik ausgezeichnet wurden, selber nachzuprüfen. Oder die Wirkweise von mRNA-Impfstoffen. Oder ⏩ SRES-Szeanarienentwicklung (im Unterschied zu RCP-Szenarienentwicklung) zur Prognose künftiger Klimaereignisse. Manchmal muss man eben doch glauben – oder darauf vertrauen, dass es andere beherrschen. Ob ich das jedoch in Herzensangelegenheiten machen würde? Wohl eher nicht – obwohl ich mir gut vorstellen kann, dass sich das viele Wünschen würden.

    Wenn ich „Hochzeit auf den ersten Blick“ schaue und den Spruch, dass „aus Wissenschaft Liebe werden“ könne, dann habe ich immer so einen Ohrwurm im Hinterkopf:

  • 4. Wohnungstausch: Wohnraum gerechter verteilen?

    4. Wohnungstausch: Wohnraum gerechter verteilen?

    Der Wohnungsmarkt ist kaputt: Für Menschen, die sich eine neue Wohnung suchen müssen, wird es immer schwieriger bezahlbaren Wohnraum zu finden. Und gleichzeitig sitzen viele Menschen in Wohnungen, die vielleicht eher unpraktisch sind, aber noch bezahlbar. Wäre Tauschen da die Lösung? Und wenn ja, wie geht das?

    Ich hatte mir schon mal verschiedentlich Initiativen zum Wohnungstausch angesehen, vor allem wenn die Kommunalverwaltung daran beteiligt war. So wie hier die Stadt Düsseldorf. Jüngst kam das Thema wieder bei mir auf, als ich in einem Immobilien-Newsletter folgende ⏩ Fokus-Meldung las: „Rentner können es sich kaum leisten, in eine kleine Wohnung umzuziehen“, die mit folgenden Einleitungstext beginnt: „Ältere Menschen blockieren große Wohnungen, die junge Familien dringend brauchen: Deutschland hat somit ein Problem mit der Wohnraumverteilung.“

    Die Überschrift beschreibt den Kern des Problems korrekt, der Einstieg verzerrt den Sachverhalt ein bisschen: „Blockieren“ klingt nach Vorsatz, so wie „Klimakleber“ – wobei „letzte Generation“ in der Altersgruppe eigentlich gut passt.
    Das Problem liegt auf der Hand: Wer einen uralten Mietvertrag mit moderat wachsendem Mietzins (aber vermutlich aktuell explodierenden Nebenkosten) hat, bekommt keine andere Wohnung bei Neuvermietung zu vergleichbaren Konditionen. Bei abbezahltem Wohneigentum ist die Diskrepanz noch krasser: Für das zu entrichtende Hausgeld bekommt man vermutlich nicht mal einen Garagenplatz im selben Viertel. Da bleibt man natürlich lieber in der Wohnung, auch wenn sie vielleicht zu groß und nicht wirtschaftlich ist.

    Aber wie funktioniert so ein Wohnungstausch eigentlich? Ein Erklärvideo auf https://www.wohnungstauschduesseldorf.de/ erklärt uns wie es funktioniert:

    Die Idee: Suchende und Anbietende zu „matchen“. Dazu gibt es logistische und finanzielle Hilfe bei Umzugsabwicklung. Das ist gut! Eigentlich schon sehr gut, aber ein Grundproblem bleibt: Meist bekommt die neue Mietpartei die vormals günstigen Konditionen der bisherigen Mieter nicht automatisch verlängert. Das bedeutet, dass nach dem Tausch vermutlich beide Seiten höhere Kosten haben werden.

    Ausgerechnet die vorherige NRW-Regierung aus CDU und FDP hatte vorgeschlagen, dass die Mietkonditionen nach dem Tausch für fünf Jahre zunächst gleichbleiben sollten:

    „In Nordrhein-Westfalen schlugen FDP und CDU bereits 2017 ein Pilotprojekt zum Wohnungstausch zwischen älteren und jüngeren Menschen vor. Zum Vorteil für beide Seiten: Wohnungstauscher sollten, wenn sie umziehen, 5000 Euro für Renovierung und energetische Modernisierung bekommen. Die Idee sah vor, dass die Wohnungstauscher fünf Jahre ihren alten Quadratmetermietpreis zahlen sollten.“

    Quelle: rnd – RedaktionsNetzwerk Deutschland

    Aktuell im April 2023 hat „Die Linke“ das Thema noch mal adressiert. Der Vorschlag hier: Die Beibehaltung der Mietkonditionen nach einem Tausch solle gesetzlich festgeschrieben werden. Unabhängig davon, dass dies in die grundsätzliche Vertragsfreiheit eingreifen würde – was zulässig wäre, aber gut begründet werden muss – wird die Idee allein daran scheitern, dass sie von den Linken eingebracht wurde.

