Was Gartner kann, kann ich schon lange – dachte ich. Am 6. Oktober 2015 veröffentlichte das Marktforschungsinstitut die „Top 10 Strategic Technology Trends for 2016„. Als da wären:

  1. Der Geräte-Mix („Device-Mesh“)
  2. Umgebungserfassung
  3. 3D-Druck
  4. Informationsflut („Information of Everything“)
  5. Smarte Maschinen
  6. Autonome Agenten und Dinge
  7. Adaptive Security-Architekturen
  8. Verbesserte System-Architekturen
  9. App- und Service-Architekturen
  10. Internet der Dinge (IoT)

Nicht alles davon kommt aus der Glasklugel – vieles lag einfach auf der Straße und musste nur aufgesammelt werden. Vermutlich hätte ich das ein oder andere auch auf meinem Zettel gehabt, aber ich befasse mich im Besonderen auch eher mit den kommunikativen Aspekten als mit IT Technologie im Allgemeinen.

Wer sich ebenfalls mit Digitalkommunikation befasst, wird um folgende fünf Trends nicht herumkommen – im Gegenteil: Sich mit Ihnen zu befassen, kann in einigen Fällen auch zu strategischen Vorsprüngen führen. Manche Trends sind sehr naheliegend, andere eventuell streitbar – alle aber diskussionswürdig. Ich freue mich daher auf Rückmeldungen.

Das Medium sei die Botschaft, behauptete Marshall McLuhan und lag damit für seine Zeit ganz weit vorne. Obwohl er eher das TV im Blickfeld hatte, scheint seine These zum Internet und zur Online-Kommunikation um so treffender zu passen: Dabei sein war alles! Allein, dass man über die „Neuen Medien“ kommunizierte, enthielt die Meta-Botschaft der Anschlussfähigkeit an die Zukunft.

Social Media erhöhte die Dynamik: Ein neues Netzwerk in der Beta-Phase? Her mit dem „Invite“, ich muss dabei sein, auch wenn dort noch niemand ist, mit dem ich mich vernetzen könnte. Wenn ich twittere, facebooke, instagramme, dann verjünge ich mich digital – Inhalte spielen dabei keine Rolle.

Und dennoch fällt auf: Das öffentliche Rennen um den ersten Preis der Belanglosigkeiten verliert etwas an Dynamik. Die nachwachsenden ‚Digital Natives‘ toben sich weniger öffentlich aus als ihre Eltern. Beliebte Tools wie Snapchat archivieren ihr Geplauder genauso wenig wie früher der Schwatz am Dorfbrunnen mitgeschnitten und vor aller Welt präsentiert wurde. Wer nicht dabei war, hat es verpasst. In den Whatsapp-Gruppen sind nur ausgewählte Kontakte und andere geht es nichts an.

Es scheint, als ginge es weniger um den Aufbau einer digitalen Scheinrepräsentation. Plattformen und Kanäle werden wieder als das gewählt, was sie leisten sollen: Nämlich Botschaften zu transportieren. Zielgruppen wählen ihre Medien zukünftiger weniger nach dem aus, wofür sie stehen, sondern danach, dass sie die Nutzerbedürfnisse am besten erfüllen. Der Nutzer entdeckt das Medium wieder – und pfeift mitunter auf die Botschaft, die ihm zugeschrieben wurde. Künftig bestimmt weniger das Design das Bewusstsein, sondern die Form folgt der Funktion.
Und weil verschiedenste Nutzer verschiedenste Bedürfnisse haben, wird sich die Anzahl der Plattformen und Kanäle vervielfältigen.

Massenmedien adressieren per Definition ein heterogenes, disperses Publikum – also eine große Anzahl lauter verschiedener Typen, die nicht anwesend sind. Die Anzahl der Kanäle war technisch und wirtschaftlich begrenzt und wer die Massen erreichen wollte, musste über diese Medien gehen. Für Kommunikationsexperten in Organisationen bedeutet dies gute Beziehungen zu Medienvertretern zu halten. Die einen unterstellten der PR dabei Determinierung, andere sprachen von Intereffikation als gegenseitige Beeinflussung.

Das Internet und Social Media machten die Welt bunter – vor allem vielfältiger: Die Medien als Multiplikatoren zur Masse wurden nicht mehr benötigt, die Organisationen konnten direkt mit ihren Zielgruppen in Kontakt treten. So lange man über reichweitenstarke Kanäle und Plattformen glaubte, „die Masse“ weiterhin erreichen zu können, war die Welt noch in Ordnung.

Nun, wenn Facebook ein Land wäre, dann blablabla… Aber die meisten Kanäle und Plattformen sind kleiner und spezialisierter. Wer mitreden und gehört werden will, muss dazu gehören. Auf einmal sind die Massen weg, über die man Botschaften ausgießen könnte. Der künftige Erfolgsschlüssel ist teilhabende Kommunikation in begrenzten Communities. Das erfordert Knowhow und Ressourcen – gut für Experten der Digitalkommunikation, schlechter für Organisationen, die Reichweite wollen: Mehr Social Media Manager werden kleiner Zielgruppen bearbeiten.

Die neue Unübersichtlichkeit macht aber nicht nur der professionellen Organisationskommunikation zu schaffen, sondern auch der private Nutzer steht zusehends unter sozialem Kommunikationsstress seine verschiedenen Präsenzen und Profile adäquat zu verwalten und zu befüllen.