    Aber wie sieht es denn nun bisher mit dem Wohnungstausch konkret aus? Auch gerade hier an meinem Wohnort Düsseldorf? Ich konnte vor ein paar Tagen darüber ausführlich mit Florian Tiegelkamp-Büngers vom Amt für Wohnungswesen der Landeshauptstadt Düsseldorf sprechen. Er betreut die Wohnungstauschbörse der Stadt und man merkt, dass er für die Idee und sein Projekt brennt.

    Bereits seit 2019 ist Düsseldorf auf der Plattform aktiv und war damit eine der ersten Kommunen in Nordrhein-Westfalen. Die Basiszahlen im System sehen gar nicht so schlecht aus: Seit Anfang 2020 gab es knapp 650 aktive Nutzerkonten, von denen etwas über die Hälfte derzeit noch einen aktiven Status haben. Tiegelkamp schreibt Nutzerinnen und Nutzer nach sechsmonatiger Inaktivität an. Wer nach dreimaligen Anschreiben nicht wieder aktiv wird, wird aus dem System gelöscht, könnte es aber jeder Zeit wieder neu anmelden. Aktuell sind rund 80 Anzeigen für Düsseldorf im System, insgesamt waren es gut über 300. Dennoch fällt die Bilanz eher nüchtern aus: Bisher kam in Düsseldorf über das System nur ein Tausch tatsächlich zustande.

    Dabei ist die Anzahl der „Matches“ aber verhältnismäßig hoch, was aus der hohen Nachfrage resultiert: Ein Angebot macht dann viele Nachfragen. Das ist ein bisschen so, als würde sich eine echte Frau aus Versehen auf einer Dating-Plattform anmelden.

    Das Hauptproblem liegt im Bekanntmachen des Angebots. Wohnungsbaugesellschaften und Genossenschaften sind schnell angeschrieben und informiert, aber den freifinanzierten Wohnungsmarkt zu erreichen ist nicht so einfach. Darüber hinaus die Hälfte der Zielgruppe (ältere Mitmenschen) häufig nicht so digital wie das Angebot. Daher liegen auch Flyer in den Senioren-Stadtteilzentren aus und Florian Tiegelkamp berichtet, dass er gerne hilft den Account für die Offline-Generation anzulegen, wenn es nötig ist.

    Freiburg und Bremen dienen gerne als Aushängeschilder beim kommunal unterstützten Wohnungstausch, aber in Freiburg wurde die Einführung des Angebots auch einer großen Plakatkampagne begleitet.

    Aus meiner Sicht, bleibt die zu Grunde liegende Idee spannend. Ich weiß nicht, ob die finanziellen Hilfen bei der Umzugslogistik ausreichend sind, wenn es keine (zeitweise) Festschreibung der Konditionen als Tauschbasis gibt. Auf jeden Fall, versuche ich die Wohnungstauschbörse und das entsprechende Konzept dahinter bekannter zu machen und dies ist bereits ein erster Beitrag dazu.

    Weiterführende Links:

    Das Amt zum für Wohnungswesen der Landeshauptstadt Düsseldorf:
    https://www.duesseldorf.de/wohnen/

    Download Infoflyer zum Wohnungstausch in Düsseldorf:
    https://www.duesseldorf.de/fileadmin/Amt64/wohnen/pdf/flyer_wohnungstausch.pdf

    Bisherige Beiträge in dieser Serie:

    Teil 1 lesen: ⏩Wohnen wird öffentlich

    Teil 2 lesen: ⏩ Wie viel Wohnraum brauche ich?

    Teil 3 lesen: ⏩ Wieviel Platz stände mir zu?

  • Ost und West: Wir müssen reden!

    Ost und West: Wir müssen reden!

    Ich habe lange gezögert, ob ich überhaupt etwas zu diesem Thema schreiben sollte. Wenn jemand aus der alten Bundesrepublik etwas über die Einstellung der Menschen, die in dem Teil Deutschlands leben, der die ehemalige DDR war, ist das ein bisschen so, als würde ein Mann etwas zum Thema Menstruation beitragen wollen: Wer ist nicht selber erlebt hat, der möge gefälligst die Klappe halten!

    Aber es nützt nichts: Wir müssen reden und wir müssen zuhören. Und wir müssen verstehen, warum es dem anderen vielleicht schwerfällt, die Dinge, über die wir reden, zu verstehen. Dann müssen wir noch mehr reden und noch mehr zuhören. Das hilft grundsätzlich bei jeder Form von Beziehung: Bei einem Paar, dass nach vielen Jahren Ehe das Gefühl hat, nur noch nebeneinanderher zu leben, aber auch bei Menschen, die von der westdeutschen Geschichte oder der ostdeutschen Geschichte geprägt wurden. Es ist nicht einmal notwendig, in der ehemaligen DDR geboren zu sein, auch Generationen von sogenannten „Nachwendekindern“ empfinden sich weiterhin beziehungsweise nun erst recht als „Ossis“. Und es waren die „Wessis“, die den Ostdeutschen zum „Ossi“ gemacht haben. Wenn ich es richtig gelesen habe, dann ist die Geschichte der deutschen Wiedervereinigung auch eine Geschichte der Missverständnisse sowie der Stigmatisierungen.

    Die Mauer ist weg, aber eine deutsche Einheit, die diesen Namen verdient hätte, hat es nie gegeben. Rechts und links des ehemaligen eisernen Vorhangs bleibt man zu verschieden. Und weil das lange Zeit nicht so gesehen wurde, nun erst recht!

    „Die ostdeutsche Identität der Nachwendekinder sind insgesamt eine Reaktion auf drei Dinge“, schreibt ⏩ Valerie Schönian in ihren Buch ⏩ „Ostbewsusstsein“ auf Seite 94 und zitiert dann den Sozialwissenschaftler Daniel Kubiak: „Die Sozialisationserfahrung mit ostdeutschen Eltern, der pauschalisierende Schulunterricht und das Gefühl der Fremdzuschreibung als Ostdeutsche.“ Man wird nicht als „Ossi“ geboren, sondern zum „Ossi“ gemacht: Durch die Eltern, die ostdeutsche Sozialisation und die Medien.

    Das ist alles an sich logisch und nachvollziehbar: Wenn sich ein politisches Gesellschaftssystem auflöst, bleiben die Menschen, die darin aufgewachsen geprägt von den Werten, die das bisherige System vermittelt hat. Davon werden sie einiges – vermutlich größtenteils unbewusst und als Sub- oder Kontext – auch an nachfolgende Generationen weitergeben. Das gelte auch für jegliche Traumata: „Unsere Untersuchungen und die anderer haben ergeben, dass durch die Fähigkeit des Menschen zur Resonanz traumatische und andere belastende Erfahrungen von Eltern an die nächste und übernächste Generation weitergegeben werden können.“ Das schreibt ⏩ Udo Baer in seinem Buch ⏩ „DDR-Erbe in der Seele“ auf Seite 178. Diese Weitergabe erfolgt nicht verbal, sondern auf der emotionalen Ebene. Natürlich muss man hier vorsichtig sein, denn Baer ist als Kind mit seinen Eltern aus der DDR geflohen und gilt eigentlich so als „Westdeutscher“. Die nonverbale Weitergabe von Traumata gab es natürlich auch schon vor der DDR: Wer im Dritten Reich sozialisiert wurde, konnte nach dem Krieg nicht aus seiner Haut – aber solche Zusammenhänge wurden eher totgeschwiegen, denn die junge Republik hatte andere Sorgen.

    Das Schweigen der Eltern- und Großelterngeneration ist grundsätzlich problematisch, denn es verhindert an ihren Erfahrungen lernen und durch Verständnis die eigene Situation reflektieren zu können. Insoweit ist es zu begrüßen, dass eine jüngerer Generation in Ostdeutschland Geborener diesen Dialog sucht und einfordert – so wie es ⏩ Johannes Nichelmann tut und seine eigenen Erfahrungen eindrucksvoll und ausführlich in seinem Buch ⏩ „Nachwendekinder. Die DDR, unsere Eltern und das große Schweigen“ festhält.

    Ganz mein Reden: Wir müssen reden!

    Was bei Schönian (vgl. u.a. S. 91) und Nichelmann (vgl. u.a. S. 56ff) grundsätzlich mitschwingt: Erst die Konfrontation mit Westdeutschen habe aus den Ostdeutschen „Ossis“ gemacht. Ursprünglich hätten sich viele nur als „Deutsche“ gesehen, aber das westdeutsche Empfinden der Osten sei etwas Fremdartiges, habe eigentlich erst zur Ausprägung einer Ostidentität geführt. Ob Reisewarnungen in den Westen geholfen hätten? Man weiß es nicht. Aber wenn man das so liest, könnte man meinen, dass die Ostdeutschen die Opfer sind. Bewerten möchte ich das an dieser Stelle nicht (auch an keiner anderen).

    Diese Abgrenzung zeige sich auch in der Wahrnehmung, dass ein Problem in Ostdeutschland ein ostdeutsche Problem sei, wohin gegen ein Problem in Westdeutschland ein gesamtdeutsches sei: „Eine Reaktion auf dieses Phänomen ist eine Identitätsbildung der separierten Gruppe.“ (Nichelmann, S. 59) Die Ausgrenzung der einen stiftet die Identität der anderen.

    „Ostdeutschland muss als Sozialisationsraum etabliert werden“, fordert eine Gesprächspartnerinnen von Valerie Schönian (S. 59) und die Autorin ergänzt später, dass vorherige Generationen „ihr Ostdeutsch-Sein am liebsten ablegen. Ich will es mir erobern.“ (S. 74) Das mag auch einfacher möglicher sein: „Wo noch nicht alles da ist, kann mehr Neues entstehen. Wo Platz ist, lässt sich besser atmen.“ (S. 84) Das ist natürlich alles legitim und machbar. Deutschland ist ein bunter Flickenteppich regionaler Identitäten und jeder findet noch jemanden, von dem er sich abgrenzen kann: Die Kölner von den Düsseldorfern, die Duderstädter von den Eichsfeldern, die Franken von den Bayern.