Ein Tool zum Personal Digital Identity Management muss her! Es muss nicht zwangsläufig auf ein einzelnes, zentrales Profil hinauslaufen: Es können auch Werkzeuge sein, die vergleichbare Dienste bündeln – so wie man zum Beispiel aus instagram gleichzeitig in allen gängigen sozialen Netzwerken gleichzeitig einen identischen Post veröffentlichen kann.

Diese recht plumpe Vererbungslogik wird künftig von smarten Agenten übernommen: Sie lassen den selben Content in verschiedenen Plattformen so erscheinen, als wäre er für diese konzipiert. Vielleicht stellen die Nutzer künftig Content nur noch her und überlassen es ihren smarten Agenten als lernendes System diesen für sie angemessen zu publizieren und zu verbreiten.

Im Prinzip die Umkehrung von simplen Aggregatoren die eingehende Benachrichtigungen aus verschiedensten (sozialen) Netzwerken chronologisch als einen „Live“-Stream ausgeben. Analog zu dieser Empfangslogik würde die künftige Sendelogik darin bestehen chronologisch Content zu erzeugen, der automatisch smart in die verschiedensten Kanäle ausgespielt wird.

Jeder Trekkie träumte davon, wie Captain Jean Luc Picard sein Quartier durch eine Schschschiebetür zu betreten und die berühmten Worte „Tea, Earl Grey, hot“ zu sprechen und der Replikator erzeugt das Gewünschte. Heute bekommen wir zwar (noch) keinen Tee, aber können Siri, Cortana und die Google App gerne anquatschen und sie quatschen zurück.

Ich habe keine Lust mit meinem Handy zu reden, denn genau das suggeriert mir die Werbung, dass ich dies wollen sollte. Warum? Sprache ist zur Zeit der Universalschlüssel zur Mensch-Maschine-Kommunikation. Es gibt keine anderen, von jedem Nutzer intuitiv bedienbaren Schnittstellen: Sprechen können fast alle Menschen und müssen es nicht extra zur Bedienung ihres ihres mobilen Endgeräts erlernen.

Der Plan der Handyanbieter ist es, das Handy überflüssig zu machen. Es ist als ‚Device‘ zu klobig, schränkt unsere Motorik ein und ist eine künstliche Erweiterung unserer selbst. Moderne Interfaces sind zunächst Wearables – in Zukunft vermutlich sogar Implantate – die sich geradezu organisch mit uns verbinden. Wir steuere ich diese Winzlingsgeräte, die wenig Schaltfläche und keine Knöpfe haben werden und vielleicht auch taktil unerreichbar sind, wenn sie hinter meinem Ohrknorpel implantiert sind? Nur mit meiner Stimme.

Und was sich nicht minimieren lässt, wächst über sich hinaus, so dass der steuernde Mensch Teil der Maschine wird. Nichts anderes passiert, wenn Autos, Fahr- und Flugzeuge sowie andere Großgeräte zusehend mit Sprachbefehlen gesteuert werden.

Jetzt ist die Zeit neben dem Universalprinzip Sprache als Mensch-Maschine-Schnittstelle neue (Interims-) Interface-Logiken zu entwickeln und diese frühzeitig zu etablieren und zu verbreiten. Dies ist wirklich ein Wettlauf, wobei aber nicht zwangsläufig der Schnellste dauerhaft der Gewinner sein muss. Die effizienteste Lösung, die schnell genug zur Verfügung steht, wird das Rennen machen.

Für den Großteil der Datenströme des Internet sind keine Menschen verantwortlich – im Internet der Dinge (IoT) tauschen Maschinen bzw. Systeme automatisch Daten aus. Maschinen können sich binär unterhalten – die meisten Menschen können da nicht mitreden.

Wenn nun mein Kühlschrank künftig in der Lage ist, abgelaufene oder verbrauchte Lebensmittel autonom über ein Warenwirtschaftssystems nachzubestellen, wie teilt er mir das gegebenenfalls mit? Flötet und pfeift er wie R2D2 und zeichnet mir damit Fragezeichen ins Gesicht? Oder formuliert er Standardphrasen, die auch als Soundfiles in Navigationssystemen hinterlegt sind? Und wie rede ich mit meinem Kühlschrank? Wenn ich ihm zum Beispiel klar machen möchte, dass ich eigentlich anstatt der bisher getrunkenen Milch mit 3,8 % Fettanteil künftig lieber Magermilch wünsche?

Hier ist Luft für ganz neue, kreativ intuitive Messaging Logiken:Bewegungen, Piktogramme, Farbkombinationen, optische Erkennung, Vibrationsvariationen und was weiß ich. Die Lücke will gefüllt werden, der Wettlauf ist eröffnet!

So, ich nehme nun an, dass Gartner meinetwegen nicht einpacken muss.Eigentlich lassen sich meine Trends auch gut in die Phalanx der Gartner Prognosen einreihen bzw. sich mit diesen verknüpfen. Ich erhebe auch nicht den Anspruch auf Vollständigkeit oder die korrekte Priorisierung – ich habe einfach mal zusammengetragen, mit welchen Fragen bzw. Lösungen ich mich als Experte für Digitalkommunikation in nächster Zeit beschäftigen sollte. Gut möglich, dass ich mich damit nicht auf dem Pfad der Erleuchtung, sondern auf dem Holzweg befinde. Das ist eben das schöne an Prognosen: Nachher sind wir alle schlauer.

Dieser Beitrag erschien zuerst unter https://anderesachen.blogspot.com/2016/01/trends-der-digitalkommunikation.html

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