    Ich habe nichts dagegen, dass jemand seine „Ost-Identität“ auslebt, so wie manche Bayern, die gerne ihre „Mia san mia“-Mentalität in Lederhosen und Seppelhut ausleben – finde ich zwar lächerlich (also Lederhosen und Seppelhut), aber ich bin auch tolerant, so lange jeder seinen eigenen Stiefel durchzieht und niemanden dafür schlecht macht (so wie ich gerade ein bisschen). Interessant ist, dass es aber im Gebiet der ehemaligen DDR weniger um Spreewald versus Erzgebirge geht, sondern um ostdeutsch gegen westdeutsch.

    Dahinter steckt das Meme vom Migrant im eigenen Land

    Es taucht immer wieder das Motiv auf, dass den Ostdeutschen durch die Auflösung der DDR der Zugang zu ihrer Vergangenheit fehle: „Ich fühle mich wie ein Einwandererkind, wie der Sohn von jemanden der aus der Türkei hergekommen ist. Der kann, wenn er will, sich das Land seines Vaters anschauen. Ich kann es nicht.“ So zitiert Nichelmann eines der Nachwendekinder, mit denen er spricht (S. 87). Auch Maximilian geht es so: Er „fühlt sich wie das Kind von Einwanderern, das die Heimat seiner Eltern nicht mehr besuchen kann, denn sie ist schlichtweg nicht mehr existent“. (S. 126)

    Es mag fadenscheinig klingen, aber den wenigsten von uns sind Zeitreisen möglich.

    Ich weiß, dass ich gleich ausgebuht werden, aber mit der DDR ist eigentlich auch die alte BRD verschwunden. Das mag sich vielleicht für viele nicht so angefühlt haben, aber auch das Deutschland, in dem ich aufgewachsen bin, ist verschwunden. Ich bin im Zonenrandgebiet aufgewachsen, was es in dieser Form nur geben konnte, weil es die DDR gab – inklusive „kleinem Grenzverkehr“ und „Zonenrandförderung“. Mit dem Untergang der DDR veränderte auch die Kleinstadt im ehemaligen Zonenrandgebiet ihr Gesicht: Mit der wegfallenden Förderung zogen auch etliche Industriebetriebe weg und die Bundeswehr-Einheiten wurden weiter östlich verlegt. Damit gingen Arbeitsplätze und somit auch Einwohner verloren – zwischenzeitlich fast 30 Prozent. Inzwischen positioniert sich das Städtchen als Seniorenparadies.

    Meine Kinder können es nicht mehr sehen, wie es vorher war – dieses Fehl wird bei ihnen nun folgerichtig zur Ausbildung einer starken Südniedersachsen-Identität führen. Oder vielleicht auch nicht. Ist vielleicht auch besser so. Mein Vater ist 1956 aus Ungarn geflohen: Das Land gibt es noch und ich kann da noch hinfahren. Aber auch das heutige Ungarn hat so gut wie gar nichts mehr mit dem Ungarn zu tun, aus dem mein Vater geflohen ist. Genauso wenig, wie die heutige Türkei, dem Land ähnelt, aus dem die „Gastarbeiter“ in den 1970er Jahren nach Deutschland kamen. Ich glaube, da machen sich einige nur etwas vor und romantisieren etwas, das so verloren ist wie der heilige Gral.

    Aber: Als Westdeutscher kann ich diesen Verlust natürlich nicht bewerten. Das steht mir nicht zu, denn im Westen hatten wir auch immer die bessere ökonomische Ausgangsposition, da – wie Valerie Schönian auf S. 86 schreibt – „wir ostdeutschen Nachwendekinder weniger Zahnarztpraxen erben werden als manch westdeutsche Altersgenossen“. Das stimmt: Ich habe sieben Zahnarztpraxen geerbt – und ihr so? Mal ganz ehrlich: Ich kenne nicht mal jemanden, der eine Zahnarztpraxis geerbt habt. Das macht mich nicht direkt zum „Ossi“, sondern wohl leider nur zu einem schlechten „Wessi“.

  • LinkedIn – Schlaraffenland der Berufstätigen

    LinkedIn – Schlaraffenland der Berufstätigen

    „Da hört ich Fische miteinander Lärm anfangen, daß es in den Himmel hinaufscholl, und ein süßer Honig floß wie Wasser voll einem tiefen Tal auf einen hohen Berg; das waren seltsame Geschichten.“ – so die ⏩ Gebrüder Grimm in ihrer Version des „Schlaraffenland“. Bereits die ⏩ Bibel spricht an 26 Stellen des Alten Testaments von einem „Land, darin Milch und Honig fließt“ (womit aber Israel gemeint ist).

    Auf jeden Fall plagt einem im Märchen oder im gelobten Land nicht eine Sorge, alles ist eitel Sonnenschein und das Leben ist schön – ganz so wie bei LinkedIn: Niemand findet seine Vorgesetzten noch sein Team kacke, Leistungen, Produkte und Dienstleistungen flutschen wie von selbst, die Arbeitsbedingungen übertreffen jegliche Vorstellungen und alle betriebliche Tätigkeit ist nachhaltig und im Einklang mit Natur, Mensch und Gesellschaft.

    Ich habe keine Ahnung, wo ihr arbeitet, aber ich würde gerne bei euch mitmachen! Zugegeben: Bei meinem Job ist natürlich auch nicht alles schlecht – aber manches könnte noch besser oder anders gemacht werden und wir arbeiten auch daran, mal schneller, mal langsamer, aber „stets bemüht“, während alle anderen scheinbar im Wellness-Bereich der Business-Welt sitzen und als Partypeople der Produktivität täglich die Welt verändern.

    Es gibt kein Burnout, keine inneren Kündigungen und kein Mobbing – schmutzige Wäsche wird hinter verschlossenen Türen gewaschen. Und mal ehrlich: Wer will schon lesen, was er oder sie täglich selbst erlebt? Ein bisschen Business-Eskapismus in die perfekte Illusion ist da schon angenehmer. Anderseits: Mich langweiligen das ewige Gruppenkuscheln von Teams, die sich bedingungslos lieben, die Lobgesänge der Führungskräfte auf die Belegschaft, bevor sie Filialen schließen und Produktionsstätten dicht machen und die selbstherrlichen Hinweise, man irgendetwas für sich gelernt, als man den Umgang indigener Bergvölker mit Bienen beobachtet oder sich mit der Konstruktion von Lehmhütten in Kenia befasst habe.

    LinkedIn in ist so ein bisschen das Schlagerfest der guten Laune bei Social Media. Ich versuche, meine Kindern zu erklären, dass Social Media nichts mit dem realen Leben zu tun hat – da machen Business-Netzwerke keine Ausnahme. Im Nachrichtengeschäft gilt „bad news is good news“, bei LinkedIn gilt „only better news is good news“. Darum sind andere immer bunter, erfolgreicher, schöner und reicher.

    Vielleicht bin ich auch in der falschen Bubble und in anderen Kreisen geht es ganz anders zu – bei Beobachtungen in Social Media sind die blinden Flecken der Beobachter ein grundsätzliches Problem. Ich habe auch keine Lösung, wie man es anders machen könnte: Ein Netzwerk des alltäglichen Scheiterns wird vermutlich auch schnell eintönig und langweilig. Und vielleicht feiert man sich auch gerne mal öffentlich, weil man sich an dieser Sichtbarkeit auch für eine gewisse Zeit festhalten kann.

    Ich nutze LinkedIn inzwischen wie Instagram: Ich scrolle schnell durch, verteile an alle Bekannten wahllos und ungelesen Herzchen, weil ich weiß, dass sie sich darüber genauso freuen wie ich und bin dann überrascht, wenn ich an einem „thumbstopper“ tatsächlich mal hängenbleiben, weil dort mal etwas anderes anders erzählt wird.

    Lasst uns einander überraschen – so bleibt LinkedIn lesenswert!

  • Männer in der Misere

    Männer in der Misere

    Männer in der Misere – oder warum Männer einen anderen Anstoß brauchen, um sich zu bewegen

    Männer sind Macher – so werden wir nach dem eigentlich längst überholten Gesellschaftsbild dargestellt und von einigen (teilweise von uns selbst!) noch so gesehen. Aber was machst Du als Mann, wenn Dein Lebensentwurf vor die Wand fährt? Dann machste erstmal nichts.

    Mir ging es so. Mir ging es nicht gut und ich wollte nicht allein im Dunkeln bleiben. Ich lese viel und gerne – und der Büchermarkt ist voll mit Ratgeber-Literatur in Lebenskrisen. Die erste Feststellung: Das meiste davon haben Frauen für andere Frauen geschrieben. Da fällt es manch männlichen Leser schwer, die geschlechtsspezifische Brille auszuschalten. Wenn es zum Beispiel um „toxische Beziehungen“ geht, sind stets Männer Gift für Frauen. Wer sich ohnmächtig fühlt, hat wenig Kraft für Transferleistungen, um sich ganze Bücher bei der Lektüre in vertauschten Rollen vorzustellen.

    Häufig haben Männer auch wenig Erfahrung mit den selbstreflexiven Methoden, die Ratgeber gut und gerne empfehlen: Trauertagebücher führen, Energielinien folgen, Herzchakramassagen. Für einige Männer ist es bereits schlimm eine weiche Seite an sich zu spüren, aber darauf herumzudrücken ist ihnen regelrecht unangenehm.

    Männer brauchen klare Ansagen

    Männern muss man sagen, was Sache ist. Und dabei darf man(n) sich auf einer klaren Sprache bedienen. Als mein über 80-jähriger Vater anfing mein Ratgeber-Buch zu lesen, rief er empört (als er auf S. 13 angekommen war): „Du hast da ‚Scheiße‘ geschrieben – das sagt man nicht!“ Aber wenn Dinge nun mal kacke sind, werden sie nicht dadurch besser, dass wir sie anders benennen.

    Genau so klar wollte ich mögliche Schritte vorgeben, die bei Weg aus der Wehmut hilfreich sein können:

    1. Akzeptiere, dass etwas schiefgelaufen ist.
    2. Trenne dich von deinen bisherigen Lebensentwurf und Reproduktionsversuchen desselben.
    3. Versinke nicht in Hass und Wut.
    4. Überprüfe, was die wirklich wichtig ist im Leben.
    5. Erkenne, wo du fremdgesteuert bist und was du dagegen machen kannst.

    In meinem Buch spreche von „Impulsen“ und sie heißen dort:

    1. Schlusspunkt setzen!
    2. Loslassen!
    3. Hassen unterlassen!
    4. Ziele justieren!
    5. Kontrolle zurückgewinnen!
    S. 19: Fünf Impulse für Männer in der Misere

    Zugegeben: Dahinter stecken keine neuen Erkenntnisse und bisher unbekannte Wahrheiten – aber gerade im Ratgeber-Segment wurde ja fast schon alles gesagt – aber eben noch nicht von jeden. Oder aber auch: Eben nicht für jeden. Man schreibt letztendlich das Buch, das man selber gerne gelesen hätte, aber das es bisher noch nicht in dieser Form gab.

    Genau das habe ich versucht: Themen und Aspekte der Reorganisation des eigenen Lebens für Männer in der Misere zugänglich und verständlich zu machen. Ob mir das gelungen ist, müssen andere sagen. Das Beste ist, du liest selber und gibst mir Rückmeldung:

  • In der Pandemie steckengeblieben

    In der Pandemie steckengeblieben

    Die Pandemie hat mit uns allen etwas gemacht. Wir mussten unser Leben herunterfahren – Modus: Lebenserhaltung, Warten im Standby-Betrieb. Nicht alle Systeme lassen sich immer wieder problemlos hochfahren: Es besteht das Risiko, dass einige von uns in der Erstarrung dieser Stasis steckenbleiben könnten. Stell dir vor, die Pandemie wird abgesagt und du hängst noch im Corona-Betrieb fest.

    Mit den drohenden Ende der Corona-Schutzmaßnahmen im März 2022, habe ich berechtigte Sorge in diesem Pandemie-Modus zu verharren. Ich stelle mir vor, der ehemalige Alltag kehrt zurück, Cafés und Restaurants füllen sich wieder, die Jugend macht Party und das Leben feiert Kirmes. Ich sitze stattdessen allein zuhause: isoliert, kontaktreduziert und FFP2-maskiert.

    Ich habe mich in den vergangenen zwei Jahre so daran gewöhnt, nichts zu tun, dass ich mir nicht sicher bin, was ich denn dann eigentlich tun sollte, wenn man wieder tun darf. Auch vor der Pandemie hatte ich kein Sozialleben in festen Strukturen mit Fußball-Training jedem Mittwoch und Herrenchor am Samstag Abend. Ich ging gern zu losen Veranstaltungsreihen rund um Medien und Social Media, die es immer wieder in unregelmäßigen Abständen gab. Da trafen man „Kollegeninnen und Kollegen“ und Menschen, die nett sind und sich für ähnliche Dinge interessieren – aber eigentlich keine Freunde im engeren Sinne sind.

    Meine Freunde wohnten überall in Deutschland verteilt, was sicher einer gewissen berufsbedingten Mobilität meinerseits geschuldet war. Dass es nicht so gut ist, die Freunde nicht direkt am Wohnort zu haben, merkt man erst, wenn man das Reisen und die Wochenendtrips wegen Reiseeinschränkungen und Kontaktreduktion einstellt. Umbrüche auf der privaten Seite führten dann dazu, dass ich eigentlich nur noch alleine zuhause hockte.

    Es ist nicht so, dass ich mich gelangweilt hätte oder nicht wusste, was ich tun könnte. Ich habe mich eigentlich ganz gut beschäftigen können. In Ermangelung von Alternativen habe ich diese Aktivitäten gehegt, gepflegt, kultiviert und ausgebaut. Ich habe viel recherchiert, viel gelesen, ein Buch geschrieben. Aber alles ist eben nicht etwas, was man nach Beendigung der Pandemie einfach mit einem größeren Kreis als Gruppenaktivität gut fortsetzen könnte.

    Der Krieg gegen das Virus geht zu Ende und nichts ändert sich für einen – so als hätte man das Kriegsende verpasst. So erging es ⏩ Yokoi Shōichi. Das „tapfere Schneiderlein“ war ein treuer Soldat und diente als Unteroffizier im 38. Infanterieregiment der 29. Mandschurei-Division. Als US-amerikanische Truppen 1944 die von Japan besetzte Insel Guam zurückeroberten, zog er sich mit ein paar Kameraden in den Dschungel zurück und verpasste die Kapitulation seines Heimatlandes. Erst acht Jahre später erfuhren sie durch Flugblätter, dass der Krieg vorbei sein. Aber Aufgeben wurde als unehrenhaft empfunden und so „kämpfte“ der Trupp weiter. 1964 starben die beiden letzten noch lebenden Gefährten, 1972 wurde der einsame Kämpfer von Fischern am Strand überwältigt, so dass sein ganz persönlich fortgesetzter Krieg erst knapp drei Jahrzehnte nach der letzten Schlacht seiner Einheit endete.

    Ich habe berechtigte Sorge, dass es mir ähnlich ergehen könnte und mich das postpandemische Yokoi-Shōichi-Syndrom ereilt: Ich habe zwei Jahre alles getan, um einer Infektion zu entgehen – Maske getragen, Abstand gehalten, so gut wie niemanden getroffen und jede Impfung angenommen, die mir geboten wurde. Auch im empfinde es als irgendwie „unehrenhaft“ bei einer Inzidenz von vermutlich über 1000 zu kapitulieren. Ich werde weiterhin wie Yokoi-Shōichi in einem Erdloch sitzen und gefühlt dauerhaft im Ausnahmezustand bleiben, während das Leben zurückkehrt und weiterzieht und mich dabei zurücklässt.

  • Vage Erinnerungen: Das Sopron-Project (Teil 1)

    Vage Erinnerungen: Das Sopron-Project (Teil 1)

    Erinnerungen sind mitunter trügerisch: Das, woran man glaubt, sich erinnern zu können, wird überlagert durch Gefühle, Empfindungen, Bewertungen und das, was andere darüber berichten – eingefärbt mit ihren Gefühlen, Empfindungen und Bewertungen. Kann man sich wirklich daran erinnern, wie der Polyacryl-Pulli immer so kratzte? War die Mauer hinter Omas Haus wirklich so hoch? Hatte man damals wirklich alle Schlümpfe im Setzkasten? Und waren es die beiden Nachbarskinder, die einem das Pausenbrot abnahmen und Katzen gegen den Strich streichelten?

    Ein guter Freund hat mir für den Abschluss des Studiums den guten Rat gegeben, meine Magister-Arbeit über ein Thema zu schreiben, das man schon immer möglichst allumfassend beleuchten wollte: Das ist das einzige, was einem in Anbetracht von sechs Monaten voller Recherchen, Analysen und Auswertungen bei der Stange halten kann. Und: Man wird sich nie wieder im Leben soviel Zeit nehmen, ein Thema so ausführlich behandeln zu können.

    Weise gesprochen – und so wahr. Zumindest für die meisten Lebensabschnitte. Wenn man älter wird, findet man manchmal Zeit, den ein oder anderen losen Faden noch mal aufzuheben – diesmal mit der Perspektive, das Thema abschließen zu können, so lange man dazu noch in der Lage ist.

    So ein Thema bei mir: Die Gedenktafeln von Sopron. Klingt komisch? Ist es auch irgendwie. Dahinter steckt eine vage Erinnerung. Ich weiß, dass ich als Kind – vielleicht mit 13 oder 14 Jahren (also vor gut 40 Jahren) – bei einer unserer Ungarn-Reisen, von dem Studienort meines Vaters in Westungarn sehr beeindruckt war. In meiner Erinnerung gingen wir durch die sozialistisch heruntergewirtschaftete Altstadt und mein Vater versuchte sich an Orte zu erinnern, die er zuletzt als Student besucht hatte. Bei der Rückbesinnung sehe ich die Häuser übersäht mit Gedenktafeln und als ich meinen Vater fragte, wer denn all diese berühmten Menschen seien, die man hier ehre, sagte er mir, dass man davon niemanden kenne. Das fand ich noch beeindruckender, denn ich fand bereits die hohe Dichte dieser Tafeln beeindruckend, aber dass diese für Menschen waren, die nicht einmal berühmt waren, beeindruckte mich noch viel mehr.

    So weit meine Erinnerung. Die Frage nur: Erinnere ich mich korrekt? Ist ja kein Problem: Google weiß schließlich alles! Mit der Wortkombination „Sopron“ und „Gedenktafel“ sprudelten die Treffer nicht so üppig wie erwartet – eine handvoll Verweise und am Fuß der ersten Trefferseite bereits der Link zu der ⏩ Sopron-Gedenktafel am Bundestag in Berlin. Das Ergebnis hatte mir eindeutiger vorgestellt. Nächster Anlauf: Nun wollte ich mir mit Bildersuche möglichst viele Bilder der Altstadt anzeigen lassen – wenn es da so viele Gedenktafeln gebe, wie ich meinte mich zu erinnern, dann müssten diese doch auf den Bildern zu sehen sein …

    Hm! Das war leider auch nicht so eindeutig, wie erhofft: Das hier auf diesem einen Bild, könnte eine Gedenktafel sein – wird leider nur unscharf, wenn man es vergrößert … Und hier auch … Aber das könnte auch ein Straßenschild sein oder auf eine Anwaltskanzlei oder Arztpraxis verweisen. So richtig befriedigend war diese Online-Recherche nicht.

    Letztendlich half da nur eines: Hinfahren und nachgucken! Der Plan stand und ich war gespannt, was mich in Sopron erwarten würde. Gewisse Risiken gab es: In 40 Jahren könnten die Häuser alle renoviert wurden sein und die Tafeln der Unbekannten dabei entfernt wurden sein. Mit dem Ende des Sozialismus hätte auch eine „Bereinigung“ des öffentlichen Gedenkens erfolgen können, so wie man aller Orten im ehemaligen Ostblock Marx- und Lenin-Denkmäler „entsorgt“ hat. In Ungarn hat man diesen Denkmäler der Vergangenheit eine Art Altersruhesitz in einem extra dafür angelegten ⏩ Skulpturen-Park gegönnt. Oder ich hatte mich einfach nur falsch erinnert.

    Anderseits waren die Risiken gering zu bewerten: Die Aussicht kurz nach der Lese den ⏩ Ponzichtern und ihren traditionellen Wein-Schenken einen Besuch abzustatten und bei schwacher Nationalwährung heftig und deftig pannonisch Schlemmen zu können, war nicht die Schlechteste. Gut 70 km südlich von Wien war auch in Ungarn mit guten Deutschkenntnissen zu rechnen. Vor allem, wenn man bedenkt, dass Sopron einst als Ödenburg die Hauptstand des Burgenlandes werden sollte. Die Recherche-Reise würde sich also so oder so lohnen und ich war gespannt.

    Im Oktober 2021 sollte ich mehr wissen und schlauer sein.

    Soviel sei als Spoiler hier schon mal verraten: Ja, es gab eine Menge Gedenktafeln in Sopron und es war deutlich anders, als ich es in Erinnerung hatte.

  • Geht immer: ein Bayer

    Geht immer: ein Bayer

    In Bezug auf Romane kann man mit Thommie Bayer nicht viel falsch machen. Ich habe vor etlichen Jahren so einiges bis damals fast alles von ihm gelesen, dann länger Pause gemacht und nun über den jüngsten Jahreswechsel „Vier Arten, die Liebe zu vergessen“ weggelesen. Ich habe mich vom Titel locken lassen und fand auch, dass der Klappentext eine interessante Geschichte versprach: „Emmis Tod bringt vier alte Schulfreunde wieder zusammen. Beinah zwei Jahrzehnte haben sie sich nicht gesehen, viel ist inzwischen geschehen. Und so verabreden sie sich noch Grab für ein Wochenende in Venedig: Die vier wollen endlich herausfinden, was ihre Freundschaft ihnen wert ist – uns was genau sie all die Jahre nicht losgelassen hat.“

    Aber ich hatte etwas ganz anderes erwartet: Irgendwie dachte ich, Emmi sei die Geliebte von allen vieren gewesen und jeder konnte auf seine Weise nicht loslassen. Erst im zeitlosen Sehnsuchtsort Venedig, der eine symbolgeschwängerte Projektionsfläche bietet, gelingt es ihnen, ihr kollektives Liebestrauma gemeinsam zu überwinden.

    Ganz so, war es dann doch nicht: Emmi war die Musiklehrerin, die aus vier verkrachten Internatsschülern eine Art ‚Barbershop Quartett‘ geformt hat. Sie hatten vermutlich später alle noch Sex mit der selben Frau (nicht die Musiklehrerin) – aber das ist nur eine Nebenlinie der Geschichte. Venedig und die detaillierte Beschreibung seiner Kunstschätze und Lebensart wird schon metaphorisch aufgeladen sein, aber in der Erzählung ist der Grund des dortigen Zusammentreffens eher pragmatisch angelegt, denn der es ist der Wohnort der Hauptfigur, die seine drei ehemaligen Sangesbrüder zu sich nachhause einlädt. Und überhaupt war ich ein bisschen verwundert, dass das Wiedersehen, das laut Klappentext das zentrale Erzählungselement zu sein schien, erst auf Seite 140 beginnt – also ziemlich genau in der Mitte des Buches.

    Das klingt jetzt alles ein bisschen so, als hätte mir das Buch nicht gefallen, aber ich fand es nicht schlecht – es war halt nur eine ganz andere Geschichte als vermutet. Und das ist ja auch nicht verkehrt, dass Literatur uns noch überraschen kann.

    Also bleibt es dabei: Thommie Bayer ist immer eine gute Wahl. Über den Anspruch mögen sich andere streiten, aber ich halte gute Unterhaltung auch für eine solide Leistung von Literatur. Eigentlich ein klassischer „Männerroman“ – ein Genre, das noch mit dem passenden Etikett hadert: „Lad Lit“ ist eher Nick Horby und „Fratire“ ist politisch nicht korrekt. Da ist es bei Bayer doch noch alles recht gesittet bis gesetzt. Obwohl die vier Freunde in dem Buch eigentlich gut zehn Jahre jünger sein müssten als ich, fehlte mir der Identifikationscharakter, den man ja gerne beim Lesen wiederfindet – oder ich bin dann als Zielgruppe doch zu alt.